So könnte ein Offshore-Windpark aus Vertikalwindrädern aussehen: Visualisierung des schwedischen Unternehmens SeaTwirl.
Windräder, die sich um die Längsachse drehen
- 23.05.2019
Vertikales Gewerbe
Von Daniel Hautmann
Eine der ältesten bekannten Anlagen in der Geschichte der Windenergie ist die Persische Windmühle. Sie wurde vermutlich ab dem siebten Jahrhundert gebaut und zum Kornmahlen genutzt. Die Flügel der niedrigen Anlage bestanden aus hölzernen Gerüsten, die sich, mit Stoff bespannt, um eine vertikale Achse bewegten.
Heute sieht man sogenannte Vertikalachser kaum noch. Weltweit hat sich das horizontale Konzept durchgesetzt. Dabei sitzt die Maschinengondel auf einem hohen Turm, die Flügel rotieren um eine horizontale Achse, meist auf der dem Wind zugeneigten Seite. Praktisch immer werden drei Rotorblätter angebaut – weil so ein ausgewogenes Bild entsteht, und die Windausbeute ideal ist. Dieser Anlagentyp hat sich global millionenfach bewährt.
Dennoch gibt es immer wieder Ingenieure, die das Rad neu erfinden, beziehungsweise zurück zum Vertikalachser wollen. Schließlich habe das Konzept enorme Vorteile, behaupten sie. Der wichtigste: Die Anlagen müssen dem Wind nicht aufwendig nachgeführt werden, da sie aus jeder erdenklichen Richtung ideal angeströmt werden. Das prädestiniere sie für böige Standorte.
Kleine Vertikalmaschinen sieht man deshalb am ehesten noch auf Gebäudedächern, etwa auf der Hamburger Greenpeace-Zentrale. Doch ausgerechnet dort stehen die Flügel der drei Anlagen meist still. Über den Grund kann man nur spekulieren: Die Wartungskosten seien zu hoch. Es gäbe bauliche Mängel, zudem wirtschaftliche Probleme, wird gemunkelt. Was immer der Grund sein mag, klar ist: Die drei prominent platzierten Anlagen sind denkbar schlechte Botschafter für die Vertikal-Technologie.
Mindestens ein Flügel kämpft bei Vertikalwindrädern gegen den Wind an
Dass sich Vertikalachser bisher nicht durchsetzen konnten, liege an ihrem prinzipbedingt schlechterem Wirkungsgrad, sagen die Kritiker. Während bei einer konventionellen Windturbine alle Rotorblätter gleichzeitig vom Wind angeströmt werden, muss bei aufrecht stehenden Rotoren stets mindestens ein Flügel gegen den Wind ankämpfen. „Physikalisch sind Vertikalachsen-Windturbinen daher um mindestens 30 Prozent leistungsschwächer als die heute üblichen Horizontalachsenläufer“, sagt Windenergieexperte Heiner Dörner vom Institut für Flugzeugbau an der Universität Stuttgart.
Diesem Argument begegnen die Befürworter mit dem Einwand, es gehe nicht immer um die Effizienz, sondern vielmehr um die Kosten je erzeugter Kilowattstunde Strom. Einer dieser Befürworter ist Patrick Richter, Geschäftsführer des 2010 in der Schweiz gegründeten Unternehmens Agile Wind Power.
Vertikalläufer machen eigentlich nur Probleme. Wir haben dies gelöst
Patrick Richter, Chef von Agile Wind Power
Richter will der Vertikaltechnik zum Durchbruch verhelfen. Mit seinem Team hat er in den vergangenen Jahren einen Vertikalachser entwickelt und zur Reife gebracht, wie er sagt. Der Prototyp der Maschine namens „Vertical Sky A32“ wird gerade auf einem Windtestfeld in Grevenbroich installiert. Ab Herbst soll er ausgiebig getestet und zertifiziert werden. Die Anlagendaten beeindrucken: 105 Meter hoch, 32 Meter Durchmesser, 750 Kilowatt Nennleistung.
„Vertikalläufer machen eigentlich nur Probleme“, sagt Richter. „Wir haben dies gelöst. Unserer Kerntechnologie, eine robuste Echtzeit-Rotorblatt-Pitch-Steuerung, justiert die Rotorblätter permanent.“
Richter möchte mit seiner Anlage Standorte erschließen, die bislang tabu für Windkraftanlagen sind: „Unsere Anlage ist sehr leise. Dadurch kann sie näher an besiedelte Gebiete gebaut werden.“ Zudem könne man die Maschine ohne Sondertransporte und Spezialkran installieren. Die Schweizer fokussieren sich auf die Direktbelieferung von Gemeinden oder Industrie. Die Kilowattstunde wollen sie für fünf bis sieben Cent produzieren.
Windkraft-Professor Po Wen-Cheng, von der Universität Stuttgart, kann der Anlage einiges abgewinnen, ist aber skeptisch: „Mit der periodischen Blattverstellung haben die Schweizer das Konzept verbessert. Es bleibt aber abzuwarten, ob es auch wirtschaftlich und in Sachen Schall vorteilhaft ist. Die Vertikalwindkraft bleibt ein schwieriges Thema.“
Während sich die Eidgenossen auf das Binnenland konzentrieren, wollen andere Hersteller mit ihren Vertikalachsern aufs Meer. Fast schon ein Veteran diesbezüglich ist Steven Peace, Chef des britischen Unternehmens Vertax Wind Ltd. Vertax will schon seit fast zehn Jahren ein Windrad bauen, dass leistungsmäßig an die dreiflügeligen Spitzenreiter herankommt: zehn Megawatt. Peace zeigte sich im Interview schon vor Jahren von Vertikalwindrädern überzeugt: Die Anlagen seien preiswerter und robuster. Mit dem Vertikalkonzept sei es einfacher, große Anlagen zu bauen.
Und so sieht sein Traum aus: Die 110 Meter langen Rotorblätter haben über ihre gesamte Länge das gleiche Profil und können in je zwölf Meter langen Einzelteilen gefertigt werden. Die Blattsegmente könnten in praktisch jeder Hinterhofwerkstatt gefertigt und mit normalen Lkw zur Kaikante transportiert werden.
Die Stromerzeugung sollen gleich zwei getriebelose Generatoren mit je fünf Megawatt übernehmen, einer oben und einer unten. Damit schlägt Vertax zwei Fliegen mit einer Klappe: Der Rotor ist doppelt gelagert, der Generator redundant vorhanden. Zudem sei er keine Sonderanfertigung für Windkraftzwecke, sondern ein erprobtes Serienteil aus der Wasserkraftwerkstechnik. „Wir wollen das Rad nicht neu erfinden. Wir nehmen viele bereits erfundene Räder und fügen sie neu zusammen“, sagte Vertax-Vorstand Peter Hunter – ebenfalls vor etwa zehn Jahren.
Eine Erfolgsmeldung beim Bau von Vertikalwindrädern kommt aus Schweden
In der Theorie klingt das großartig. Aber was ist draus geworden? Gebaut wurde bis heute keine Anlage. Das letzte Lebenszeichen des Unternehmens stammt aus 2017. Da vereinbarten die Briten einen Vertrag mit dem Generatorlieferanten C-Gen.
Eine ähnliche Geschichte hat das Projekt Vertiwind, vom französischen Unternehmen Nenuphar, hinter sich. Einen kleinen Prototyp errichteten die Franzosen zwar, doch aus dem eigentlichen Ziel, eine schwimmende Zwei-Megawatt-Anlage auf dem einem Testfeld im Mittelmeer aufzustellen, wurde nichts. Mittlerweile ist Nenuphar pleite.
Doch es gibt auch Erfolgsmeldungen: Das schwedische Unternehmen SeaTwirl scheint sich recht gut über Wasser zu halten. Auch hier geht es um schwimmende Anlagen. 2015 wurde ein 30-Kilowatt-Prototyp in Schweden installiert. Im Moment entwickeln sie eine Ein-Megawatt-Maschine. Die Anlage unterscheidet sich schon auf den ersten Blick von anderen Vertikalläufern: Ihre drei Rotorblätter ragen nicht senkrecht in den Himmel, sondern winden sich um den Turm herum. So wollen die Schweden die Last besser verteilen.
Vor wenigen Wochen meldeten die SeaTwirl-Macher, dass ihr Patent nun auch in China zugelassen wurde – einem der wichtigsten Offshore-Windmärkte weltweit. Vielleicht dreht die Vertikal-Windkraft ja doch noch das ganz große Rad?