Artenschutz

  • Search01.09.2023

Der Korallenbaumeister

Weltweit sterben die Korallen. Tom Goreau will sie retten: Er baut künstliche Riffe ins Meer und setzt sie unter Strom. Die Tiere sollen darauf schneller wachsen – und der Klimakrise trotzen.

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    Der Meeresbiologe und Biochemiker Tom Goreau auf Lombok (Indonesien) vor einer Biorock-Struktur: Darauf soll ein künstliches Korallenriff wachsen.

    Verschweißte Stahldrähte bilden das Gerüst der künstlichen Riffe von Tom Goreau, hier 2012 auf der indonesischen Insel Lombok.

     

    Von Volker Kühn

    Es gibt ein Foto im „Townsville Bulletin“, da sind seine Haare noch braun und auf der Stirn zeichnen sich nur ein paar feine Linien ab. Heute ist Tom Goreaus Lockenpracht fast weiß und die Stirn faltig, aber die Botschaft, mit der der Meeresbiologe um die Welt reist, ist noch immer dieselbe wie in dem Zeitungsartikel damals in den Neunzigern: Die Korallenriffe sind in Gefahr, und wir müssen alles tun, um sie zu retten.

    Goreau weiß, wovon er spricht, er hat sein Leben den farbenprächtigen Blumentieren gewidmet. Schon als Kind tauchte er mit seinem Vater, selbst ein berühmter Korallenforscher, in seiner Heimat Jamaika. Auch während des Biogeochemie-Studiums in Harvard blieb er dem Tauchen treu. So sah er mit eigenen Augen, wie ein Korallenriff nach dem anderen in den sich erwärmenden Ozeanen starb.

    Selbst wenn es gelingt, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, könnten 70 bis 90 Prozent aller Riffe verloren sein, warnt der Weltklimarat. Bei zwei Grad stünde das Schicksal fast sämtlicher Korallen auf der Kippe. Goreau will das nicht hinnehmen. Denn Korallenriffe sind nicht nur atemberaubend schön, Sie bilden auch die mit Abstand artenreichsten Ökosysteme in den Ozeanen. Ein Viertel aller Tier- und Pflanzenarten hat hier seine Heimat.

    Der Meeresbiologe und Biochemiker Tom Goreau baut künstliche Riffe, die er unter Strom setzt, um das Wachstum von Korallen zu fördern. Foto: Rani Morrow-Wuigk

    Schon als Kind ist Tom Goreau zu den Korallenriffen seiner Heimat Jamaika hinabgetaucht. Seither hat ihn die Faszination nicht losgelassen.

    Ein Treffen mit dem deutschen Architekten Wolf Hilbertz gab Goreaus Leben 1987 eine Wende. Hilbertz und Goreau entwickelten ein Verfahren, um das Korallenwachstum zu fördern. Goreau, heute Anfang 70 und sonnengebräunt wie eh und je, wird nicht müde, es zu erklären: Man nehme Stahlstangen, wie sie im Betonbau üblich sind und verschweiße sie miteinander – kuppelartig, seesternförmig, eiffelturmspitz, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Dann stelle man sie ins Meer und verkabele sie mit einer Stromquelle. Jetzt setze man das Ganze unter Spannung. Ganz sanft nur, zwischen sechs und zwölf Volt Gleichstrom fließen durch die Stangen. Streift die Hand eines Menschen oder die Flosse eines Fischs das Metall, spüren sie nichts davon.

    Tom Goreau lässt das Leben erblühen – unter Wasser und oft auch an Land

    Dann geschieht das erste von fünf Wundern: Schon nach Stunden wächst eine kalkweiße Schicht auf dem Rostrot des Stahls. Elektrolyse nennt sich dieses Verfahren, bei dem mittels Gleichstrom Mineralien wie Kalzium und Magnesium aus dem Wasser gefiltert werden. „Biorock“ heißt das Material, das sich dabei bildet – aus nichts anderem bestehen Korallenskelette. Nun befestigen Taucher Bruchstücke lebender Korallen an den Stangen, wo sie – Wunder Nummer zwei – viermal schneller wachsen sollen als auf natürlichen Riffen. Denn Korallen benötigen viel Energie, um Mineralien aus dem Meer aufzunehmen. Die Elektrolyse nimmt ihnen einen Teil dieser Arbeit ab und sorgt für einen festen Untergrund auf dem Stahl.

    Wunder Nummer drei ist der Schutzschirm gegen den Klimawandel, den das Verfahren den Korallen verleiht. Unter Strom gesetzt, sagt Goreau, seien sie widerstandsfähiger. Sie überlebten Temperaturen, in denen sie gewöhnlich keine Chance hätten. Mehr noch, auch andere Arten profitieren nach seinen Worten von den künstlichen Riffen. Seegräser, Muscheln und Fische etwa siedelten sich rasch und in wachsender Zahl an. „Ganze Küstenökosysteme können sich dort regenerieren“, erklärt der Meeresforscher gegenüber EnergieWinde.

    Taucher verkabeln eine Biorock-Struktur auf dem Meeresgrund vor Bali: Auf dem Gerüst sollen Korallen besonders schnell wachsen.

    Taucher verkabeln ein Gerüst aus Stahlrohr auf dem Meeresgrund vor Bali. Wenn schwacher Gleichstrom durch das Metall geleitet wird, ...

    Biorock-Korallenriffe können fantasievolle Formen haben. Dieses künstliche Riff erinnert an einen Krebs.

    ... bildet sich auf dem Gerüst schon nach wenigen Stunden eine kalkweiße Schicht aus Mineralien. Sie entspricht dem Korallenskelett. Gewöhnlich ....

    Stahldraht ist die Ausgangsbasis der Biorock-Korallenriffe von Tom Goreau. Werden sie unter Strom gesetzt, wachsen Korallen darauf sehr schnell.

    ... sondern die Tiere dieses Material selbst ab, um ihrer Kolonie Halt zu verleihen. Dieser Prozess fordert den Korallen viel Energie ab. In Biorock-Projekten ...

    Biorock-Korallenriff vor der Küste Balis: Tom Goreau versucht weltweit, das Sterben der Korallen mit solchen künstlichen Riffen aufzuhalten.

    ... nimmt der Strom ihnen einen Teil dieser Arbeit durch die Elektrolyse ab. Auf den Gerüsten befestigen Taucher lebende Korallenbruchstücke. Sie wachsen ...

    Ein Taucher in einem Biorock-Korallenriff: Tom Goreau arbeitet weltweit daran, künstliche Riffe zu errichten.

    ... darauf viermal schneller als gewöhnlich. Der Strom erfüllt aber noch eine zweite Aufgabe: Es soll Korallenriffe widerstandsfähiger gegen die Erwärmung ...

    Biorock-Korallenriff auf Bali: Auf den Strukturen aus Stahlrohren werden Bruchstücke lebender Korallen befestigt, die darauf besonders gut wachsen.

    ... der Meere machen. Sie bedroht den einzigartigen Lebensraum unmittelbar. Viele Korallenriffe sind bereits abgestorben. Dieses Biorock-Riff dagegen wächst und gedeiht.

    Taucher verkabeln eine Biorock-Struktur auf dem Meeresgrund vor Bali: Auf dem Gerüst sollen Korallen besonders schnell wachsen.
    Biorock-Korallenriffe können fantasievolle Formen haben. Dieses künstliche Riff erinnert an einen Krebs.
    Stahldraht ist die Ausgangsbasis der Biorock-Korallenriffe von Tom Goreau. Werden sie unter Strom gesetzt, wachsen Korallen darauf sehr schnell.
    Biorock-Korallenriff vor der Küste Balis: Tom Goreau versucht weltweit, das Sterben der Korallen mit solchen künstlichen Riffen aufzuhalten.
    Ein Taucher in einem Biorock-Korallenriff: Tom Goreau arbeitet weltweit daran, künstliche Riffe zu errichten.
    Biorock-Korallenriff auf Bali: Auf den Strukturen aus Stahlrohren werden Bruchstücke lebender Korallen befestigt, die darauf besonders gut wachsen.

    Goreaus viertes Wunder zeigt sich dort, wo Meer und Land zusammentreffen. Denn stark erodierte Strände, vor denen Biorock-Riffe errichtet werden, legen von selbst wieder an Größe zu, wie Goreau beobachtet hat. Die künstlichen Riffe fungieren zudem als Wellenbrecher. Sie mildern die Wucht, mit der die immer stärker werdenden Taifune, Hurrikans und Zyklone die Küsten treffen.

    Wunder Nummer fünf schließlich geschieht in den Köpfen und Herzen der Menschen, mit denen Goreau zusammenarbeitet. Wo immer er auf seinen Reisen um die Welt lokale Gemeinschaften bewegt, Biorock-Riffe anzulegen, floriert nicht nur das Korallenwachstum, sondern auch der Ökotourismus. Tauchurlauber kommen, um an den Projekten mitzuarbeiten, die Menschen vor Ort erkennen, dass der Schutz der Meere mehr abwirft als ihre Plünderung.

    Goreaus neuestes Projekt: schwimmende Solarpaneele vor bedrohten Inseln

    Mit dem Biorock-Verfahren hatte Goreau Ende der Achtziger seine Lebensaufgabe gefunden. 1990 gründete er die Global Coral Reef Alliance, eine Organisation, die weltweit Biorock-Korallenriffe anlegt. Inzwischen stehen sie in Dutzenden Ländern von den Malediven bis Mexiko, die größten auf Bali. Den ökologischen Wert jahrhunderteralter Riffe könnten die Biorock-Projekte zwar nicht ersetzen, erklärt Kim Detloff, Leiter des Bereichs Meeresschutz beim NABU; es sei daher wichtig, die noch bestehenden Riffe bestmöglich zu schützen. Doch angesichts der fortschreitenden Zerstörung wachse die Bedeutung von Initiativen wie der von Goreau.

    Der Korallenbaumeister entwickelt sein Verfahren derweil weiter. Aktuell arbeitet Goreau an großen Riffprojekten, bei denen der Strom für die Elektrolyse aus schwimmenden Solarpaneelen kommt. Damit will er gefährdete Inseln schützen, auf den Malediven, in Tuvalu, in Kiribati und in seiner Heimat, der Karibik.

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