Klimaschutz

  • Search13.02.2024

Warum CO2-Speicher nötig, aber umstritten sind

Die EU will in großem Stil CO2 speichern, um klimaneutral zu werden. In manchen Branchen führt daran kein Weg vorbei. Doch viele Umweltschützer lehnen das ab. Zu Recht? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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    Müllverbrennungsanlagen (hier in Wien) können der Atmosphäre mit Hilfe von CCS dauerhaft CO2 entziehen.

    Müllverbrennungsanlagen wie hier in Wien könnten dabei helfen, der Atmosphäre CO2 zu entziehen.

     

    Von Julia Graven

    Europa drückt beim Klimaschutz aufs Tempo: Neben dem Klimaziel für 2040 hat die EU-Kommission Anfang Februar die Eckpfeiler einer „Industrial Carbon Management“-Strategie vorgestellt. Parallel richtet die EU mit der „Netto-Null-Industrie-Verordnung“ den Fokus auf die Entnahme und Speicherung von Kohlendioxid (Carbon Capture and Storage, kurz CCS). Der Gesetzesentwurf soll dafür sorgen, dass sich in Europa eine CCS-Industrie etabliert.

    Doch wie funktioniert das – und was ergibt wirklich Sinn? Hier sind die wichtigsten Fragen und Antworten zur Technologie, zum aktuellen Stand und zur politischen Diskussion in Deutschland.

    Reicht es nicht, den CO2-Ausstoß auf null zu bringen?

    Der Weltklimarat IPCC sagt, dass kein realistischer Klimapfad ohne Kohlenstoffabscheidung und -speicherung im großen Maßstab auskommt. Nur eines der sieben Szenarien im jüngsten Sachstandsbericht sieht keine CO2-Abscheidung vor. Dieses Szenario nimmt allerdings an, dass sich die Nachfrage nach Energie weltweit in den nächsten 30 Jahren nahezu halbiert – was einigermaßen unrealistisch ist.

    Laut dem Umweltbundesamt (UBA) bleiben in Deutschland selbst bei ambitionierter Klimapolitik unvermeidbare Restemissionen von 40 bis 60 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. „Die müssen wir durch CO2-Entnahme aus der Atmosphäre ausgleichen“, sagt der Klimaforscher Andreas Oschlies vom Kieler Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung im Gespräch mit EnergieWinde. Man könne das von Pflanzen beim Wachstum aus der Atmosphäre aufgenommene CO2 zum Beispiel in Biomassekraftwerken oder bei der Müllverbrennung „direkt aus den Abgasen herausfiltern und wegspeichern. Oder wir müssen das CO2 direkt aus der Atmosphäre holen.“

    UBA-Präsident Dirk Messner rät zwar: „Der Ausbau und der Schutz von Mooren, Wäldern und anderen natürlichen Senken sollte unsere erste Priorität sein.“ Aber natürlich könnten CCS und andere technische Kohlenstoffsenken die natürlichen Senken ergänzen.

    Außerdem rechnen Experten damit, dass das Tempo beim Klimaschutz nicht ausreichen wird, um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Sie gehen davon aus, dass wir die 1,5-Grad-Grenze zunächst einmal überschreiten werden, bevor die Emissionen langsam wieder sinken. Diesen „Overshoot“ müssen wir wieder einkassieren, indem wir CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Um im globalen CO2-Rechenwerk irgendwann einmal rechnerisch auf Netto-Null zu kommen, muss es also so genannte Negativemissionen geben, um die unvermeidbaren Restemissionen und den „Overshoot“ auszugleichen.

    Wäre es nicht besser, möglichst viele Bäume zu pflanzen?

    Naturnahe Methoden wie Aufforstung, regenerative Landwirtschaft oder Algenfarmen und Seegraswiesen funktionieren als CO2-Senken. Sie haben aber ihre Grenzen. Sie sind erstens unsicher, weil ein Waldbrand oder Borkenkäfer-Befall eine Senke schnell vernichten kann. Zum anderen sind hier so riesige Maßstäbe nötig, dass Forscher mit enormen Nebenwirkungen auf betroffene Ökosysteme rechnen. Ein Beispiel: Die Aufforstung der Sahara würde das weltweite Wettersystem verändern – und könnte zum Beispiel den Monsun in Asien verschieben.

    Wie lässt sich CO2 einfangen?

    Hier gibt es zwei unterschiedliche Konzepte: Zum einen lässt sich das Klimagas an Punktquellen abscheiden, also am Schornstein einer Müllverbrennungsanlage oder aus den Abgasen eines Zementwerks. Das wird als Carbon Capture bezeichnet. Allerdings entsteht Kohlendioxid leider in großen Mengen auch dort, wo es sich nicht vergleichsweise leicht wieder einfangen lässt. Zum Beispiel trägt die Landwirtschaft viel zu den Treibhausgas-Emissionen bei. Um dieses CO2 aus der Atmosphäre zu holen, haben findige Pioniere technische Verfahren entwickelt, die das CO2 aus der Luft oder aus dem Wasser dauerhaft unschädlich machen. Diese technischen Maßnahmen laufen unter dem Oberbegriff CDR, Carbon Dioxide Removal.

    Welche Verfahren gibt es für CDR?

    Forscher arbeiten an zahlreichen Verfahren, die die Verwitterung von Gestein beschleunigen, an Land und im Meer. Sie wollen etwa den Ozean, der sechzigmal so viel CO2 wie die Atmosphäre speichert, basischer machen und so das im Wasser gelöste Kohlendioxid neutralisieren. Erprobt werden auch Anlagen, die Biomasse verbrennen und das entstehende Kohlendioxid einfangen. Die wohl bekannteste Technik nutzen die CO2-Staubsauger von Climeworks. Die Ventilatoren filtern das Klimagas mit viel Energieeinsatz direkt aus der Umgebungsluft, weswegen das Verfahren Direct Air Capture genannt wird. (Mehr zum Thema Climate Engineering hier.)

    Climeworks-Anlage auf Island: Das Unternehmen filtert CO2 aus der Luft, um es unterirdisch zu entsorgen.

    Climeworks-Anlage auf Island: Filter saugen CO2 aus der Luft, das unterirdisch entsorgt wird.

    Wie wird das abgefangene CO2 gespeichert?

    Um das Klimagas für möglichst lange Zeit unschädlich zu machen, wird es meist geologisch gespeichert. Auf Island landet das in Wasser gelöste CO2 im Basaltgestein, dort wird es im Lauf von Jahrtausenden dauerhaft gebunden. Norwegen pumpt seit 1996 jährlich Millionen Tonnen CO2 aus der Erdgasförderung in eine Sandsteinschicht etwa 1000 Meter unter dem Meeresboden, wo es im tiefen Untergrund als Flüssigkeit in den Poren gespeichert wird.

    Ist das nicht gefährlich?

    Die Verpressung könnte laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe Erdbeben auslösen, allerdings lasse sich das Risiko solcher Mikrobeben der Behörde zufolge durch Berechnungen im Vorfeld minimieren. Gegner von CO2-Endlagern befürchten unkalkulierbare Risiken durch vergiftetes Grundwasser oder Leckagen, die Umwelt und Menschen gefährden könnten. Sie verweisen etwa auf den Rohrbruch einer unterirdischen CO2-Pipeline in den USA, bei dem 2020 laut „New York Times“ 40 Bewohner einer nahe gelegenen Ortschaft mit Erstickungssymptomen behandelt wurden.

    CCS: Protest gegen die Speicherung von CO2 im Untergrund in Schleswig-Holstein.

    „Kein CO2-Endlager“: Schon vor zwölf Jahren wurde in Deutschland über CCS diskutiert. Der Protest war damals so groß, dass die Technologie hierzulande de facto verboten wurde.

    In Deutschland ist die Speicherung unter Land aktuell kein Thema. Ein Forschungsprojekt in Brandenburg wurde vor zehn Jahren nach massiven Protesten der Bevölkerung eingestellt. Forscher Andreas Oschlies kann das verstehen: „Wenn da Leckagen sind, möchte ich die auch nicht in meinem Keller haben“, sagt er. Die Lagerung in den ausreichend großen Lagerstätten unter der Nordsee hält er dagegen für „sehr sicher“. Das CO2 würde dort mit einer beherrschbaren Technik eingeleitet, mit einem Risiko „von unter einem Prozent auf Zeitskalen von 10.000 bis 100.000 Jahren“, während es „in der Atmosphäre sofort zu 100 Prozent gefährlich ist“.

    Warum sind trotzdem viele Klimaschützer gegen diese Technologie?

    Viele Kritiker haben Angst, dass das Senken der Emissionen aus dem Blick gerät. Es wäre verlockend, wenn wir unser Leben weiterführen könnten wie bisher, indem wir mit einer Art Wunderwaffe das CO2 wieder einfangen. Klimaschützer befürchten auch, dass viele Konzerne, die bisher mit dem Verschmutzen der Atmosphäre Geld verdient haben, nun mit der teuren Kohlendioxidabscheidung ein neues, lukratives Geschäft wittern.

    Wie sehen das die Interessengruppen in Deutschland?

    Weite Teile der Grünen wie auch der BUND, Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe sehen die CO2-Verpressung als „gefährlichen Irrweg“. Statt der teuren Infrastruktur für CCS sollte die Politik lieber den Umstieg der Industrie auf nahezu CO2-neutrale Prozesse fördern, zum Beispiel bei Methanol aus Altkunststoff, Recyclingstahl und alternativen Bindemittel als Zementersatz. Die unvermeidbaren Restemissionen, die zum Beispiel in der Landwirtschaft entstehen, könnten durch solche innovativen Lösungen auf ein Minimum zusammenschrumpfen.

    Robert Habeck im norwegischen Zementwerk Norcem: Der Bundeswirtschaftsminister spricht sich für den Einsatz von CCS aus, die unterirdische Speicherung von CO2.

    Robert Habeck besucht ein norwegisches Zementwerk, in dem CO2 abgeschieden wird: Der Bundeswirtschaftsminister befürwortet die Technologie.

    Die Umweltschutzorganisationen WWF und Nabu haben dagegen Anfang 2024 ihren Widerstand gegen die Kohlendioxid-Speicherung aufgegeben. In einem gemeinsamen Thesenpapier mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und dem Bundesverband der Deutschen Industrie fordern sie die Bundesregierung zum Handeln auf. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck hat schon 2022 eine Kehrtwende vollzogen und setzt sich für die Einlagerung von CO2 unter dem Meeresboden ein.

    Wie realistisch sind die EU-Ziele?

    Die EU-Kommission will bis 2030 50 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr geologisch speichern, bis 2050 sollen es 450 Millionen Tonnen sein. Die Zahlen sind ambitioniert, denn laut Experten schaffen neuartige Entnahmetechniken heute gerade einmal zwei Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr – weltweit.

    Welches sind die größten CCS-Projekte in Europa?

    Die Abscheidung von CO2 steht am Anfang ihrer technologischen Entwicklung. An Kraftwerken ist weltweit nur eine Handvoll Anlagen in Betrieb. Viele Vorhaben wurden wieder abgesagt, nicht fertiggestellt oder gestoppt, weil deutlich weniger CO2 abgeschieden wurde als geplant.

    Trotzdem sorgen CO2-Staubsauger wie die von Climeworks für Aufsehen. Das Schweizer Unternehmen baut auf Island gerade eine zweite Anlage, die bis zu 36.000 Tonnen CO2 im Jahr aus der Luft filtern soll. Für die 100 bis 200 Millionen Tonnen CO2, welche die EU-Kommission jährlich aus der Luft abscheiden will, bräuchte es allerdings Tausende solcher Anlagen.

    Für die Speicherung von CO2 gibt es vor allem in den Nordsee-Anrainerstaaten zahlreiche Planungsvorhaben. Dänemark etwa plant das Projekt Greensand, das bis zu 13 Millionen Tonnen des Klimagases speichern soll. Auch Großbritannien und Schweden haben CCS-Projekte angekündigt.

    Norwegen will mit einem staatlichen Förderprogramm zum CCS-Vorreiter werden und plant zahlreiche Projekte. Northern Lights zum Beispiel soll bis zu 1,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr per Schiff aus ganz Europa nach Westnorwegen transportieren und dort vor der Küste unterhalb des Meeresbodens speichern.

    Noch 2024 werden auch die Niederlande ihr erstes großes CCS-Projekt mit dem Namen Porthos in Rotterdam starten. Die Betreiber rechnen mit rund 2,5 Millionen Tonnen CO2 im Jahr, die in der Nordsee gespeichert werden sollen. Auch im deutschen Wilhelmshaven ist die Produktion von blauem Wasserstoff geplant. Das dabei freiwerdende CO2 wollen die Betreiber nach Norwegen oder Dänemark transportieren.

    Projekt Greensand: Dänemark plant den Einstieg in die CCS-Technologie. CO2 soll im Großmaßstab unter der Nordsee gespeichert werden, wie Kronprinz Frederik erklärt.

    Im März 2023 stellt Frederik X. (damals noch Kronprinz, inzwischen König von Dänemark) das Projekt Greensand vor: Bis zu 13 Millionen Tonnen CO2 sollen ab 2030 unter der Nordsee gespeichert werden.

    Wie entwickelt sich CCS global?

    Nach einer Statistik des industrienahen Global CCS Institute gehören Australien, Großbritannien, Kanada und China zu den Top-5 bei der CCS-Entwicklung. Auf Platz 1 stehen die USA. Im vergangenen Jahr sind dort zahlreiche Großprojekte wie Pilze aus dem Boden geschossen. Dafür hat vor allem der Inflation Reduction Act (IRA) gesorgt, der mit Subventionen und Steuererleichterungen Klimaschutz und grüne Wirtschaft im Land voranbringt. Allein 3,5 Milliarden US-Dollar fließen dank des IRA in den Bereich der CO2-Abscheidung und -Speicherung. Ein Drittel dieser Summe erhalten zwei Projekte in Texas und Louisiana. Der South Texas DAC Hub und das Cypress-Projekt sollen nach Fertigstellung mehr als zwei Millionen Tonnen CO2 im Jahr direkt aus der Luft holen. Das wäre ein Vielfaches der Menge, die bestehende Anlagen leisten. Im Juni 2023 war zudem Baubeginn für das Stratos-Projekt, das inmitten alter Ölfelder in Texas ab 2025 bis zu eine halbe Million Tonnen CO2 im Jahr aus der Atmosphäre filtern und in den Boden pressen soll.

    Können aus CO2 auch neue Produkte entstehen?

    Die Nutzung von abgeschiedenem Kohlenstoff ist durchaus ein Thema. Carbon Capture and Utilization, kurz CCU, fasst Ansätze zusammen, die Kohlenstoffverbindungen in einen weiteren Nutzungszyklus schicken. Zum Beispiel lassen sich aus CO2 Zementersatz oder Flugzeugtreibstoff herstellen. Das kalifornische Start-up Twelve hat gerade mit der kommerziellen Produktion von Flugkraftstoff aus Wasser und dem abgeschiedenen CO2 aus einer Ethanol-Anlage begonnen. Während des Fluges gelangt das zweitverwertete CO2 dann allerdings doch in die Atmosphäre. In Deutschland erproben Zementhersteller seit einigen Jahren die Weiterverwertung von CO2. Eine Pilotanlage in Bayern kann zwei Tonnen CO2 am Tag aus den Rauchgasen des Werks abscheiden, das sind allerdings nur 0,1 Prozent der Emissionen. Entstehen könnte daraus zum Beispiel Ameisensäure für die Chemieindustrie. Andere Start-ups entwerfen dauerhafte Produkte aus abgeschiedenem CO2, zum Beispiel künstlich hergestellte Diamanten.

    Welche Finanzierungsmöglichkeiten gibt es?

    Abseits der staatlichen Subventionen könnte auf globaler Ebene ein CO2-Preis das Management der Emissionen und Investitionen in Klimasenken voranbringen. Ottmar Edenhofer, Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, fordert eine neue Art der Klimafinanzierung für negative Emissionen, mit der die globale Müllabfuhr für CO2 entlohnt wird. Er sagt im Interview mit „Table.Media“: „Wer emittiert, muss zahlen.“ Und: „Wer Kohlenstoffsenken bereitstellt, muss dafür entlohnt werden.“

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