Gemeindeöffnungsklausel

  • Search03.05.2024

Turbo für lokale Windkraft

Über das Baurecht gibt der Bund Kommunen die Chance, zusätzliche Windkraftflächen auszuweisen. Die Branche setzt große Hoffnung auf das Instrument. Doch es hat Tücken, wie ein Besuch in einer Vorreitergemeinde zeigt.

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    Windpark in Schleswig-Holstein: Weil das Bundesland ohnehin schon Spitzenreiter im Windkraft-Ausbau ist, will es das Recht der Gemeinden, zusätzliche Windräder zu bauen, eng begrenzen.

    Schleswig-Holstein ist Vorreiter beim Ausbau von Windparks. Manche Gemeinden würden aber gern mehr Anlagen aufstellen als vom Land vorgesehen.

     

    Von Kathinka Burkhardt

    Ein dicker Ordner liegt vor Bürgermeister Patrick Leienbach auf dem Esszimmertisch. Darin: Hunderte Seiten Anträge, Pläne, Gutachten und Korrespondenz rund um das Projekt Trave-Landwerke. Seit 2016 arbeitet die Gemeinde Traventhal im Herzen Schleswig-Holsteins gemeinsam mit dem Projektentwickler Lorica Energiesysteme daran, eine eigene Energieversorgung aufbauen zu dürfen. Die Bausteine: Solarthermie, Strohenergie, Fotovoltaik – und ein Windpark. Doch Letzteren blockierte das Bundesland.

    „Ein Grund, weshalb ich das Amt vor knapp einem Jahr übernommen habe, war, dass ich nicht verstehen konnte, weshalb ein kommunales Projekt zur Selbstversorgung mit Strom und Wärme nicht realisiert wird“, sagt Bürgermeister Leienbach im Gespräch mit EnergieWinde. „Zumal unsere Dorfgemeinschaft dahintersteht.“

    Die Gemeindeöffnungsklausel soll die Windkraft beflügeln. Das ist dringend nötig

    Seit Januar besitzt Leienbach ein Instrument, das frischen Wind in die Pläne bringt: die sogenannte Gemeindeöffnungsklausel. Sie wurde von der Bundesregierung im Baurecht verankert, um es Gemeinden wie Traventhal zu ermöglichen, Windräder auch ohne Zustimmung des jeweiligen Bundeslands zu bauen. Sie haben damit das Recht, Flächen auszuweisen, die das Land nicht berücksichtigt hat, sofern keine anderen Nutzungspläne bestehen. Vertreter der Windindustrie sehen in dem Instrument einen möglichen „Gamechanger“ für die Energiewende.

    Und den braucht Deutschland dringend. 2023 kamen Deutschlands Windräder an Land zusammen auf eine Kapazität von 61 Gigawatt. Ende dieses Jahres sollen es bereits 69 Gigawatt sein. Doch in den ersten vier Monaten kamen lediglich 0,6 Gigawatt hinzu. Das genügt bei Weitem nicht.

    Traventhals Bürgermeister Patrick Leienbach will die Energiewende vorantreiben. Dazu setzt er auf die Gemeindeöffnungsklausel.

    Bürgermeister Patrick Leienbach kämpft für einen Windpark in Traventhal. Die Anwohner stehen hinter dem Projekt.

    Als eine der ersten Gemeinden setzt Traventhal auf die Öffnungsklausel. Das Projekt Trave-Landwerke hat Vorzeigecharakter. Nicht nur könnten die 520 Einwohner ihre Häuser zu 100 Prozent mit Wärme und Strom aus Erneuerbaren versorgen und Autos laden. Sie könnten auch eine angrenzende Gemeinde und ein Industriegebiet in Bad Segeberg beliefern. Herzstück der Wärmeversorgung soll ein saisonaler Erdbeckenspeicher nach dänischem Vorbild in Kombination mit einer Wärmepumpe werden. Daneben sind PV-Anlagen auf freien Dächern geplant, eine Biogasanlage auf Strohbasis und eine Solarthermieanlage auf einer etwa sieben Hektar großen Fläche.

    Bürgermeister Leienbach steht jetzt am Rand eines Feldes. Hier soll einmal eines der sieben Windräder für die Trave-Landwerke in den Himmel ragen. Am Horizont drehen sich die Turbinen einer Nachbargemeinde. Windkraft gehört in der Region schon lange zum Landschaftsbild. „Ohne Windkraft ist das Projekt nicht machbar“, sagt Leienbach.

    Als die Gemeindeöffnungsklausel Mitte Januar in Kraft trat, fackelte er deshalb nicht lang und beantragte das notwendige Zielabweichungsverfahren beim Land. Mit Erfolg. Die Bewilligung sei ein Meilenstein, sagte damals Stefan Hobein, Planer der Firma Lorica Energiesysteme.

    Das Land will die Öffnungsklausel begrenzen. Es hat eigene Ausbaupläne

    Denn eigentlich lehnt Schleswig-Holstein die Pläne der Gemeinde ab. Als Traventhal 2019 die Felder für seinen Flächennutzungsplan beim Land einreichte, legte das Innenministerium im letzten Moment Einspruch ein. Das Argument, die Anlagen stünden zu nahe an Wohnhäusern, stimmt zwar rechnerisch. Allerdings tragen die betroffenen Bewohner die Planung mit.

    Trotzdem beharrt das Land auf seinem Regionalplan Windenergie. Turbinen in Traventhal sind darin nicht vorgesehen. Die Gemeinde hat dagegen Klage beim Verwaltungsgericht in Schleswig eingereicht. Doch auf einen Verhandlungstermin wartet sie seit drei Jahren vergeblich. Genauso sieht es mit dem Normenkontrollantrag aus, mit dem sich die Gemeinde beim Oberverwaltungsgericht Schleswig gegen die Nicht-Berücksichtigung von Windkraftflächen im Regionalplan von Schleswig-Holstein stemmt.

    Dass Schleswig-Holstein von seiner Position abrückt, ist wenig wahrscheinlich. Denn das Land will die Gemeindeöffnungsklausel begrenzen. Mitte des Jahres soll ein Gesetz in Kraft treten, das Gemeinden in der Anwendung der Klausel enge Vorgaben machen wird. Das Grundgesetz gewährt den Bundesländern eine sogenannte Abweichungskompetenz. „Deshalb sind sie in Bezug auf das Raumabweichungsrecht in der Lage, von der Gemeindeöffnungsklausel abweichende Regeln zu erlassen, so wie es die Landesregierung in Schleswig-Holstein gerade plant“, sagt Justiziarin Elisabeth Görke vom Bundesverband WindEnergie (BWE) gegenüber EnergieWinde.

    Das Argument der Landesregierung: Es gibt bereits genügend Windparks

    Das Verhalten des Landes im Fall Traventhal sorgt bei vielen Beobachtern für Stirnrunzeln. Grundsätzlich gibt es allerdings Verständnis für die kritische Haltung zur Öffnungsklausel. Denn das Land ist Spitzenreiter in der Windkraft und hat auch für die kommenden Jahre im Gegensatz zu anderen Ländern genügend Flächen ausgewiesen.

    Windenergie nach Bundesländern: Schleswig-Holstein hat mehr Windkraftleistung im Verhältnis zur Landesfläche installiert als alle anderen Flächenländer. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Die Gemeindeöffnungsklausel könne nach einer Prognose der Landesplanung eine kommunale Windplanung auf rund 14 bis 15 Prozent der Landesfläche ermöglichen, schrieb Jörg Sibbel, Staatssekretär im Innenministerium, dazu im Januar an alle Kommunen. „Dies würde die von der Landesregierung angestrebte Konzentrationswirkung der Regionalplanung Windenergie obsolet machen und den mühsam erreichten Windfrieden im Land gefährden“, so die Begründung.

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    Wir appellieren an die Kommunen, nun umfassend von dem neuen Instrument Gebrauch zu machen

    Elisabeth Görke, BWE-Justiziarin

    Die Rückmeldung aus den Landesverbänden des BWE sei indes zum Teil positiv; einige Gemeinden etwa in Schleswig-Holstein und Niedersachsen dächten über entsprechende Schritte nach. „Aber da die Gemeindeöffnungsklausel erst im Januar in Kraft getreten ist, dauert es ein wenig, bis wir die ersten Zielabweichungsverfahren und deren Ergebnis sehen werden“, sagt Expertin Görke. „Wir appellieren an die Kommunen, nun umfassend von dem neuen Instrument Gebrauch zu machen.“

    Lorica und Traventhal müssen seit der Bestätigung ihres Zielabweichungsverfahrens zusätzliche Auflagen für die Regionalplanung des Landes erfüllen, Gutachten erneuern und einen neuen Flächennutzungsplan einreichen. „Wie lange das dauert, wissen wir nicht, es gibt da natürlich noch keine Erfahrungswerte“, sagt Leienbach. „Aber wir sind optimistisch, dass es jetzt endlich klappt.“

    Am Windpark hängt die Wärmewende in Traventhal. Aber nicht nur die

    Für das Traventhal wäre das Projekt über die Energieversorgung hinaus wichtig. Die Trave-Landwerken würden der gewerbearme Gemeinde Einnahmen bescheren, die sie für das Feuerwehrhaus benötigt, das erforderliche Sicherheitsauflagen nicht mehr erfüllt. Ein modernes Gebäude muss her, Kostenpunkt: 1,4 Millionen Euro. Einen kleinen Teil davon übernähmen das Land und der Kreis, „aber für den Rest muss sich unsere Gemeinde über lange Zeit verschulden und mögliche andere Themen komplett zurückstellen“, sagt Leienbach.

    Mit dem Projekt könnte Traventhal die Fernwärmepläne der Bundesregierung frühzeitig erfüllen. Bis 2028 müssen alle 11.000 Gemeinden in Deutschland eine kommunale Wärmeplanung vorlegen, Großstädte bereits bis 2026. Deutschland will wegkommen von Gas- und Ölheizungen. „Ich weiß nicht, wie man eine klimaneutrale Wärmeversorgung für kleine Gemeinden anders als mit einem Projekt wie unserem organisieren soll“, sagt Bürgermeister Leienbach.

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