Offshore-Wind-Projekt im DLR

  • Search09.11.2022

Warum Satelliten Windräder zählen

Wie viele Windräder stehen in den Weltmeeren? Um das herauszufinden, wertet Thorsten Höser Satellitenbilder mithilfe von künstlicher Intelligenz aus. So werden Einblicke auch ins sonst verschlossene China möglich.

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    Der Satellit Sentinel-1 liefert Bilder, mit deren Hilfe der Forscher Thorsten Höser die Zahl und Leistung der Offshore-Windräder weltweit bestimmt.

    Rund 10.000 Windräder hat eine künstliche Intelligenz auf Bildern des ESA-Satelliten Sentinel-1 bis Mitte 2021 entdeckt. Sogar die Bestimmung der Turbinenstärke war dabei möglich.

     

    Herr Höser, warum zählen Sie Turbinen per Satellit und KI?
    Thorsten Höser: Beim Klimaschutz kommt der Offshore-Windenergie weltweit eine wichtige Rolle zu. Wie es mit dem Ausbau tatsächlich vorangeht, lässt sich am besten vom Weltall aus erkennen. Anders als bei Branchenreports ist mit Satellitendaten eine unabhängige und umfassende Bestandsaufnahme möglich. Dabei sehen wir, dass es in China eine enorme Dynamik gibt. Mitte 2021 waren dort zehnmal so viele Anlagen im Bau wie vor den Küsten der EU. Um die Offshore-Ziele in Europa zu erreichen, müsste das Ausbautempo deutlich gesteigert werden. In weniger als zehn Jahren bräuchte es eine Vervierfachung der installierten Leistung.

    Wie funktioniert die Fernerkundung von ganz oben?
    Höser: Grundlage sind Radarbilder der Satellitenmission Sentinel-1 der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Weil Aufnahmen innerhalb weniger Tage wiederholt werden, umfasst das riesige Archiv rund elf Petabyte. Wir haben den Zeitraum von Juli 2016 bis Juni 2021 analysiert. Über Algorithmen werden Windenergieanlagen auf dem Meer automatisch aus dem Archiv ausgelesen. Das geschieht über Verfahren der künstlichen Intelligenz, die wir mit vielfältigen virtuellen Beispielen trainiert haben. Das Training selbst dauert rund sieben Stunden, die Auswertung etwa doppelt so lang.

    Thorsten Höser (33) ist Geograf und Datenwissenschaftler. Am Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) des DLR in Oberpfaffenhofen hat er per Satellit Offshore-Windräder gezählt.

    Thorsten Höser (33) ist Geograf und Datenwissenschaftler. Das Offshore-Projekt am Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) des DLR in Oberpfaffenhofen hat er für seine Dissertation durchgeführt.

    Warum wird die KI nicht mit realen Bildern trainiert?
    Höser: Beim Deep Learning müssen die neuronalen Netze mit großen Datenmengen gefüttert werden. Aufnahmen der aktuell rund 10.000 Offshore-Turbinen weltweit würden allein nicht reichen. Damit die KI lernen kann, haben wir charakteristische Bilder zu virtuellen Aufnahmen zusammengesetzt, insgesamt waren es rund 275.000. Für das Training wurden außerdem falsch positive Beispiele genutzt, damit eine Bohrinsel nicht als Trafostation oder netzartige Agrarflächen nicht als Windpark interpretiert werden.

    Anlagen zählen ist das eine, aber wie lässt sich die Leistung bestimmen?
    Höser: Dazu nutzen wir den statistischen Zusammenhang zwischen der Nabenhöhe und der Leistung. Die Höhe der Anlagen lässt sich geometrisch aus den Radardaten ableiten. Um künftig zu korrekten Ergebnissen zu kommen, müssten bei Turbinen der nächsten Generation eventuell weitere Parameter aufgenommen werden, zum Beispiel der Abstand der Anlagen in einem Windpark.

    Wie lassen sich die Ergebnisse konkret nutzen?
    Höser: Wo es bislang schwierig war, an Informationen über Offshore-Windprojekte zu kommen, können wir Licht ins Dunkel bringen. Das gilt insbesondere für China, wo in fünf Jahren knapp 3.000 Anlagen installiert wurden. Unsere Forschungsarbeit ist frei verfügbar und wurde hundertfach heruntergeladen. Vor allem von anderen Wissenschaftlern, nehme ich an. Von Interesse ist unsere Arbeit aber sicherlich für alle, die mit marinen Strukturen zu tun haben. Ein Beispiel: In China werden viele Offshore-Windkraftanlagen landnah auf Wattflächen installiert. Das verändert die Prozesse der Sedimentation. In welchem Ausmaß das geschieht, ließe sich punktgenau erkennen, wenn man unsere Daten mit anderen verschneidet.

    Thorsten Höser vom DLR in Oberpfaffenhofen hat die Offshore-Windräder weltweit mithilfe von Satellitenbildern und KI gezählt. Das Foto zeigt die Auswertung für die Nordsee. Credit: DLR (CC BY-NC-ND 3.0)

    Lange war die Nordsee das Zentrum der weltweiten Offshore-Windenergie. Inzwischen werden die meisten Anlagen in chinesischen Gewässern gebaut.

    Profitiert die Offshore-Branche direkt von Ihrer Arbeit?
    Höser: Die Ergebnisse könnten für Projektierer wie für Behörden von Interesse sein. Für Standortentscheidungen ließen sich unsere Karten mit weiteren Parametern kombinieren, zum Beispiel mit der Wassertiefe oder anderen Nutzungsansprüchen. Oder man bestimmt, wie Windparks die Windgeschwindigkeiten in umliegenden Gebieten beeinflussen. Dazu würde man unsere Daten mit bodengestützten Messungen verknüpfen oder mit Satellitenaufnahmen, die die Wellenhöhe dokumentieren. Aktuelle Satellitenaufnahmen sind zudem bei Katastrophen relevant. Welche Anlage noch steht und welche nicht, ist in den Daten sichtbar.

    Wird es eine dauerhafte Auswertung der Satellitenbilder geben?
    Höser: Der Prototyp für die automatisierte Analyse der Archivdaten ist im Rahmen der Forschung entstanden. Eine Fortschreibung würde nicht permanent, sondern bei zugesicherter Finanzierung projektbezogen erfolgen. Dabei wäre es sinnvoll, direkt an den untersuchten Zeitraum bis 2021 anzuschließen. Die von uns entwickelte Methodik der Objekterkennung mittels synthetischer Daten lässt sich jedenfalls übertragen, etwa auf die Fischerei oder andere Objekte im Energiesektor. Und es gibt bereits küstenferne Anwendungen: So wurden Windschutzhecken in Paraguay aus dem All detektiert, um Lücken zu dokumentieren.

    Die Fragen stellte Peter Ringel.

    Mehr über Hösers Projekt gibt es auf der Website des DLR.

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