Einspeisevorrang auf der Kippe

  • Search04.01.2019

Erneuerbare fürchten um Vorfahrt im Netz

Die Bundesregierung will den Einspeisevorrang für erneuerbare Energien aufweichen. Statt Kohlemeilern könnten künftig Windräder vom Netz gehen, wenn zu viel Strom produziert wird. Dagegen regt sich heftiger Protest.

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    Welcher Strom darf zuerst ins Netz – der aus den Windrädern oder der aus dem Kohlekraftwerk?

    Welcher Strom darf zuerst ins Netz der aus den Windrädern oder der aus dem Kohlekraftwerk?

    Von Steven Hanke

    Wenn es mal wieder eng wird auf deutschen Stromautobahnen, müssen bislang zuerst die konventionellen Kraftwerke weichen. Ökostrom genießt nämlich per Gesetz einen Einspeisevorrang. Windräder, Solaranlagen und andere regenerative Kraftwerke darf ein Netzbetreiber erst dann abschalten, wenn die Fossilen wie Kohle und Gas bereits vom Netz sind.

    Der Einspeisevorrang und die Förderung der erneuerbaren Energien über das EEG sind die Garanten dafür, dass der Ökostromanteil in Deutschland auf inzwischen rund 40 Prozent gestiegen ist.

    Das Netzausbau-Beschleunigungsgesetz relativiert den Einspeisevorrang

    Doch mit der uneingeschränkten Vorfahrt der Erneuerbaren dürfte es erst einmal vorbei sein. Heimlich, still und leise, hat die Bundesregierung mit dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz (Nabeg 2.0) Mitte Dezember von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt beschlossen, den Einspeisevorrang aufzuweichen: Ab Ende 2020 soll es erlaubt sein, bei Netzengpässen Ökostromanlagen ab 100 Kilowatt installierter Leistung in begrenztem Umfang und für eine bestimmte Zeit abzuschalten – und zwar vor konventionellen Kraftwerken.

    Doch mit der uneingeschränkten Vorfahrt der Erneuerbaren dürfte es erst einmal vorbei sein. Heimlich, still und leise, hat die Bundesregierung mit dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz (Nabeg 2.0) Mitte Dezember von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt beschlossen, den Einspeisevorrang aufzuweichen: Ab Ende 2020 soll es erlaubt sein, bei Netzengpässen Ökostromanlagen ab 100 Kilowatt installierter Leistung in begrenztem Umfang und für eine bestimmte Zeit abzuschalten – und zwar vor konventionellen Kraftwerken.

    Das Gleiche soll für die bislang ebenfalls privilegierten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) für die Strom- und Wärmeerzeugung gelten. Wenn ihre Anlagen abgeschaltet werden, weil mehr Strom ins Netz drängt, als das verkraftet, erhalten die Betreiber eine Entschädigung. Ziel der Regierung ist, die Kosten für die sogenannten Redispatch-Maßnahmen zum Beheben von Netzengpässen zu senken. Schließlich lassen sich Windräder und Solaranlagen viel leichter abregeln als ein altes, behäbiges Kohlekraftwerk.

    Der steigende Ökostromanteil macht das Management der Stromnetze kompliziert – und teuer. Mit der Aufweichung des Einspeisevorrangs will die Bundesregierung die Kosten senken.

    Der steigende Ökostromanteil macht das Management der Stromnetze komplizierter und teurer. Mit der Aufweichung des Einspeisevorrangs will die Bundesregierung die Kosten senken.

    Dass dadurch der Ökostromanteil sinkt und die CO2-Emissionen steigen, nimmt die Regierung in Kauf. Beide Effekte würden durch die gesetzlichen Vorgaben in engen Grenzen gehalten und seien angesichts der Vorteile für die Systemsicherheit „vertretbar“, heißt es im Gesetzestext.

    Diese Einschätzung stützt sich auf ein Studie der Beratungsunternehmen Consentec, Ecofys und BBH im Auftrag des federführenden Bundeswirtschaftsministeriums. Demnach könnte eine „gezielte Relativierung“ des Einspeisevorrangs unter Umständen technisch und ökonomisch sinnvoll sein. Die Studie trifft aber keine Aussage darüber, wie hoch die Kosten und Effizienzgewinne wären.

    Heftige Kritik aus den Ländern: Niedersachsen beschwert sich in Berlin

    Die Befürworter der Energiewende sind alarmiert. Niedersachsens Energie- und Umweltminister Olaf Lies (SPD) kritisiert die Pläne deutlich. „Der Ansatz, den Vorrang für die erneuerbaren Energien zu unterwandern, der ist schon skurril, das muss man wirklich sagen“, schimpfte er vor Weihnachten auf einer Veranstaltung der Stiftung Offshore-Windenergie in Berlin. „Auf die Idee, die Windenergie runterzuregeln, damit die Kohle ununterbrochen weiterläuft, kann doch ernsthaft keiner kommen“, meinte er. Deutschland laufe ohnehin Gefahr, seine Klimaschutzziele zu verfehlen.

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    Der Ansatz, den Vorrang für die erneuerbaren Energien zu unterwandern, der ist schon skurril, das muss man wirklich sagen.

    Olaf Lies, Umwelt- und Energieminister von Niedersachsen

    Lies weiß in der Frage die Mehrheit der Bundesländer hinter sich. In einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) forderten die Energieminister von neun Ländern unter anderem, keine Abstriche beim Einspeisevorrang für Erneuerbare zu machen. Stattdessen möge der Bund den vorzeitigen Kohleausstieg voranbringen und auf diese Weise die Netze entlasten.

    Während der Bund im Herbst am Einspeisevorrang sägte, wurde parallel der Fahrplan für den Kohleausstieg verhandelt. Ergebnisse der Kohlekommission, der auch Lies angehört, sollen aber erst Anfang Februar vorliegen.

    Laut dem Kabinettsbeschluss zum Nabeg 2.0, dem der Bundestag und Bundesrat noch zustimmen müssen, wird der Einspeisevorrang neu definiert. Ein vorrangiges Abschalten von Ökostromanlagen ist nur zulässig, wenn sich dadurch ein Vielfaches an Abschaltungen fossiler Anlagen vermeiden lässt. Ein Vielfaches bedeute „mindestens das Fünffache und höchstens das Fünfzehnfache“ (Mindestfaktor). Das Gesetz eröffnet hier also einen gewissen Ermessensspielraum.

    Der Gesetzgeber legt den Einspeisevorrang in die Hände der Bundesnetzagentur

    Die exakte Höhe soll die Bundesnetzagentur festlegen. Sie muss abwägen zwischen Kosten einerseits und Ökostromanteil sowie Klimaschutz andererseits. Weil das ein kompliziertes Unterfangen ist und viele Unternehmen und Verbänden anzuhören sind, bekommt die Behörde acht zusätzliche Personalstellen bewilligt.

    Damit bei den Abwägungen der Klimaschutzaspekt nicht zu kurz kommt, muss das Umweltbundesamt der Festlegung der Mindestfaktoren zustimmen. Letztlich dürfte es aber vor allem eine politische Entscheidung sein. Sie wird maßgeblich dafür sein, ob die vorrangigen Abschaltungen erneuerbarer Energien eine Ausnahme sein werden oder nicht.

    Die geplante Aufweichung des Einspeisevorrangs spaltet die Energiewirtschaft naturgemäß. Der Riss verläuft quer durch den Branchenverband BDEW, der neben traditionellen Versorgern neuerdings auch etliche Ökofirmen vertritt. Der Windverband BWE lehnt die Regierungspläne kategorisch ab. Für den Fall, dass sie dennoch umgesetzt werden, fordern der BWE und der Dachverband BEE wenigstens einen hohen Mindestfaktor - mindestens das Zehnfache. Dies sei im Gesetz festzuschreiben, anstatt die Festlegung der Bundesnetzagentur zu überlassen. Die Verbände verlangen zudem größtmögliche Transparenz, um nachvollziehen zu können, wie der Faktor zustande kommt.

    Die Übertragungsnetzbetreiber sollen EEG-Anlagen abschalten. Obwohl die am Verteilnetz hängen

    Für Empörung sorgt auch der Plan, die Verantwortung für das Redispatch und das Einspeisemanagement künftig den Übertragungsnetzbetreibern zu überlassen. Die Verteilnetzbetreiber werden mehr oder weniger entmachtet, obwohl an ihren Leitungen die allermeisten EEG- und KWK-Anlagen hängen. „Trotz der noch laufenden Gespräche zwischen Wirtschaftsministerium, Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern über zukünftige Redispatch-Regelungen wurden kurzfristig Fakten geschaffen - und zwar zu Lasten der Verteilnetzbetreiber“, beklagt Katherina Reiche, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU).

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    Trotz der noch laufenden Gespräche zwischen Wirtschaftsministerium, Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern über zukünftige Redispatch-Regelungen wurden kurzfristig Fakten geschaffen und zwar zu Lasten der Verteilnetzbetreiber.

    Katherina Reiche, Hauptgeschäftsführerin
    des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU)

    Sie spricht von einer „falschen Entscheidung zur Unzeit“. Jeder Netzbetreiber müsse für seine Netzebene verantwortlich bleiben. Der VKU fordert deshalb einen Redispatch-Prozess von unten nach oben mit Verteilnetzbetreibern als Anker. Nur so lasse sich die Netzstabilität gewährleisten. Nur der Netzbetreiber vor Ort wisse Bescheid, etwa darüber, ob Anlagen gerade gewartet werden oder wie lokale Verbräuche sind.

    Mit den neuen Regelungen setzt Deutschland eine EU-Verordnung um

    Mit der Integration der Erneuerbaren in den Redispatch-Prozess setzt die Bundesregierung einen Teil der neuen Strommarktverordnung der EU um. Die Verordnung, auf die sich die EU-Organe (Kommission, Rat, Parlament) im Dezember grundsätzlich einigten, gibt den Rahmen vor für die Strommarkt-Regulierung im kommenden Jahrzehnt. Eine der Vorgaben ist, dass sämtliche Erzeuger, flexible Verbraucher und Speicher am Redispatch teilnehmen. Die Entscheidung, welche Maßnahme zur Netzstabilisierung als erste umgesetzt wird, soll der Markt treffen.

    Das Nabeg 2.0 soll eigentlich in erster Linie dazu dienen, die Genehmigungsverfahren für die Stromleitungen zu beschleunigen. Die Bundesregierung nutzt den Entwurf aber als Vehikel, um die Regelungen zum Einspeisevorrang auf den Weg zu bringen.

    Ursprünglich sollten diese schon im Energiesammelgesetz verankert werden, das Bundestag und Bundesrat Mitte Dezember verabschiedeten und das Sonderausschreibungen für erneuerbare Energien beinhaltet. Die Regierung hatte die Beschleunigung des Netzausbaus und dessen Synchronisierung mit den Erneuerbaren zur Bedingung erklärt für die Sonderausschreibungen.

    Mit dem neuen Nabeg werden unter anderem Fristen verschärft, Verfahrensschritte gestrichen und vereinfachte Verfahren gestärkt. Wenn zum Beispiel eine bestehende Stromleitung ersetzt werden soll durch eine leistungsstärkere, wird das Genehmigungsverfahren verschlankt. Ein weitere wichtige Neuerung ist, dass der Bau schon beginnen kann, auch wenn der abschließende Genehmigungsbescheid noch nicht vorliegt. Eine Beschleunigung des Netzausbaus käme vor allem auch der Offshore-Windenergie zugute. Sie leidet seit Jahren darunter, dass der Strom an Land nicht abtransportiert werden kann.

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