Erdwärmebohrung in Graben-Neudorf: Geothermie könnte ein Viertel des deutschen Wärmebedarfs decken.
Von Volker Kühn
Eine Industriebrache im Hafen von Hamburg-Wilhelmsburg. Zwischen Frachtcontainern und Lagerhallen erhebt sich ein Stahlturm 40 Meter in die Höhe. Ein sonores Dröhnen liegt in der Luft, es riecht metallisch. Seit Januar schraubt sich aus dem Turm ein Bohrmeißel in die Erde. Mit scharfen Industriediamanten besetzt frisst er sich durch das Gestein, immer weiter hinein in die Erdgeschichte, bis zu 15 Meter pro Stunde.
Je tiefer er kommt, desto wärmer wird es um ihn herum. Nach einer Faustregel steigt die Temperatur im Erdinneren alle 100 Meter um drei Grad. Das Ziel der Bohrung sind Schichten mit heißem Wasser. Es soll an die Oberfläche gefördert werden, um eines der größten Probleme der Energiewende zu lösen: den Abschied von fossilen Rohstoffen beim Heizen.
Die Energiewende ist bislang eine Stromwende – geheizt wird mit Gas und Öl
Zwar erzeugt Deutschland inzwischen gut die Hälfte seines Stroms aus erneuerbaren Energien. In der Wärmeversorgung jedoch spielen sie kaum eine Rolle. Dabei ist sie der größte Einzelposten in der Energiebilanz des Landes – mehr als die Hälfte des Energieverbrauchs entfällt darauf. In Privathaushalten macht die Heizung laut dem Umweltbundesamt sogar zwei Drittel aus, Warmwasser noch nicht eingerechnet.
Fast die Hälfte der Haushalte heizt noch immer mit Erdgas, 20 bis 25 Prozent gar mit Öl. Daran hat selbst die Preisexplosion seit dem russischen Überfall auf die Ukraine wenig verändert. Zwar werden elektrisch betriebene Wärmepumpen beliebter. Die mit Abstand meistverbaute Heizungsart war aber auch in den ersten sechs Monaten dieses Jahres der Gaskessel. 2021 wurden sogar so viele Gasheizungen in Deutschland installiert wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr. Für die Klimaziele der Bundesregierung ist das fatal: Ohne Wärmewende bleibt die Energiewende Stückwerk.