Energieökonom Andreas Löschel

  • Search08.03.2022

„Massive wirtschaftliche Verwerfungen“

Kann Deutschland komplett auf Gas, Öl und Kohle aus Russland verzichten? Ja, sagt der Energiewissenschaftler Andreas Löschel. Im Interview erklärt er, was die Bundesregierung jetzt tun kann, um die Versorgung zu sichern – und warum der Kohleausstieg 2030 weiter möglich bleibt.

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    Der Ökonom Andreas Löschel ist Professor für Umwelt-/Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum und berät als Leiter der Kommission Energie der Zukunft die Bundesregierung. Zudem arbeitet er als Leitautor am Weltklimabericht mit.

     

    Deutschlands Energieversorgung hängt von Russland ab. Von dort stammen 55 Prozent des in Deutschland verbrauchten Erdgases, 34 Prozent des Erdöls und 45 Prozent der Steinkohle. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sucht die Bundesregierung mit Hochdruck nach alternativen Lieferanten. Langfristig sei ein Verzicht auf russische Lieferungen unproblematisch, da er im Zuge der Energiewende ohnehin eingeplant sei, sagt Andreas Löschel. In den kommenden zwei bis drei Wintern allerdings werde es kompliziert. Im Interview erklärt der Energieökonom, welche Rolle Kohle, Gas und Erneuerbare künftig spielen und auf welche Entwicklungen sich Verbraucher und die Industrie gefasst machen müssen.

    Herr Löschel, was muss passieren, wenn sich Deutschland aus der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen befreien will?
    Andreas Löschel: Man muss zwischen der kurzfristigen und der langfristigen Perspektive unterscheiden. Langfristig ist Deutschland bereits auf einem guten Weg, weil der Ausstieg aus fossilen Energieträgern bis 2045 ohnehin beschlossene Sache ist. Kurzfristig, also mit Blick auf die nächsten zwei oder drei Winter, ist es komplizierter. Deutschland kommt aber gar nicht umhin, so schnell wie möglich eine Reihe von Maßnahmen zu ergreifen. Schließlich erleben wir, dass die Energieversorgung unsicher geworden ist, und das von gleich zwei Seiten: Zum einen könnte Russland von sich aus entscheiden, den Hahn komplett zuzudrehen – es fließt ja bereits seit Mitte vergangenen Jahres weniger Gas. Zum anderen stehen Deutschland und Europa unter Druck, weniger Erdgas, Kohle und Öl aus Russland abzunehmen, um den russischen Haushalt und damit indirekt auch den Krieg gegen die Ukraine nicht zu finanzieren. Aktuell überweisen wir jeden Tag mehrere Hundert Millionen Euro nach Russland.

    Die Karte zeigt, wie Europa sich über Pipelines und LNG-Terminals mit Erdgas versorgt und wo neue Flüssiggas-Terminals geplant sind. Infografik: Benedikt Grotjahn

    An welche kurzfristigen Schritte denken Sie?
    Löschel: Ich sehe drei Hebel. Zum Ersten kann Deutschland seine Gasversorgung diversifizieren. Es gibt noch gewisse Spielräume beim Pipeline-Gas aus Norwegen und Nordafrika, eventuell auch aus den Niederlanden. Zudem hat Europa in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr als 20 LNG-Terminals aufgebaut, über die wir Flüssigerdgas zum Beispiel aus den USA oder Katar importieren können. Das hilft uns momentan enorm, die Ausfälle aus Russland zumindest teilweise zu kompensieren. Zum Zweiten kann Deutschland dafür sorgen, dass die Speicher rechtzeitig vor dem nächsten Winter ausreichend gefüllt sind. Die Bundesregierung hat ja bereits angekündigt, dass sie einen Mindestspeicherstand vorschreiben will. Das ist in der derzeitigen Notfallsituation auch richtig. Und zum Dritten muss sich auf der Nachfrageseite etwas tun.

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    Wir müssen die Energie in der Zukunft deutlich effizienter nutzen, in der Industrie genauso wie zum Beispiel beim Heizen mit Fernwärmenetzen oder Wärmepumpen

    Andreas Löschel

    Wir sollten unseren Verbrauch einschränken?
    Löschel: Genau. Das passiert angesichts der hohen Gaspreise auch bereits. Viele Unternehmen können die Kosten nicht an ihre Kunden weitergeben und suchen nach Alternativen zum Gas oder fahren sogar die Produktion herunter. Aber auch die Haushalte haben begonnen, sich einzuschränken. Zudem müssen wir die Energie in der Zukunft deutlich effizienter nutzen, in der Industrie genauso wie zum Beispiel beim Heizen mit Fernwärmenetzen oder Wärmepumpen. Das ist ein Punkt, der in der politischen Diskussion aus meiner Sicht viel zu kurz kommt. Ich bin aber optimistisch, dass das automatisch passieren wird, eben weil Strom, Gas und Öl so teuer sind.

    Wird das im Fall eines kompletten Wegfalls russischer Gasimporte reichen? Bleiben unsere Heizungen im nächsten Winter warm?
    Löschel: Niemand wird frieren müssen. Aber die Kosten werden sehr hoch sein, wir werden massive wirtschaftliche Verwerfungen sehen, in der Industrie genauso wie bei den Privathaushalten. Und zwar fast unabhängig davon, ob der Gashahn aufbleibt oder geschlossen wird.

    Auslastung der europäischen LNG-Terminals (Flüssiggas) von 2013 bis 2022: Der Chart zeigt, dass die Auslastung in den vergangenen zwei Jahren deutlich gestiegen ist. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Für Kohle und Öl gibt es funktionierende Weltmärkte, auf denen Deutschland einkaufen kann. Beim Gas ist das trotz LNG schwieriger. In welchen Bereichen können wir am ehesten darauf verzichten?
    Löschel: Vor allem in der Stromerzeugung. Dort wird Gas in naher Zukunft vermutlich keine besonders große Rolle spielen, schon weil es zu teuer ist. Die Lücke werden zum einen die Erneuerbaren füllen – ich gehe mal davon aus, dass wir in diesem Jahr eine deutlich höhere Wind-Ausbeute haben werden als im ungewöhnlich windarmen letzten Jahr – und zum anderen in noch stärkerem Maß die Kohle. Es wird sicher noch einmal darüber nachgedacht, in welchem Tempo Kohlekraftwerke stillgelegt werden und welche Kapazitäten man womöglich in Reserve halten muss.

    Flüssigerdgas (LNG) wird per Tankschiff aus Ländern wie Katar oder den USA nach Europa importiert. Im Bild: Die „Stena Blue Sky“.

    Flüssigerdgas (LNG) kann per Tankschiff aus Ländern wie den USA importiert werden.

    Mehr Kohle – für das Klima ist das keine gute Nachricht.
    Löschel: Wenn Sie die nächsten zwei bis drei Jahre betrachten, haben Sie Recht. Mittel- und langfristig ist die Perspektive eine andere. Aus meiner Sicht kann der Kohleausstieg trotzdem weitgehend im Jahr 2030 erfolgen, weil wir jetzt noch mehr Augenmerk auf die Alternativen legen werden.

    In Form höherer Ausbauziele für die Erneuerbaren?
    Löschel: Ich glaube, die Bundesregierung hat sich bereits sehr hohe Ziele gesetzt. Da bewegen wir uns nah am Maximum des Machbaren. Aber jetzt wird es eine viel größere Unterstützung für die Umsetzung der Energiewende geben, weil die Menschen begreifen, dass die Kosten der fossilen Energien bislang nicht voll eingepreist waren – nicht nur mit Blick auf die Folgekosten für das Klima, sondern auch in punkto Versorgungssicherheit.

    55 Prozent des Erdgases, das in Deutschland verbraucht wird, stammen aus Russland, zudem 34 Prozent des Erdöls und 45 Prozent der Steinkohle. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Zu dieser Versorgungssicherheit zählt die Bundesregierung auch zwei LNG-Terminals, die in Wilhelmshaven und Brunsbüttel gebaut werden sollen. Kommen diese Anlagen noch rechtzeitig, um in der aktuellen Krise zu helfen?
    Löschel: Das ist die große Frage. In der langen Sicht werden die Terminals sicher nicht stark ausgelastet sein. Erdgas wird in Zukunft eine kleinere Rolle spielen und das Enddatum für den Gasverbrauch in Deutschland steht mit der Klimaneutralität 2045 sowieso fest. Meine Einschätzung ist, dass die Terminals nicht groß gebraucht werden, wenn sie in drei Jahren erst da sind, aber eine Rückversicherung darstellen können. Wir müssen jetzt erst mal durch die nächsten zwei, drei Winter kommen. Danach sieht die Lage anders aus.

    Gilt das auch für die Energiepreise? Was erwarten Sie insbesondere für den Strompreis in den kommenden Jahren?
    Löschel: Wir sehen ja, wie die Preise auch ohne physische Knappheiten explodiert sind, nicht nur bei Erdgas, sondern eben auch bei Strom, Kohle und Öl. Das wird zu einem großen Teil getrieben von den aktuellen politischen Unsicherheiten. Die werden sich in den nächsten Wochen auflösen, die Preise werden aber noch einige Zeit hoch bleiben.

    Die Fragen stellte Volker Kühn.

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