Michael Bloss kam 2019 für die Grünen ins Europäische Parlament. Der 34-Jährige ist klima- und industriepolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er sitzt im Umwelt- und im Industrieausschuss und war Verhandlungsführer der Grünen beim europäischen Klimagesetz.
Herr Bloss, aus Brüssel hört man derzeit ständig, wie schweißtreibend die Wochen vor dem Fit-for-55-Paket waren. Hat sich die Arbeit wenigstens gelohnt?
Michael Bloss: Auf jeden Fall! Es ist großartig, dass jetzt ein Plan auf dem Tisch liegt, mit dem Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt werden will. Wer hätte das vor ein paar Jahren gedacht? Aber es wird in den nächsten ein bis zwei Jahren genauso schweißtreibend weitergehen. Jetzt befassen wir uns mit den inhaltlichen Details dieses 3500-Seiten-Entwurfs, und da werden wir Grüne im EU-Parlament noch auf viele Verbesserungen dringen. Das Ganze muss schneller gehen und ambitionierter werden. Mit dem jetzigen Entwurf kommen wir nicht auf den 1,5-Grad-Pfad. Nicht mal auf einen Zwei-Grad-Pfad.
Was kritisieren Sie?
Bloss: Vor allem drei Punkte. Erstens: Wir müssen uns auf die großen CO2-Minderungspotenziale konzentrieren, vor allem auf den Kohleausstieg. Dadurch kann man einfach und extrem schnell extrem viel CO2 einsparen. Bis 2030 muss in ganz Europa Schluss mit der Kohle sein. Zweitens: Wir brauchen eine Architektur, um die Industrie zu dekarbonisieren. Es muss für die Unternehmen ein Wettbewerbsvorteil sein, CO2 einzusparen. Das schafft man mit einem starken Emissionshandel. Aktuell werden viel zu viele CO2-Zertifikate verschenkt. Wenn der Preis aber nicht bei denjenigen ankommt, die die Atmosphäre verschmutzen, dann bringt er nichts – die Freifahrtscheine müssen weg! Drittens: Die soziale Dimension des Pakets ist eindeutig zu dünn ausgefallen, insbesondere beim sogenannten zweiten Emissionshandel, den die Kommission für den Verkehr und Gebäude schaffen will. Die Entwürfe sehen zwar einen Klimafonds vor, aber der reicht nicht. Das Schlimmste wäre, wenn es uns nicht gelingt, alle Menschen in Europa beim Klimaschutz mitzunehmen.
Wie könnte ein sozialer Ausgleich aussehen?
Bloss: Wir schlagen ein Bürgergeld vor, das aus den Mehreinnahmen des Emissionshandels direkt an die Menschen zurückgegeben wird. Es darf nicht sein, dass sich nur noch Vermögende in Berlin oder Paris das Autofahren leisten können, aber ärmere Menschen in Bulgarien nicht mehr. Der Klimafonds, den die EU-Kommission vorschlägt, soll nur 25 Prozent der Mehreinnahmen enthalten. Über deren Verwendung würden zudem die Mitgliedsstaaten entscheiden. Es wäre also nicht sicher, ob das Geld tatsächlich bei den Menschen ankommt oder ob damit zum Beispiel Straßen gebaut werden.