Amprion wird Offshore-Netzbetreiber

  • Search07.12.2018

Kabelbrücke an die Nordsee

Die Anschlüsse von Nordsee-Windparks sollen künftig Hunderte Kilometer ins Landesinnere reichen. So wird das löchrige Stromnetz an der Küste überbrückt. Nicht alle jubeln über das Engagement des Konzerns aus dem Westen.

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    Von Steven Hanke

    Die Region um das ostfriesische Emden ist ein weißer Fleck im bundesdeutschen Höchstspannungsübertragungsnetz. Das beginnt erst im 70 Kilometer entfernten Conneforde. Die Anbindung dorthin ist zwar geplant, doch die beiden 380-kV-Kabel gehen frühestens 2021 in Betrieb. Ungeachtet dessen soll schon 2019 ausgerechnet in Emden-Ost der Strom aus mehreren Offshore-Windparks mit 1000 Megawatt Gesamtleistung anlanden. Die Windräder und der Leitungsabschnitt auf See (Borwin 3) werden wohl auch pünktlich fertig. An Land (onshore) geht es dann aber nicht weiter, weil der Link nach Conneforde fehlt.

    Das Stromnetz ist der Flaschenhals, durch den Offshore-Strom fließen muss

    „Der Offshore-Windstrom endet im Sand“, schimpfte Michael Fuchs, als er noch als Fraktionsvize der CDU/CSU im Bundestag saß. Er ist aber nicht der einzige, der das Problem erkannt hat. „Viele Menschen wissen gar nicht, dass sie mehr als eine Milliarde Euro zahlen, die am Strand der Nordsee verlorengeht“, sagt Carsten Schneider, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD.

    Steckdose in der Nordsee: Konverstationen wie diese 70 Kilometer westlich von Sylt in der Nordsee sammeln den Strom von Offshore-Windparks ein.

    Ein Teil des Stroms kann immerhin über eine bestehende, deutlich kleinere 220-kV-Leitung nach Conneforde fließen. Wenn die jedoch voll ist, müssen die Windparkbetreiber ihre Anlagen abschalten. Für die entgangenen Erlöse erhalten sie eine finanzielle Entschädigung, die auf die Strompreise umgelegt wird.

    Das löchrige Stromnetz an Land entwickelt sich zum Flaschenhals für die Offshore-Windkraft. Allein über den Netzknotenpunkt Conneforde werden bereits 3000 Megawatt Strom vom Meer einspeist, bis 2035 kommen weitere 10000 Megawatt hinzu. Um die Energie abtransportieren zu können, sind mehr als ein Dutzend Netzausbauprojekte und insgesamt knapp 300 Kilometer neue Leitungstrassen unverzichtbar.

    Kostspielige Verzögerungen sind programmiert, wenn man bedenkt, dass in den letzten Jahren bundesweit nur 150 der notwendigen 5900 Leitungskilometer realisiert wurden.

    Deshalb geht man jetzt ganz neue Wege. Die Idee ist, die Netzanschlüsse für Offshore-Windparks künftig nicht an der Küste enden zu lassen, sondern Hunderte Kilometer weit in das Landesinnere zu verlängern. Sie würden auf direktem Wege bis an die Landesgrenze von Nordrhein-Westfalen herangeführt – also bis in die Regionen, in denen der Stromverbrauch besonders groß ist. Das schwach ausgebaute Netz im Norden würde damit überbrückt und entlastet.

    Fließt der Strom aus Offshore-Windparks besser ab, sinken die Kosten für alle

    Die Planungen sind schon sehr konkret. Laut aktuellem Netzentwicklungsplan sollen zwei Offshore-Leitungen namens Dolwin 4 und Borwin 4 über Emden zum Netzverknüpfungspunkt in Hanekenfähr im südlichen Niedersachsen reichen, fast an der Grenze zu NRW.

    Querschnitt durch ein Seekabel der Offshore-Stromtrasse „Ostwind 1“: Das Projekt in der Ostsee wird vom Netzbetreiber 50Hertz verkabelt.

    Die Gesamtlänge der Verbindungen mit jeweils mehr als 1000 Megawatt Transportkapazität beträgt stolze 218 beziehungsweise 298 Kilometer. Die Inbetriebnahme ist für 2028 und 2030 geplant. Die Bundesnetzagentur hat den Vorhaben grünes Licht gegeben. Eine formale Bestätigung durch die für den Offshore-Bereich zuständige Genehmigungsbehörde BSH Mitte 2019 gilt als Formsache.

    Die Konsequenz wäre, dass der westdeutsche Übertragungsnetzbetreiber Amprion aus Dortmund plötzlich zum Offshore-Netzbetreiber würde. Denn Hanekenfähr fällt in seine sogenannte Regelzone. Für Seekabel, die an der Küste enden, sind bislang die dortigen Netzbetreiber Tennet (Nordsee) und 50 Hertz (Ostsee) zuständig.

    Amprion bereitet sich schon auf das Abenteuer Offshore vor und hat dafür eine eigene Abteilung gegründet. Die Suche nach Mitarbeitern läuft. Nähere Infos hat der Netzbetreiber für Anfang 2019 angekündigt.

    Hanekenfähr bietet sich als Endpunkt an, weil dort derzeit noch das Kernkraftwerk Emsland einspeist, das aber 2022 vom Netz geht. Dann ist viel Platz für den Offshore-Windstrom. Die Verlängerung der Leitung ist die netztechnisch und volkswirtschaftlich sinnvollere Lösung, meint auch die Bundesnetzagentur.

    Dadurch reduziert sich der Ausbau des Verteilnetzes im Norden. Man vermeidet Abschaltungen von Windrädern und andere teure Ausgleichsmaßnahmen zur Stabilisierung des Stromnetzes. Zum Beispiel müsste im Raum Conneforde ein sogenannter Phasenschieber errichtet werden, der den Strom bei Engpässen umleitet.

    Bei Tennet ist man über das neue Modell wenig begeistert

    Den Ausschlag für Hanekenfähr dürfte auch gegeben haben, dass die Leitung voraussichtlich als Erdkabel realisiert wird. So wie es bei anderen Nord-Süd-Trassen wie Suedlink ebenfalls geplant ist. Die Erdverkabelung anstelle von Freileitungen soll dafür sorgen, dass der Bau nicht an den Protesten betroffener Anwohner scheitert.

    Doch nicht jeder ist von den Plänen vollends überzeugt. Vorbehalte äußert insbesondere der Netzbetreiber Tennet, der einen Teil seines Geschäfts an Amprion verlieren würde. „Beides hat Vor- und Nachteile, wir müssen jetzt mit der Bundesnetzagentur eine Konzeptentscheidung treffen“, sagt Tennet-Vorstand Wilfried Breuer im Gespräch mit EnergieWinde. „Als Elektroingenieur würde ich mich eher für die Küstensammelschiene entscheiden“, erklärt er.

    In dem Fall stünde ab dem Netzverknüpfungspunkt ein redundantes Netz zur Verfügung. Viele Wege würden zum Verbraucher führen. Bei Ausfall einer Leitung könne der Strom über eine andere fließen. Freileitungen hält er für die wirtschaftlicher als „Erdkabel bis ins Ruhrgebiet“.

    Sie seien kostengünstiger und leistungsfähiger, weil sie an der Luft gekühlt werden und so der elektrische Widerstand sinkt. „Was das Thema Akzeptanz angeht, kann ich natürlich verstehen, dass die Bevölkerung im nördlichen Niedersachsen irgendwann sagt, jetzt reicht`s aber“, so Breuer.

    Weil der Netzausbau an Grenzen stößt, entwickeln die Übertragungsnetzbetreiber längst Alternativen. Eine Option ist, den Windstrom per Elektrolyse in Wasserstoff oder synthetisches Methan umzuwandeln und über das Gasnetz in den Süden zu transportieren. Eine solche Power-to-Gas-Anlage im Multi-Megawatt-Maßstab will Amprion mit dem Gasnetzbetreiber OGE in Niedersachsen oder im nördlichen NRW bauen. Den gleichen Plan verfolgt auch Tennet mit Gasunie und Thyssengas. Nur liegt deren bevorzugter Standort für eine Pilotanlage weiter nördlich, entweder in Diele oder in Conneforde.

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