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Vorurteile sind nicht angeboren, erklärt der Politikwissenschaftler Klaus-Peter Hufer. Man kann sie annehmen – aber auch wieder ablegen.
Diskutieren mit Klimaskeptikern
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Vorurteile sind nicht angeboren, erklärt der Politikwissenschaftler Klaus-Peter Hufer. Man kann sie annehmen – aber auch wieder ablegen.
Gegen Populismus hilft laut Klaus-Peter Hufer vor allem eines: Zivilcourage. Der Politologe und Bildungswissenschaftler hat ein Argumentationstraining zum Umgang mit Stammtischparolen entwickelt. Seit Rechtspopulisten von der AfD bis Pegida in Deutschland Boden gewinnen, sind seine Seminare gefragt wie nie. Hufer lehrt an der Universität Duisburg-Essen in der Erwachsenenbildung und ist Autor mehrerer Ratgeber. Zuletzt ist seine Broschüre „Argumente gegen Parolen und Populismus“ im Wochenschau-Verlag erschienen.
Herr Hufer, wenn Donald Trump in den USA oder Frauke Petry hier in Deutschland über den Klimawandel sprechen, spielen wissenschaftliche Erkenntnisse kaum eine keine Rolle. Kann man mit solchen Leuten diskutieren?
Klaus-Peter Hufer: Mit Menschen, die gewollt und bewusst die Realität leugnen, kann man nicht diskutieren. Im Zeitalter des Postfaktischen beobachten wir, wie sich viele zunehmend in ihre eigenen Kommunikations- und Informationsblasen zurückziehen. Sie glauben nur noch das, was dem eigenen Weltbild entspricht. Alles andere wird geleugnet, und diejenigen, die eine andere Position vertreten, werden abgewertet.
Angenommen, ich höre Sätze wie „Ich merke nichts von der Erderwärmung, bis jetzt war der Frühling ganz schön frisch“ oder „Das ist doch alles nur Panikmache von der Politik“. So etwas kann ich doch nicht einfach stehen lassen.
Hufer: Das dürfen Sie auch nicht. Auf dieser Ebene ist es natürlich schwierig, den Beweis anzutreten, dass die Erderwärmung doch stattgefunden hat. Sie müssten mit Fakten und Daten argumentieren – ob die von der Gegenseite angenommen werden, ist eine andere Sache. Der zweite Satz bedient ein klassisches Muster der Populisten. Stichwort Lügenpresse, wir werden benebelt, Politiker machen doch, was sie wollen. Wenn Sie das unkommentiert stehen lassen, rechtfertigen Sie diese Aussagen und stimmen ihnen implizit zu. Das Gespräch müssen Sie führen, auch wenn es aussichtslos erscheint. In meiner Erfahrung bringt es immer etwas, dagegenzuhalten. Auch für einen selbst.
Wie meinen Sie das?
Hufer: Es ist ein ziemlich bescheidenes Gefühl, einfach davonzuschleichen und nichts gesagt zu haben. Trauen Sie sich, auch wenn Sie glauben, dass Sie Ihr Gegenüber nicht erreichen. Sie senden trotzdem ein Signal. Es gibt ja noch viel schlimmere Parolen. Da ist es umso wichtiger klarzumachen, dass man für eine offene, diskursive Gesellschaft eintritt.
Picture-Alliance/Heinrich Bäsemann
Nicht einschüchtern lassen: Es mag schwerfallen, Emotionen mit Fakten entgegenzutreten – aber es lohnt sich, sagt Hufer. Schon weil man sich danach selbst besser fühle.
Das Problem ist doch, dass die Realität viel komplexer ist, als uns die Populisten glauben machen wollen. Komme ich in einem Gespräch mit dem Argument „Das muss man doch alles viel differenzierter sehen“ weiter?
Hufer: Wenn Sie so anfangen, haben Sie im Grunde schon verloren. Ich gebe zu, die Situation ist schwierig: Auf der einen Seite werden platte Parolen abgegeben ohne die Absicht, sich auf eine sachliche Diskussion einzulassen. Auf der anderen Seite müssten Sie die ganze Vielfalt von komplexen Begründungszusammenhängen erläutern. Sie müssten auf die Emotionalität mit Rationalität reagieren. Das ist schwer. Wenn Sie sich das aber bewusst machen, kann es auch erleichternd wirken. Sie merken, dass es nicht nur von Ihnen abhängt, wenn Sie das Gefühl haben, nicht angemessen kontern zu können. Es liegt an der Struktur des Gesprächs.
Mit Fakten kann ich gegen Vorurteile nicht ankommen.
Hufer: Genau. Einstein soll gesagt haben, es ist leichter, einen Atomkern zu spalten, als ein Vorurteil aus der Welt zu schaffen. Vorurteile sind selbstreferenziell. Aber sie sind nicht angeboren. Es ist ein Denkfehler zu glauben, dass sie nie aufgelöst werden. Sie können erlernt werden, also können sie auch verlernt werden. Neben den Fakten spielt dabei vor allem Ihr Auftreten eine Rolle. Sie müssen versuchen, überzeugend und authentisch zu wirken.
Können Sie verstehen, wenn es einem irgendwann zu blöd ist, sich auf so ein Gespräch einzulassen?
Hufer: Natürlich, das geht mir auch manchmal so. Vor Kurzem saß ich in Wien in einem Taxi. Ich kam von einer Tagung zu ebendiesem Thema und war erschöpft, da legte der Taxifahrer mit typischen Stammtischparolen los. Und ich dachte: Warum sollte ich jetzt versuchen, den Mann auf der Fahrt bis zum Bahnhof vom Gegenteil zu überzeugen? Es ist legitim, auch mal Nein zu sagen. In Situationen, in denen ein Aggressionspotenzial besteht, muss man sich sogar schützen. Aber grundsätzlich plädiere ich dafür, etwas zu entgegnen. Aus einem wichtigen Grund: Der Übergang von einem aggressiven Spruch zu einer Tat ist nach Erkenntnissen von Vorurteilsforschern fließend. 179 Menschen wurden laut der Amadeu Antonio Stiftung seit dem Fall der Mauer in Deutschland von Rechtsextremen getötet. Das hat mit Ressentiments und Stammtischparolen angefangen. Wer sich dem entgegenstellt, leistet einen wichtigen Beitrag zur Prävention und zeigt, dass dieses Land ein ziviler Ort ist.
Jeder von uns trägt also eine Verantwortung?
Hufer: Ja, gerade in Zeiten wie diesen. Es ist wichtig, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten ein Zeichen zu setzen. Oft hören noch andere Menschen zu, die Sie mit Ihren Argumenten vielleicht erreichen können. Und: Ein Gespräch ist nie zu 100 Prozent vorbei, selbst wenn es formal beendet wurde. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Wirkung Ihrer Worte erst im Nachhinein entfaltet.
Picture-Alliance/Heinrich Bäsemann
Abschütteln und weitermachen: Manchmal entfalten Argumente ihre Wirkung erst im Nachhinein. Wer sein Gegenüber nicht sofort überzeugt, sollte deshalb nicht verzagen, meint Hufer.
Manchmal wünscht man sich ein Bündel rhetorischer Tricks, um jeden Schlagabtausch am Stammtisch zu gewinnen. Haben Sie so etwas in petto?
Hufer: Leider nein. Das gibt es nicht, auch zur großen Enttäuschung vieler meiner Seminarteilnehmer. Wir machen kein Schlagfertigkeitstraining. Es geht darum, seinen Handlungsspielraum zu erkennen. Man kann durch Erfahrung lernen, selbstbewusst, zugewandt und authentisch aufzutreten. Und natürlich kann man mit gewissen Strategien versuchen, jemanden in die Defensive zu bringen und vielleicht am Ende zu punkten.
Die Fragen stellte Julia Müller.