Parteiprogramme im Klimacheck

  • Search27.08.2021

Wer schützt uns vor der Klimakrise?

Keine Partei im Bundestag ist auf 1,5-Grad-Kurs – aber zwei sind dichter dran als die übrigen: Klimaexpertin Lea Nesselhauf von der überparteilichen Organisation GermanZero unterzieht die Wahlprogramme einem Klimacheck.

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    Wahlwerbung von Parteien im Bundestag: Wie klimatauglich sind die Wahlprogramme? EnergieWinde liefert den Überblick.

     

    Von Kathinka Burkhardt

    Der Corona-Stillstand war nur eine kurze Verschnaufpause: In diesem Jahr stößt Deutschland wieder fast so viel CO2 aus wie 2019, die Klimaziele für 2030 und 2040 sind akut in Gefahr. „Die nächste Bundesregierung ist die letzte, die noch die Weichen für 1,5 Grad stellen kann. Ein Weiter-so-wie-bisher wird auf keinen Fall funktionieren“, sagt Lea Nesselhauf von GermanZero. Die überparteiliche Klimaschutzorganisation hat einen 474 Seiten starken Gesetzesentwurf vorgelegt, mit dem Deutschland bis 2035 klimaneutral werden könnte; Nesselhauf war eine der Co-Autorinnen. Zusammen mit der Klima Allianz Deutschland und dem Naturschutzbund Nabu hat GermanZero zudem den „Klimawahlcheck“ entwickelt: einen Wahl-O-Mat, über den sich Bürger mit wenigen Klicks informieren können, welches Parteiprogramm den eigenen klimapolitischen Vorstellungen am nächsten kommt. (Zum Klimawahlcheck geht es hier.)

    Aus Sicht von Nesselhauf kommt es beim Klimaschutz weniger auf Einzelmaßnahmen an. Gefragt sei vielmehr ein großer Wurf – ein abgestimmtes System, das alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft umfasst. „Es herrscht eine politische Überforderung bei den Parteien: Keine hat bisher wirklich begriffen, dass sektorübergreifend gedacht und Klimaschutz betrieben werden muss“, sagt die wissenschaftliche Referentin.

    Im Gespräch mit EnergieWinde hat Nesselhauf die Parteiprogramme in zentralen Bereichen der Klimapolitik abgeklopft. Der Überblick:

    1,5-Grad, Klimaneutralität, Zwischenziele

    Alle Bundestagsparteien bekennen sich zum 1,5 Grad-Ziel, abgesehen von der AfD, die das Pariser Abkommen aufkündigen will. Da sie Klimaschutz nicht als politische Aufgabe versteht, spielt sie in dieser Analyse keine Rolle.

    Die aktuellen Regierungsparteien haben sich dasselbe Ziel gesteckt: Sowohl CDU/CSU als auch SPD peilen Klimaneutralität für 2045 an. Dazu sollen die Emissionen im Vergleich zu 1990 bis 2030 um 65 Prozent und bis 2040 um 88 Prozent sinken. Die FDP will das Pariser Klimaziel nicht mit Hilfe konkreter Reduktionsziele erreichen, sondern „durch ein striktes und jährlich sinkendes CO2-Limit in einem umfassenden Emissionshandelssystem“. Sollte die EU im Laufe der Zeit die Klimaneutralität früher anstreben, könnte dies ebenfalls über den Emissionshandel bewirkt werden. Für konkrete Ideen, die zur Klimaneutralität führen sollen, sieht sich die FDP nicht zuständig: Im Programm heißt es, man überlasse den Weg dorthin dem Erfindergeist in Forschung und Technik.

    Die ambitioniertesten Ziele hat Die Linke: Mit ihr soll Deutschland bereits 2035 klimaneutral sein. Die Grünen legen sich nicht auf ein genaues Jahr fest, wollen aber ebenfalls vor 2045 emissionsfrei wirtschaften und dafür 70 Prozent der Emissionen bis 2030 einsparen.

    Für 1,5 Grad reicht das aus Sicht der Wissenschaft allerdings nicht: Die Helmholtz-Klima-Initiative geht von einem verbleibenden Budget von etwa 7,8 Gigatonnen CO2 für Deutschland ab 2021 aus. Das ist das Zehnfache des gegenwärtigen jährlichen Ausstoßes. Das Budget dürfte also in den Dreißigerjahren aufgebraucht sein. „Zwar haben alle Parteien das 1,5-Grad-Ziel in ihr Programm geschrieben, aber wenn man als Richtwert das Treibhausgas-Restbudget nimmt, das Deutschland zum Einhalten des Pariser Abkommens verbleibt, würden alle Parteien mit den von ihnen formulierten Zielen darüber hinaus schießen“, sagt auch Nesselhauf.

    Lea Nesselhauf von GermanZero hat die Wahlprogramme der Bundestagsparteien einem Klimacheck unterzogen. Linke und Grüne kommen mit ihrem Plänen dem 1,5-Grad-Ziel am nähesten.

    Die Industrie ist im Klimaschutz oft schon weiter als die Politik, sagt Lea Nesselhauf, wissenschaftliche Referentin von GermanZero.

    Ausbau der Erneuerbaren, Solardächer und Emissionshandel

    „Im Energiebereich haben tatsächlich alle erkannt, dass die Transformation nur funktionieren wird, wenn wir die Erneuerbaren stark ausbauen“, sagt Nesselhauf. Aber wirklich ambitioniert treten dabei erneut nur Grüne und Linke auf: 100 Prozent erneuerbaren Strom ab 2030 fordern die Grünen; auch die Linken wollen den damit verbundenen schnelleren Ausstieg aus der Kohle und den CO2-Preis für fossile Energieträger entsprechend steigen lassen. Die Union setzt ebenfalls auf den Emissionshandel und will diesen rasch auf die Sektoren Mobilität, Wärme, Schiffs- und Luftverkehr ausdehnen. Einen Ausbaupfad für Erneuerbare oder andere Maßnahmen für mehr Ökostrom sucht man in ihrem Wahlprogramm allerdings vergeblich.

    Die Grünen werden konkreter: Zwei Prozent der Landesfläche sollen den Erneuerbaren zur Verfügung stehen; gefordert wird ein Zubau von fünf bis sechs Gigawatt Wind an Land, ab 2025 dann sieben bis acht Gigawatt. Bis 2035 sollen 35 Gigawatt Offshore-Wind installiert werden. Die Solarenergie soll ab 2025 jährlich um 18 bis 20 Gigawatt wachsen. Wie Linke und SPD setzen die Grünen auf die Förderung von Bürgerprojekten. Die beiden kleineren Parteien wollen zudem die Solarpflicht auf Dächern nicht wie SPD und CDU/CSU auf den öffentlichen Sektor begrenzen, sondern schon in der nächsten Legislaturperiode auf alle Häuser ausweiten.

    Die FDP setzt einmal mehr auf die Kräfte des freien Marktes: die Erneuerbaren seien in der Vergangenheit genug gefördert worden und müssten sich von nun an ohne staatliche Unterstützung oder Förderpfade durchsetzen.

    Aber an das entscheidende Problem der gesetzlichen Verfahren und Auflagen zum Ausbau der Erneuerbaren wagt sich aus Sicht von Nesselhauf keine Partei heran: „Das bestehende Rechtssystem reicht nicht aus, um den erforderlichen Ausbau der Erneuerbaren zu schaffen.“

    Nahverkehr, Verbrennungsmotor und Tempolimits

    Ob Auto, Flugzeug oder Bus und Bahn – im Verkehr gibt es große Hebel für den Klimaschutz. In zumindest einem Projekt sind die Parteien sich einig: Der innerdeutsche Flugverkehr soll reduziert und das Netz der Bahn ausgebaut werden. Umstritten ist die Zukunft des Verbrennungsmotors. Während etwa Großbritannien und Schweden bereits ein Verfallsdatum dafür festgelegt haben, könnte sich eine neue Bundesregierung hierbei als zögerlich erweisen, sagt Nesselhauf. „Die Industrie ist in Bezug dieses Thema schon viel weiter als die Politik. Aber es ist ein emotionales Reizthema, bei dem sich keine Partei festlegen möchte“, sagt Nesselhauf.

    Die beiden großen Parteien wollten es sich zudem nicht mit der Autoindustrie oder der autoabhängigen Wählerschaft verscherzen. So plant die SPD immerhin 15 Millionen E-Fahrzeuge bis 2030, ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen und Modellprojekte für einen ticketfreien Nahverkehr. Bei der CDU heißt es, Mobilität sei ein „Ausdruck individueller Freiheit“. Den Verbrenner lässt sie unangetastet.

    Dagegen wollen Linke wie auch Grüne in einer Regierung den Vorrang des Autos beschneiden: Tempolimits sowie die Förderung des Nahverkehrs sind Kernmaßnahmen ihrer Programme. Zudem soll es ab 2030 keine Neuzulassungen für Verbrennungsmotoren geben. Offen bleibt, wie lange vorher zugelassene Autos noch fahren dürfen.

    Und die FDP? Will den Klimaschutz auch im Verkehr dem Markt überlassen, indem sie den Sektor in den CO2-Emissionshandel einbezieht. Von Tempolimits, Motorverboten oder E-Mobilitätsförderungen hält sie nichts.

    Plakate von CDU und Grünen: GermanZero-Expertin Lea Nesselhauf hat die Programme der Bundestagsparteien einem Klimacheck unterzogen.

    Fazit: die Klimapläne von Union, SPD, FDP, Linken und Grünen

    Am ambitioniertesten dürfte der Klimaschutz laut Nesselhauf in einer Regierung unter Beteiligung von Linken oder Grünen ausfallen. Während alle Programme erkennen ließen, dass viel technisches Know-how vorhanden ist, bleiben Nesselhauf doch Zweifel, ob sich die Politiker durchweg der Komplexität der Klimakrise bewusst seien. „Das Problem besteht in dem vorhandenen Silo-Denken. Unser Eindruck ist, dass noch nicht in allen Parteien verstanden worden ist, dass der Klimaschutz systemisch gedacht werden muss“, sagt Nesselhauf. „Die einzelnen Bereiche müssen aufeinander abgestimmt sein, damit der Klimaschutz funktioniert – und das sehen wir in den Programmen leider nicht.“

    Allerdings zeigt die Geschichte, dass nicht allein Wahlprogramme über den Verlauf einer Legislaturperiode entscheiden. Schon die Koalitionsgespräche entwickeln eine eigene Dynamik, später verändern gesellschaftliche Prozesse und politische Entwicklungen die Politik laufend. Zudem gibt es in allen Parteien Kräfte, die für mehr Klimaschutz kämpfen, als sich in den offiziellen Programmen findet. Solche Kräfte gilt es aus Sicht von Lea Nesselhauf zu stärken.

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