Krise treibt Windindustrie ins Ausland

  • Search29.10.2019

Flucht in die Ferne

In Deutschland werden kaum noch Windräder gebaut. Vor allem Anlagenhersteller und Projektierer suchen deshalb ihr Heil in der Expansion. Doch nicht alle können sich den teuren Schritt ins Ausland leisten. Viele kleine Firmen könnten auf der Strecke bleiben.

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    In Ländern wie China ist Bewegung in der Windenergie. Der deutsche Markt dagegen ist zum Erliegen gekommen.

    Von Robert Otto-Moog

    Keine zehn Jahre ist es her, da war die deutsche Solarindustrie noch ein globaler Champion. Auf ihrem Höhepunkt zählte die Branche mehr als 130.000 Beschäftigte. Doch um 2012 herum häuften sich die Krisensymptome. Es folgte ein jahrelanger Niedergang mit zahllosen Konkursen, der 2018 mit dem Aus von Solarworld, Deutschlands letztem großen Solarmodulhersteller, seinen Abschluss fand. Heute beschäftigt die Branche nur noch gut 30.000 Menschen.

    Dass es in der Windenergie mal genauso kommen könnte, schien lange Zeit ausgeschlossen. Denn als die Solarindustrie bereits tief in der Krise steckte, brummte die Konjunktur hier noch – auch wenn es immer wieder Rückschläge durch veränderte politische Rahmenbedingungen gab.

    Doch die guten Zeiten sind vorbei. Der Ausbau der Onshore-Windkraft ist seit dem Rekordjahr 2017 zum Erliegen gekommen. Von den rund 30.000 Windrädern in Deutschland wurden gerade einmal 167 in den ersten neun Monaten dieses Jahres errichtet. Bereits von 2016 auf 2017 brachen mehr als 25.000 Jobs weg, Hersteller gingen pleite, Projektierer und Ingenieurbüros verschwanden. Oder sie verlagerten ihr Geschäft ins Ausland.

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    Der Inlandsmarkt ist komplett weggebrochen

    Philipp Vohrer, Enercon

    „Der deutsche Markt war immer der wichtigste für uns“, sagt Philipp Vohrer, Ressortleiter Politik, Marketing und Kommunikation beim Anlagenhersteller Enercon aus Aurich. Doch inzwischen hat sich das Blatt gewendet. „Der Inlandsmarkt ist komplett weggebrochen“, sagt Vohrer im Gespräch mit EnergieWinde.

    So wie Enercon, mit einem Anteil von rund 40 Prozent Marktführer in Deutschland, geht es vielen in der Branche. Und ähnlich wie Enercon suchen viele deswegen ihr Heil im Ausland. „Das Verhältnis zwischen Aus- und Inlandsgeschäft war bei uns mal bei 50 zu 50“, sagt Vohrer. Jetzt baut Enercon das internationale Geschäft erheblich aus. Im vergangenen Jahr zog das Auricher Unternehmen beispielsweise einen Großauftrag im türkischen Izmir an Land. Die Rotorblätter dafür werden vor Ort gefertigt.

    „Die meisten Unternehmen verstärken ihr Engagement im Ausland, denn dort boomt die Windenergie, und sie wird weiter boomen“, sagt Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Es sei daher kein Wunder, dass sich die Hersteller zunehmend vom deutschen Markt abwendeten.

    Die attraktivsten Offshore-Wind-Märkte

    Zusammengenommen kommen die britischen Offshore-Windparks auf eine Kapazität von fast achteinhalb Gigawatt. Damit ist Großbritannien der mit Abstand größte Markt weltweit. Der Ökostromanteil an der britischen Stromerzeugung lag im vergangenen Jahr bei knapp einem Drittel. Windkraft ist die wichtigste Säule dabei.

    Deutschland ist mit 6,3 Gigawatt die weltweit zweitgrößte Offshore-Wind-Nation. Doch die Bundesregierung gefährdet aus Sicht der Industrie die Perspektiven der Branche. Zwar hat sie im Klimapaket beschlossen, die Deckelung des Ausbaus auf 20 Gigawatt bis 2030 anzuheben. Für die längerfristigen Klimaziele sei das aber zu wenig, warnen Kritiker.

    Wie in so vielen Branchen drängt China auch in der Offshore-Windenergie mit Macht an die Weltspitze. Schon heute sind mehr als 20 chinesische Windparks auf See in Betrieb, weitere befinden sich im Bau oder sind in Planung. Die für 2020 anvisierte Fünf-Gigawatt-Mark soll das Land Branchenkennern zufolge bereits erreicht haben.

    Der Windpark Formosa 1 ist das erste Offshore-Projekt in Taiwan. Er nahm 2017 seinen Betrieb auf, derzeit läuft die Planung für die Erweiterung.

    Die kleine Insel Taiwan hat sich in den vergangenen Jahren zum Hotspot der Offshore-Windenergie entwickelt. Praktisch alle größeren europäischen Unternehmen sind bereits vor Ort. Zwar ist bislang erst ein Windpark vollständig ans Netz angeschlossen worden, doch weitere sollen schon bald folgen.

    Wie bei der Windkraft an Land waren die Dänen auch auf See die Vorreiter. Der weltweit erste Offshore-Windpark, Vindeby vor der Küste von Lolland, nahm 1991 den Betrieb auf, zahlreiche größere und kleinere Parks folgten. Dänemark setzt auch künftig stark auf die Technologie – in der Nord- und Ostsee sind neue Anlagen in Planung.

    Die USA sind spät in die Offshore-Windenergie eingestiegen, bislang ist mit Block Island im Atlantik erst ein Windpark in Betrieb. Doch in den 2020er-Jahren dürfte mindestens ein halbes Dutzend weiterer im Atlantik folgen. Wegen der tiefen Gewässer gibt es im Pazifik daneben auch Planungen für schwimmende Windkraftanlagen.

    Zu den größeren Windkraft-Nationen zählen auch Belgien (Foto) und die Niederlande. Belgien hat bereits sechs Parks ans Netz angeschlossen, in den Niederlanden sind es vier in der Nordsee und zwei im Ijsselmeer. In beiden Beneluxstaaten ist die Pipeline mit weiteren Offshore-Projekten gut gefüllt.

    Die Folgen zeigen sich überall. Etwa bei Siemens Gamesa. Das Unternehmen werde sein neues Ingenieurszentrum in Großbritannien aufbauen, „weil der Markt dort besser und schneller wächst als in Deutschland“, sagt Christoph Zipf, Sprecher des Bundesverbands Windenergie, auf Anfrage. Solang der deutsche Markt nicht wieder anziehe, werde es weitere solcher Beispiel geben.

    Eine ganze Reihe von Ländern hat Deutschland inzwischen den Rang abgelaufen. Dazu zählen Großbritannien, Skandinavien, Spanien und Frankreich. China ist sogar noch weiter enteilt. Selbst in den USA wächst die Windkraftbranche – trotz eines Klimawandelleugners im Weißen Haus.

    Hersteller und Projektierer sind als erste von der Krise betroffen

    Die Krise erfasst allerdings nicht alle Teile der Branche gleichermaßen. Während die Anlagenhersteller und Projektier unmittelbar betroffen sind, haben Servicedienstleister wie die Deutsche Windtechnik aus Bremen noch gut zu tun. „Unser Geschäft ist immer leicht zeitversetzt“, erklärt Prokurist Hendrik Böschen gegenüber EnergieWinde. Das Unternehmen übernimmt die Wartung und Instandhaltung von Windparks meist nach fünf bis zehn Jahren von den Herstellern. „Deswegen sehen wir – anders als Hersteller oder Projektierer – direkt die Zahlen, die in den nächsten Jahren auch auf uns zukommen.“

    Das Unternehmen ist schon seit einigen Jahren im europäischen Ausland tätig, in den vergangenen beiden kamen Einheiten in den USA und in Taiwan dazu. „Wir sehen ja, dass seit zwei Jahren in Deutschland nicht mehr ausgebaut wird – da wäre es fatal, weiter nur im deutschen Markt zu bleiben. Wir würden ja sehenden Auges in die Misere laufen“, sagt Böschen. „Natürlich gehen wir dann ins Ausland.“

    Windpark in China: Die Regierung in Peking baut die erneuerbaren Energien an Land und auf See stark aus.

    Vor allem der Schritt nach Taiwan sei eine direkte Reaktion auf die Marktentwicklungen gewesen. Dort ist ein regelrechter Offshore-Boom ausgebrochen. „Wir haben gesehen, dass der Offshore-Markt dort durch die Decke geht. Also haben wir gesagt, dass wir auch nach Taiwan gehen, um diesen Boom mitzugestalten“, sagt Böschen. „Ins Ausland zu gehen, bedeutet hohe Investitionen, und die lohnen sich nur, wenn wir in die Märkte gehen, die mittel- und langfristig bestehen bleiben.“

    Das Beispiel zeigt, dass es Unternehmen, die sowohl an Land als auch auf See tätig sind, leichter fällt, die Konjunkturkrise abzufedern. Aber nicht nur Servicedienstleister drängen ins Ausland, auch Projektierer gehen diesen Weg. „Sie haben, wenn sie konnten, schon längst reagiert“, sagt Branchenkenner Norbert Allnoch, Direktor des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien (IWR).

    Der Schritt ins Ausland ist teuer – kleine Unternehmen bleiben auf der Strecke

    Was vor allem auffällt: Es sind meist die Großen, die in der Lage sind, die Expansion zu stemmen. „Die Trends in Deutschland gefährden in besonderer Form die kleinen und mittelständischen Zuliefer- und Transportbetriebe, die nicht in der Lage sind, international zu agieren“, sagt Verbandssprecher Zipf. Ähnlich geht es kleineren Ingenieurbüros, die entweder verschwinden oder Geschäftsfelder abseits der Windenergie suchen. Für die lukrativen Auslandsmärkte fehlt am Ende oft die finanzielle Basis.

    Doch auch für die Großen ist der Schritt oft schwierig. So ist China zwar der größte Windkraftmarkt der Welt, doch die Konkurrenz dort ist immens. Allein in der Rotorblattfertigung haben sich im Reich der Mitte insgesamt rund 30 ernst zu nehmende Hersteller etabliert, heißt es in einem Bericht der bundeseigenen Agentur Germany Trade & Invest. Mehr noch: Mit Envision Energy, Ming Yang und Goldwind haben sich gleich mehrere chinesische Hersteller in der Weltspitze etabliert. Getragen werden sie vom gigantischen Inlandsmarkt. Eben jener Vorteil, der deutschen Konkurrenten abhandengekommen ist.

    Es ist aber nicht nur die Krise in der Heimat, die deutsche Unternehmen zum Aufbau von Standorten in der Ferne drängt. Viele Länder setzen zudem auf sogenannten Local Content, also nationale Produktion. Das zwingt die Hersteller, Werke im Ausland aufzubauen oder mit Partnern zu fertigen. Enercon tut das in der Türkei, in Portugal oder Brasilien. Dort musste das Auricher Unternehmen allerdings kürzlich ein Werk schließen – wegen des Preisdrucks, heißt es.

    „Verlagerungen im eigentlichen Sinne – also das Schließen eines deutschen Standorts für einen internationalen Standort – haben wir noch nicht wirklich gesehen“, sagt Christoph Zipf. Doch Ökonomin Kemfert prophezeit: „Das droht ganz sicher – und weiterer Jobabbau.“

    Höhere Ausschreibungen, weniger Bürokratie: Die Lösungswege sind bekannt

    Immerhin: Noch ließe sich die Krise der deutschen Windenergie lösen, meinen Experten. Kemfert zufolge müsste die Ausschreibungsmenge mindestens verdoppelt werden. Es bräuchte mehr Flächen für Windparks und weniger Bürokratie. „Wichtiger als das Netzausbaubeschleunigungsgesetz wäre ein Windenergieausbaubeschleunigungsgesetz“, sagt Kemfert im Gespräch mit EnergieWinde.

    Ähnlich sieht es Deutsche Windtechnik-Prokurist Böschen, selbst lange bei einem Anlagenhersteller beschäftigt. „Ein starker Heimatmarkt sichert die heimischen Hersteller“, sagt er. Denn dort würden neue Anlagen getestet. „Wenn es aber keine Möglichkeiten gibt, die Anlagen aufzustellen und zu testen, dann hat auch der Heimatmarkt keine großen Vorteile mehr. Wenn ein anderer Markt mir diese Sicherheit bietet, dann gehe ich dahin.“

    Einer Studie des Hamburger Beratungsunternehmens Övermöhle zufolge bieten neben Asien und Westeuropa mittelfristig auch osteuropäische Länder solche Potenziale für deutsche Firmen. Und genau darin liegt das Glück der deutschen Windindustrie: Es gibt mittlerweile genügend Windmärkte rund um den Globus, um auszuweichen. „Die Windbranche kann froh sein“, sagt IWR-Direktor Allnoch. „Diese Chance hatte die deutsche Solarbranche nicht.“

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