Aeolus Race in den Niederlanden

  • Search12.02.2019

Rasende Windturbinen

Jedes Jahr liefern sich junge Ingenieure ein spektakuläres Rennen auf einem holländischen Deich: Beim Aeolus Race treten sie in selbstgebauten Windturbinenautos gegeneinander an – und fahren schneller, als der Wind bläst.

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    „Aeolus Race“ in den Niederlanden: Zwei Windkraftautos warten auf das Startsignal.

    Start zum Aeolus Race in Den Helder: Die Gefährte sind nicht nur schneller als der Wind, sie fahren auch direkt gegen die Windrichtung.

    Von Daniel Hautmann

    Mit 1500 Umdrehungen pro Minute rotieren die beiden messerscharfen Flügel in Julian Fials Rücken. Die etwa einen Meter langen Rotorblätter sind sein Motor. Denn der 31-Jährige liegt im Cockpit eines sogenannten Gegenwindfahrzeugs, das einzig mit der Kraft des Winds bewegt wird. Noch steht Fial mit seinem 171,7 Kilogramm leichten Boliden an der Startlinie, noch bremst er sein Ventomobil und hindert es am Lossprinten. Doch gleich wird er es über die Messstrecke jagen.

    Wenn Julian Fial nicht in seinem Rennwagen sitzt, arbeitet er am Institut für Flugzeugbau an der Universität Stuttgart. Dort haben er und sein Studententeam aus verschiedenen Fachrichtungen auch das Ventomobil entwickelt und gebaut. Sogar um das Sponsoring kümmern sie sich selbst. Zahlreiche Master- und Bachelorarbeiten entstehen rund um das Windmobil. „Das ist so ähnlich wie bei der Formel 1, nur alles viel kleiner“, sagt Fial.

    Irgendwie ist es dann aber doch ganz anders als bei der Formel 1. Vor allem was den Kraftstoff angeht. Im Prinzip ist das Ventomobil eine fahrende Windturbine. Sie fährt aber nicht mit dem Wind im Rücken – sondern genau in die Richtung, aus der der Wind kommt. Denn das ist die Maxime beim Aeolus Race, zu dem Teams aus aller Welt seit 2008 alljährlich auf einem Deich im niederländischen Den Helder antreten: Der Wind ist ihr Treibstoff und ihr Ziel ist es, schneller zu fahren, als der Wind bläst.

    Schneller als der Wind? Lange war das reine Theorie – und dennoch der Traum etlicher studentischer Teams. Dass es tatsächlich möglich ist, bewies das dänische Team DTU im Jahr 2016: Sie erreichten mit ihrem Gefährt 101,76 Prozent der  Windgeschwindigkeit. 2017 übernahmen dann die Kanadier vom Team Chinook ETS die Führung: 102,45 Prozent. Seither ist die windige Jagd in vollem Gange.

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    Die Summe aller Reibungen – angefangen beim Getriebe, über die Räder, bis zu den Rotorblättern – muss geringer sein, als die aus dem Wind gewonnene Vortriebskraft

    Julian Fial, Luftfahrtingenieur und Fahrer des Ventomobils

    Doch wie kann man schneller als der Wind fahren? „Die Summe aller Reibungen – angefangen beim Getriebe, über die Räder, bis zu den Rotorblättern – muss geringer sein, als die aus dem Wind gewonnene Vortriebskraft“, erklärt der Luft- und Raumfahrtingenieur Fial. Der Clou: Je schneller das Fahrzeug in den Wind fährt, desto höher wird die sogenannte „scheinbare Windgeschwindigkeit“.

    Darunter versteht man die Summe aus der tatsächlichen Windstärke und dem Fahrtwind an Bord des Fahrzeugs. Dank dieser Formel fahren die Rennwagen schneller als der Wind. Und mehr als das: Je schneller das Mobil in den Wind fährt, desto stärker wird der scheinbare Wind. In der Theorie können die Boliden unendlich schnell werden.

    Doch darum geht es im Rennen gar nicht: Die Höchstgeschwindigkeit wird stets in Relation zum herrschenden Wind ermittelt. Ferner fließen drei weitere Disziplinen in die Wertung ein: Beschleunigung, Ausdauer und Innovationsgrad.

    Das Ventomobil des Stuttgarter Teams Inventus beim Aeolus Race 2018 in Den Helder.

    Das Ventomobil des Stuttgarter Teams Inventus: Maximal vier Quadratmeter groß darf die Rotorfläche beim Aeolus Race sein.

    Mittlerweile ist Fial mit seinem Ventomobil auf der Rennstrecke. Sensoren und Stellmotoren richten den Rotor ständig präzise zur Windrichtung aus – nur so ziehen sie das Maximum an Kraft aus dem Wind. Die Teammitglieder dürfen ihre Mobile auf den ersten fünf Metern anschieben, dann folgt eine 100 Meter lange Beschleunigungsstrecke, bevor es auf die eigentliche, 500 Meter lange Messstrecke geht. „Wir brauchten nicht einmal die Hälfte der Beschleunigungsstrecke um unsere Zielgeschwindigkeit zu erreichen“, sagt Fial.

    Angefangen hat das Renn-Engagement der Stuttgarter 2007. Da begannen zwei Studenten mit dem Bau des ersten Fahrzeugs. Es war ihre Abschlussarbeit. Der Wagen bestand aus einem Kohlefaser-Chassis und einem Rotor, dessen Bewegung die Räder direkt antrieb.

    Von Beginn an war klar, dass das Fahrzeug leicht sein muss. „Ich bin selbst Konstrukteur und wäre oftmals viel konservativer an die Auslegung gegangen. Die Studierenden haben sich da echt viel zugetraut und gezeigt, dass es geht“, sagt der Windenergie-Professor Martin Kühn, der inzwischen an der Uni Oldenburg forscht. Der Aufwand hat sich gelohnt: 2008 gewannen die Studenten mit ihrem Ventomobil den Boysen-Preis für die beste Diplomarbeit im Bereich Umwelttechnik.

    Das neueste Windmobil der Stuttgarter hat zwei Rotoren: am Bug und am Heck

    Im Laufe der Jahre entwickelten die Schwaben drei verschiedene Fahrzeuge. Rollte die erste Generation noch auf drei Rädern und mit einem einzelnen Rotor, der die Räder direkt antrieb, ist das aktuelle Modell ein vierrädriger Hybrid. Bei dem fangen gleich zwei Rotoren den Wind ein. Der eine ragt vorn am Bug des Fahrzeugs auf und treibt einen Generator an, der wiederum zwei Elektromotoren an den Vorderrädern füttert. Der andere Rotor ist hinter dem Cockpit erhöht angeordnet, und liefert sein Drehmoment über ein Getriebe an die Hinterräder.

    Mit dieser Konfiguration gingen die Stuttgarter ans Maximum dessen, was laut Reglement an Rotorfläche erlaubt ist: vier Quadratmeter. Mit einem einzelnen großen Rotor wäre das unmöglich, denn der maximale Rotordurchmesser darf zwei Meter nicht überschreiten.

    Beim Rennen im vergangenen August ging Julian Fial mit seinem Rennwagen allerdings mit nur einem Rotor an den Start. „Der neue Hybridantrieb hatte damals noch so seine Tücken“, erklärt er. Zum Sieg hat es daher nicht gereicht. Fial: „Unsere eigens entwickelte Leistungselektronik ist erst kurz vor dem Rennen fertig geworden. Wir konnten sie nur auf Funktionalität, nicht aber auf ihren Wirkungsgrad hin testen.“

    Deshalb sind die Stuttgarter nur mit dem mechanischen Antrieb gestartet – und erreichten 95,6 Prozent der Windgeschwindigkeit. Aufs Podium kamen sie dennoch: Da sie mit ihrem Hybridantrieb den Innovations-Award gewannen, landeten sie im Gesamtergebnis auf dem zweiten Platz.

    Aeolus Rache: Das kanadische Team Chinook hält mit seinem Windkraftauto einen Rekord: Es fährt schneller, als der Wind bläst.

    Hightech im Eigenbau: Das Gefährt des kanadischen Teams Chinook ETS hält seit 2017 den Geschwindigkeitsrekord beim Aeolus Race.

    Den Gesamtsieg holten sich 2018 die Kanadier. Die ließen mit 113,97 Prozent alle hinter sich. In Stundenkilometern umgerechnet erreichten sie circa Tempo 40.

    Um beim diesjährigen Rennen ganz oben auf dem Treppchen zu landen, tunen die Schwaben ihren Rennwagen, wo es geht. „Wir versuchen an allen Ecken und Enden zu optimieren“, sagt Fial. Gerade bauen sie zwei unterschiedliche Rotorblattsätze: einen für Stark- und einen für Schwachwind. So können sie noch präziser auf die vorherrschenden Verhältnisse eingehen.

    Fial und seine Mannschaft glauben fest an den Sieg 2019: „Da zeigen wir, was unser Hybridantrieb kann.“

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