Kosten und Nutzen der Energiewende

  • Search13.09.2018

Die Rechnung, bitte!

Der Umbau der Energieversorgung verschlingt Milliarden. Aber wie teuer wäre es, auf Klimaschutzmaßnahmen zu verzichten? Eine Kosten-Nutzen-Bilanz der Energiewende.

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    Von Steven Hanke

    Wie viel ist das Leben eines Eisbären wert? Sind die Ernteausfälle des heißen Sommers wirklich eine direkte Folge der globalen CO2-Emissionen? Gibt es nicht auch Profiteure des Klimawandels wie die Schifffahrt, die über die eisfreie Nord-Ost-Passage jubelt, oder die Gemüsebauern in Sibirien?

    Weil solche Fragen praktisch nicht zu beantworten sind, ist es kaum möglich, den Nutzen von Klimaschutzmaßnahmen in monetären Größen auszudrücken oder gar auf Euro und Cent genau auszurechnen.

    Die Debatte um Kosten und Nutzen der Energiewende hat deshalb schwere Schlagseite: Sie konzentriert sich fast vollständig auf die Kostenseite.

    Das heißt aber nicht, dass es unmöglich wäre, den ideologisch aufgeheizten Streit zwischen den Befürwortern erneuerbarer und konventioneller Energien, mit nüchternen Fakten herunterzukühlen und eine Bilanz zu ziehen.

    Simples Addieren der Klimaschutzkosten führt nicht weiter

    Dazu beigetragen hat ausgerechnet die AfD, die zu den großen Skeptikern des Klimawandels zählt. Sie war erst ein paar Tage im Bundestag, als sie sich in einer parlamentarischen Anfrage an die Bundesregierung nach den Kosten der Energiewende erkundigte.

    Doch statt der Partei mit einer imposanten Summe Munition für ihre Attacken gegen die Energiewende zu liefern, reagierte das zuständige Bundeswirtschaftsministerium anders: Die Antwort darauf könne nicht lauten, einzelne Kostenpositionen wie die EEG-Umlage einfach zu addieren. Für eine belastbare Aussage bräuchte es vielmehr einen Vergleich des Energiesystems mit und ohne Energiewende.

    Windräder bei Sonnenaufgang: Weltweit übersteigen die Investitionen in erneuerbare Energien die Summen, die in konventionelle Kraftwerke fließen.

    Und sollten sich dabei tatsächlich Mehrkosten ergeben, müsste man die aufwiegen gegen den finanziellen Nutzen – beziehungsweise gegen die Kosten des Klimawandels. Ein derart umfassender Vergleich, der insbesondere auch die Vorteile sauberer Energie für Mensch und Natur genau erfasst, sei der Bundesregierung allerdings „nicht bekannt“.

    Aber auch ohne eine solche Bilanz zweifelt kaum ein Land der Welt am Sinn von Klimaschutzmaßnahmen. Schließlich haben 195 Staaten 2015 haben das Pariser Klimaschutzabkommen unterzeichnet. Nur Syrien, Nicaragua und inzwischen auch die USA machen nicht (mehr) mit.

    Die Energiewende kann das Wachstum beflügeln, sagt der BDI

    Die breite Mehrheit der Staatengemeinschaft eint offensichtlich die Überzeugung, dass Klimaschutz sinnvoll ist und sich langfristig auszahlt. Dass er eben doch eine Rendite abwirft, auch wenn die schwer zu erfassen ist. Die Aufgabe besteht folglich darin, in den Umbau zu investieren und die Kosten möglichst gering zu halten.

    Wie eine kosteneffiziente Energiewende aussehen könnte, dazu gibt es Studien in Hülle und Fülle. In letzter Zeit sorgten in Deutschland vor allem zwei für Aufsehen, eine davon stammt BDI.

    Stromleitung in Norddeutschland: Die Energiewende könnte viel günstiger sein, sagen Studien. Wenn sie besser gemanaget würde

    Stromleitung in Norddeutschland: Die Energiewende könnte Studien zufolge viel günstiger sein. Wenn sie besser gemanaget würde.

    Der Industrieverband hatte die Energiewende bis dato eher skeptisch beäugt, stimmt nun aber versöhnliche Töne an. Die Studie von fast 200 Experten aus 70 Unternehmen und Mitgliedsverbänden ergab, dass die anvisierte Minderung der CO2-Emissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nicht schadet.

    Im Gegenteil: Das Bruttoinlandsprodukt könnte dadurch sogar wachsen, und zwar um 0,4 bis 0,9 Prozent pro Jahr, je nach untersuchtem Szenario. Aus der Feder eines Industrieverbands wiegen diese Worte doppelt schwer.

    Voraussetzung sei aber, dass die Politik es richtig anstellt. Am besten wäre der Studie zufolge eine international abgestimmte Energiewende. Ohne Kooperation sei zumindest das 95-Prozent-Ziel erst gar nicht zu erreichen.

    Außerdem unterstellt die BDI-Studie einige idealtypische Annahmen, zum Beispiel dass der Stromnetzausbau wie geplant vorankommt. Daneben müssten ganz neue, teils umstrittene Technologien zum Einsatz kommen – etwa synthetisches Gas, das mit Ökostrom aus Wasser und CO2 gewonnen würde, oder die unterirdische CO2-Speicherung (CCS).

    Alles zu elektrifizieren, ist der falsche Ansatz, meint die Dena

    Ob sich das alles so umsetzen lässt? Dahinter macht der BDI ein großes Fragezeichen. In der Vergangenheit seien der Politik schwere Fehler unterlaufen. Ein Beispiel hierfür sei die massive Überförderung von Solaranlagen in den Anfangsjahren.

    Viel Aufmerksamkeit erregte im Frühjahr auch die „Leitstudie Integrierte Energiewende“ der Dena. Ihr zufolge würde die Energiewende bis 2050 um mehrere Hundert Milliarden Euro günstiger, wenn die Bundesregierung ihr Augenmerk nicht allein auf Ökostrom legt.

    Kohlekraftwerk in Norddeutschland: Bei den Betreibern konventioneller Kraftwerke werden Jobs abgebaut. In Summe steigt die Zahl der Beschäftigten in der Energiewirtschaft aber.

    Kohlekraftwerk in Norddeutschland: Bei den Betreibern konventioneller Kraftwerke werden Jobs abgebaut. In Summe steigt die Zahl der Beschäftigten in der Energiewirtschaft aber.

    Die Regierung hält es bislang für den effizienten Weg, möglichst viel Strom direkt zu nutzen, sei es in Elektroautos oder elektrischen Wärmepumpen. Die Rede ist von der „All-Electric-Society“. Den Strom vor der Nutzung in Gas umzuwandeln, lehnt sie bis auf Weiteres ab.

    Die Dena und ihre mehr als 60 Studienpartner aus Wirtschaft und Wissenschaft plädieren stattdessen für einen breiteren Energiemix, unter anderem mit synthetischen Gasen und CCS.

    Bestimmte Bereiche lassen sich laut Dena nicht komplett elektrifizieren, insbesondere der Flugverkehr oder die chemische Industrie. Um trotzdem eine CO2-Reduktion um 95 Prozent zu erreichen, müssten die verbleibenden Emissionen aufgefangen und wiederverwertet oder geologisch gespeichert werden.

    Die Energiewende schafft Jobs. Und verringert die Importabhängigkeit

    Um die gesamtwirtschaftlichen Effekte der Energiewende besser zu verstehen, läuft derzeit auch ein umfangreiches Forschungsprojekt des Bundes. Untersucht werden die Auswirkungen auf Investitionen, Wachstum und Beschäftigung oder auch Energieimporte.

    Eines der ersten Ergebnisse ist, dass die Energiewende summa summarum Arbeitsplätze schafft. Durch den Ausbau der erneuerbaren Energien sind bislang rund 380.000 Jobs entstanden.

    Windräder neben dem Kohlekraftwerk Mehrum in Niedersachsen: Jeder Euro, der in erneuerbare Energien fließt, trägt dazu bei, die Kosten des Klimawandels zu verringern.

    Windräder neben dem Kohlekraftwerk Mehrum in Niedersachsen: Jeder Euro, der in erneuerbare Energien fließt, trägt dazu bei, die Kosten des Klimawandels zu verringern.

    Zieht man davon die Verluste ab, hauptsächlich in der traditionellen Energiewirtschaft, so bleibt je nach Studie ein positiver Saldo von 10.000 bis 50.000 übrig. Bis zur Mitte des Jahrhunderts könnte dieser Netto-Beschäftigungszuwachs auf mehrere Hunderttausend steigen.

    Ein wichtiges Argument für die Energiewende ist, dass dadurch die Abhängigkeit von Importen fossiler Energieträger erheblich sinkt. Wie diese Ersparnisse erfasst werden können, dazu wurde im Auftrag des Bundes kürzlich eine neue Methodik entwickelt. Die Berechnungen ergaben, dass die deutsche Importbilanz im Jahr 2015 um 16 bis 18 Milliarden Euro entlastet wurde.

    Nutznießer seien vor allem private Haushalte und Autofahrer gewesen. Insofern erscheinen die gut 25 Milliarden Euro jährlich für die Förderung erneuerbarer Energien über das EEG in einem ganz anderen Licht.

    Windräder neben dem Kohlekraftwerk Mehrum in Niedersachsen: Jeder Euro, der in erneuerbare Energien fließt, trägt dazu bei, die Kosten des Klimawandels zu verringern.

    Dampfwolken der Kühltürme des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld: Die Kernenergie in Deutschland konnte nur durch massive Subventionen des Staates groß werden.

    Wobei zu bedenken ist, dass Importe laut BDI und Dena auch künftig eine große Rolle spielen werden. Nur geht es dann nicht um Erdgas, sondern um klimafreundlicheren Wasserstoff oder grünes Methan.

    Für konventionelle Kraftwerke fließen noch immer mehr Subventionen

    Bei der Wahl der kostengünstigsten Kraftwerke zur Stromerzeugung fällt die Entscheidung heute schon meist zugunsten erneuerbarer Quellen. 2017 wurden das sechste Jahr in Folge weltweit mehr Windräder, Solaranlagen und Co. als fossile Kraftwerke installiert, teilte die internationale Agentur für erneuerbare Energien (Irena) mit.

    Die neuen Ökostromanlagen mit zusammen 178.000 Megawatt installierter Leistung, etwa so viel wie 200 Kernkraftwerke, hatten einen Anteil am Gesamtzubau von 70 Prozent. Sie sind inzwischen konkurrenzfähig und oft auch ohne staatliche Subventionen günstiger als fossile Energie. In einigen Jahren dürfte mit den Subventionen ohnehin Schluss sein.

    Apropos Subventionen: In der Kostendebatte wird häufig übersehen, dass auch die fossilen Energien von Anbeginn jede Menge Geld vom Staat erhalten haben. Sonst wäre insbesondere die Kernkraft gar nicht erst entwickelt worden.

    Im Jahr 2016 flossen laut Internationaler Energieagentur (IEA) fossile Subventionen von schätzungsweise 260 Milliarden US-Dollar – fast doppelt so viel wie in die Erneuerbaren. Mit Blick auf die Klimaschutzziele haben die G20 vereinbart, die fossilen Subventionen bis 2025 auslaufen zu lassen.

    Wenn das gelingt, kann ein fairer Wettbewerb beginnen.

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