Der Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW hat bislang an 250 Strommasten und 48 Umspannwerken Wetterstationen und Sensoren installiert. „Wir erfassen die Temperatur und auch den Wind kleinräumig, was uns im täglichen Netzbetrieb deutlich mehr Spielraum gibt“, wird Projektleiter Alexander Hofmann in einer Mitteilung des Unternehmens zitiert. „Das System hilft uns zunächst, die verwendeten Prognosewerte zu prüfen und bei Bedarf anzupassen. Ab 2023 wird dann für jede Leitung individuell und in Echtzeit ermittelt, welche Übertragungskapazitäten im Bedarfsfall zur Verfügung stehen.“
Auch Tennet setzt auf das Monitoring. Von seinem rund 13.000 Kilometer langen Höchstspannungsnetz sind mehr als 4200 Kilometer für den witterungsabhängigen Freileitungsbetrieb optimiert. „Bislang ist das aber noch eine weitestgehend analoge Erfassung. Heißt: Wetterdaten dienen als Grundlage. Wir reden also von einem indirekten System“, sagt Markus Lieberknecht.
20 bis 50 Prozent mehr Strom in der Leitung: Sensoren am Seil machen es möglich
Am Freileitungsmonitoring forscht auch Thomas Kanefendt, Fachmann für den witterungsabhängigen Freileitungsbetrieb, am Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik in Kassel. „In vielen Stromkreisen kann man in 80 Prozent der Zeit locker 20 Prozent mehr Strom auf die Leitungen geben“, sagt er. Allerdings nur, wenn es die anderen Netzbetriebsmittel wie Transformatoren zulassen. „In manchen Fällen können einzelne Stromkreise sogar mehr als 50 Prozent höher ausgelastet werden“, sagt Kanefendt im Gespräch mit EnergieWinde.
Um das Potenzial voll auszuschöpfen, müssen die Werte aber direkt am Seil gemessen werden. Dazu sind spezielle Sensoren nötig. Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration in Berlin arbeiten daran. Gemeinsam mit Partnern haben sie „Astrose“ entwickelt, einen fußballgroßen Funksensor, der die Neigung und die Torsion (Verdrehung) des Seils sowie die Stromstärke erfasst. Seine Energie bezieht er direkt aus dem Leiterseil, somit ist der unabhängige Betrieb gesichert. Jeder Sensor funkt seine Daten an den Nachbarn, zum Netzbetreiber übertragen wird dann gebündelt.
Der Aufwand ist groß. Ob er sich lohnt, hängt vom Einzelfall ab
2014 begann der Probebetrieb eines solchen Sensornetzwerks mit 59 Funksensorknoten an einer 110-Kilovolt-Freileitung im Harz. Sie verläuft über Stadtflächen, Äcker, Waldschneisen und weite Täler. In einem so unterschiedlichen Gelände würden Daten einzelner Wetterstationen in der Umgebung nicht ausreichen. Allerdings: „Der Aufwand ist enorm und die Kosten-Nutzen-Rechnung schwer zu erstellen“, sagt Kanefendt. Denn um die Sensoren installieren zu können, muss die Leitung abgeschaltet werden. Zudem müssen die Werte sicher übertragen und schließlich interpretiert und in Prognosen umgewandelt werden.
An einem ähnlichen System arbeiten Karlsruher Wissenschaftler im Projekt PrognoNetz. Sie wollen ein flächendeckendes, meteorologisches Netzwerk erproben, das mittels intelligenten Sensorknoten die Witterungsbedingungen nah genug an den Freileitungen misst. Statt Kameras setzen sie auf laserbasierte Systeme. Entscheidend sei, dass diese Sensoren untereinander vernetzt sind und das System selbstlernend ist. Einzelne Sensoren haben zwar wenig Informationen, das Sensornetzwerk beziehungsweise das System kann aber räumliche Profile erkennen.
Das Monitoring ersetzt den Ausbau der Netze nicht. Aber es macht sie effizienter
Das Projekt wird gerade an zwei Trassen des Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW getestet. Letztlich sollen die smarten Sensoren die Durchleitungskapazitäten sogar selbst einstellen und regeln und eigenständig entscheiden, wie viel Strom zu welcher Zeit durch eine bestimmte Leitung fließen kann. Theoretisch können sie das auch, praktisch jedoch ist das Steuern Aufgabe des Menschen. Denn das Stromnetz gehört zur sogenannten kritischen Infrastruktur.
Allein kann das Freileitungsmonitoring die Probleme des Stromtransports zwar nicht lösen – es ist kein Ersatz für den Netzausbau und ändert nichts daran, dass auch im Süden des Landes mehr Windräder gebaut werden müssen, um die Stromerzeugung zu dezentralisieren. Aber es sorgt für eine bessere Auslastung der milliardenteuren Netze.
Über Freileitungsmonitoring schreibt unser Autor Daniel Hautmann auch in seinem Buch „Windkraft neu gedacht – Erstaunliche Beispiele für die Nutzung einer unerschöpflichen Ressource“.