Vorzeigeprojekt in der Eifel

  • Search02.10.2024

Der Windpark, den alle wollen

In vielen Orten wird gegen Windräder protestiert, in Simmerath nicht. Die Menschen in der Eifel-Gemeinde stehen hinter dem Park – weil sie konkret davon profitieren. Der Bürgermeister erklärt das Erfolgsrezept.

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    22 Windräder stehen im Wald von Simmerath. Sie finanzieren das Schwimmbad und die Fußballplätze und senken die Steuerlast.

    22 Windräder stehen im Wald von Simmerath. Sie finanzieren das Schwimmbad und die Fußballplätze und senken die Steuerlast.

     

    Die Prognosen für Simmerath waren alles andere als rosig: Ein Einwohnerschwund von zehn Prozent wurde der Gemeinde im letzten Bevölkerungszensus prophezeit. Doch das Gegenteil trat ein. Denn die Lebensbedingungen vor Ort sind gut – nicht zuletzt dank der sprudelnden Erlöse eines Bürgerwindparks. Bürgermeister Bernd Goffart über ein Projekt mit bundesweiter Strahlkraft.

    Herr Goffart, die Gemeinde Simmerath profitiert stark von der Windkraft – wie ist das gelungen?
    Bernd Goffart: Auf gemeindeeigenen Flächen drehen sich bei uns 22 Windräder. Sieben davon bilden einen echten Bürgerwindpark. Das bedeutet, dass der Betreiber nicht nur Pacht, Gewerbesteuer und die im EEG vorgesehenen 0,2 Cent pro Kilowattstunde an uns zahlt. Darüber hinaus erhalten wir eine Gewinnbeteiligung und haben anfangs eine hohe Einmalzahlung bekommen. Anders als bei Genossenschaften oder Investorenprojekten profitieren also nicht nur Einzelne von der Windkraft, sondern alle Bürgerinnen und Bürger unserer Gemeinde. Dass so die Allgemeinheit anstelle privater Investoren beteiligt wird, hat deutschlandweit Vorbildcharakter. Es gibt zahlreiche Anfragen von Kommunen, die sich austauschen und von unseren Erfahrungen lernen wollen, wie wir bei der Windenergie die Bürgerakzeptanz gewonnen haben.

    Bernd Goffart, 54, ist seit knapp vier Jahren Bürgermeister der Gemeinde Simmerath in der Eifel. Der diplomierte Verwaltungswirt ist Mitglied der CDU. Seine Kandidatur haben auch die Grünen vor Ort unterstützt. Der Bürgerwindpark in seiner Gemeinde macht Goffart zum gefragten Gesprächspartner: Viele andere Gemeinden informieren sich bei ihm über das Vorzeigeprojekt. Foto: Gemeinde Simmerath

    Was haben die Menschen in Simmerath konkret davon?
    Goffart: In unserem Gemeindehaushalt mit rund 50 Millionen Euro jährlichem Volumen stammen etwa zwei Millionen Euro aus der Windkraft. Im Vergleich mit allen benachbarten Kommunen sind Grund- und Gewerbesteuern in Simmerath nur etwa halb so hoch. Wir haben weniger Schulden und konnten uns mehr leisten. Die Gemeinde hat ein neues familienfreundliches Schwimmbad mit drei Becken gebaut. Der offene Ganztag findet in eigenen Räumen und nicht in den Unterrichtsräumen statt. Und die Fußballmannschaften aus unseren Ortschaften können auf vier Kunstrasenplätzen spielen. All das trägt zur Lebensqualität und Attraktivität gerade für junge Familien bei. Anders als das Umland wächst unsere Gemeinde. Beim letzten Zensus lautete die Prognose, dass unsere Bevölkerung um zehn Prozent schrumpfen wird. Stattdessen haben wir jetzt ein Plus von zehn Prozent – eine sensationelle Entwicklung.

    Stürme und Borkenkäfer haben dem Simmerather Forst stark zugesetzt. Für die Windräder wurden nicht mehr Bäume gefällt, als ohnehin pro Jahr vorgesehen sind.

    Stürme und Borkenkäfer haben dem Simmerather Forst stark zugesetzt. Für die Windräder wurden nicht mehr Bäume gefällt, als ohnehin pro Jahr vorgesehen sind.

    War viel Überzeugungsarbeit notwendig?
    Goffart: Zunächst gab es wegen des Schattenwurfs und der Lautstärke der Windräder einige Bedenken. Diese konnten wir aber mit einer offenen Kommunikation weitgehend ausräumen. Und wir setzen niemandem eine Anlage direkt vor die Nase. Als es in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2010 möglich wurde, Windräder im Wald zu errichten, wurde auch über das Thema Naturschutz diskutiert. Unser Bürgerwindpark, den die Stadtwerke Aachen betreiben, steht aber in einem reinen Nutzforst. Die Fichten sind durch Borkenkäfer und Windbruch an vielen Stellen geschädigt. Um Platz für Turbinen zu schaffen, schlagen wir nicht mehr Bäume ein, als ohnehin in dem Jahr geplant ist. Weil jeder Bürger weiß, dass alle profitieren, gibt es inzwischen keinen Gegenwind mehr. Gerichtliche Klagen kamen anfangs auch nur von Umweltschutzverbänden und nicht von Privatleuten.

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    Neulich wollte ein Fernsehteam kritische Stimmen einfangen. Die Reporter haben mir erzählt, dass sie nach einer Stunde aufgegeben haben

    Bernd Goffart

    Die Vorzeigegemeinde Simmerath wird jetzt sogar überregional beachtet …
    Goffart: Ja, der Besuch von Hendrik Wüst und Olaf Scholz im vorigen Jahr hat der Akzeptanz für die Windkraft bei uns noch mal einen Schub gegeben. Dass sich der Ministerpräsident und der Bundeskanzler für den Windpark in unserem Wald und für das Konzept dahinter interessieren, war für viele in der Gemeinde der Anlass, sich genauer zu informieren. Viele unserer Bürgerinnen und Bürger haben dadurch erstmals verstanden, wie sehr die Windkraft der Gemeinde hilft und warum sie deshalb weniger Steuern zahlen. Neulich wollte ein Fernsehteam in unserer Einkaufsstraße kritische Stimmen einfangen. Die Reporter haben mir erzählt, dass sie nach einer Stunde aufgegeben haben.

    Bürgerwindpark Simmerath: Bundeskanzler Olaf Scholz und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst besuchen das Vorzeigeprojekt in der Eifel.

    Bildungsreise zum Bürgerwindpark: Kanzler Olaf Scholz und Ministerpräsident Hendrik Wüst ließen sich im August von Bürgermeister Goffart erklären, warum in Simmerath funktioniert, was an vielen anderen Orten im Land auf Widerstand stößt.

    Sind Betreiber denn bereit, sich auf Ihre Bedingungen einzulassen?
    Goffart: Es gibt genügend Interessenten, und wir vergeben die Flächen an denjenigen, der am meisten bietet. Wir sind in der glücklichen Lage, dass unsere Kammlagen am Rand der Eifel sehr exponiert und ertragreiche Windstandorte sind. Für Betreiber ist außerdem attraktiv, dass sie mit der Gemeinde nur einen Partner haben, der einzubinden ist. Wenn bei anderen Modellen zum Beispiel Bürgerversammlungen einberufen werden müssen, ist das viel komplizierter.

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    Zwei weitere echte Bürgerwindparks sind bereits in der Projektierung. Damit werden unsere Einnahmen durch die Windkraft auf rund sechs Millionen Euro pro Jahr steigen

    Bernd Goffart

    Planen Sie, die erneuerbaren Energien weiter auszubauen?
    Goffart: Andere erklären in Resolutionen, dass sie 2030 klimaneutral sein wollen und reden viel darüber – wir in Simmerath machen einfach. In Simmerath werden schon jetzt rund 187 Prozent des eigenen Strombedarfs regenerativ produziert. Damit sind wir Exporteur umweltfreundlich erzeugten Stroms. Obwohl sich energieintensive Betriebe wie eine Druckerei und eine Gießerei angesiedelt haben, wird die ins Umland exportierte Strommenge künftig noch größer werden. Fünf Prozent der Gemeinde sind im Flächennutzungsplan für Windräder reserviert. Zwei weitere echte Bürgerwindparks sind bereits in der Projektierung. Damit werden unsere Einnahmen durch die Windkraft auf rund sechs Millionen Euro pro Jahr steigen. Das ist aber noch nicht das Ende der Entwicklung. Für zwei oder drei Anlagen nutzen wir die sogenannte Gemeindeöffnungsklausel, die es Kommunen neuerdings ermöglicht, selbst Flächen auszuweisen. Einen Wildwuchs von Windrädern wird es bei uns trotzdem nicht geben.

    Besuch im Bürgerwindpark Simmerath: Bundeskanzler Olaf Scholz und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst lassen sich von Bürgermeister Bernd Goffarth den Windpark zeigen.

    „Wir haben weniger Schulden und konnten uns mehr leisten“: Goffart mit dem Kanzler und dem Ministerpräsidenten.

    Wollen Sie weitere grüne Erlösquellen anzapfen?
    Goffart: Wir setzen neben der Windkraft auch auf andere Geschäftsmodelle aus der Natur, um Einnahmen für unseren Haushalt zu generieren. Wenn andernorts Flächen versiegelt werden, zum Beispiel für einen neuen Supermarkt, muss das ausgeglichen werden. Dafür gibt es ein System mit sogenannten Ökopunkten, die wir verkaufen können, weil wir der Natur in unserer Gemeinde mehr Raum geben. Wir lassen Totholz im Wald liegen, entfernen Drainagen oder schaffen Platz für seltene Pflanzenarten. Auch so stärken wir Simmerath finanziell.

    Die Fragen stellte Peter Ringel.

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