Klima-Anwältin Roda Verheyen

  • Search03.07.2025

„Es wird weitere Klagen geben“

Roda Verheyen hat vor Gericht spektakuläre Erfolge für den Klimaschutz erreicht. Im Interview erklärt sie, warum es künftig schwerer werden könnte – und wir um Demokratie und Rechtsstaat kämpfen müssen.

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    Saúl Luciano Lliuya lebt an einem Gletscher in Peru. Sein Haus ist vom Klimawandel bedroht. Vor dem OLG Hamm hat er den Energiekonzern RWE verklagt, sich an den Kosten für den Schutz seines Hauses zu beteiligen.

    Saúl Luciano Lliuya lebt an einem Gletschersee in den peruanischen Anden. Weil sein Haus vom Klimawandel bedroht ist, hat er RWE verklagt, sich an den nötigen Vorkehrungen zu beteiligen, um das Haus klimafest zu machen. Roda Verheyen hat Lliuya vor dem OLG Hamm vertreten.

     

    Frau Verheyen, Ende Mai hat das Oberlandesgericht Hamm die Klage Ihres Mandanten Saúl Luciano Lliuya gegen RWE abgewiesen. Trotzdem sprachen Sie hinterher von einem „spektakulären Erfolg für den Klimaschutz“. Wie passt das zusammen?
    Roda Verheyen: Das Gericht hat die Klage in der Sache abgewiesen, weil es zu dem Schluss kam, dass das Risiko für das Haus meines Mandanten nicht groß genug sei. Ich halte das für falsch. Das Haus liegt zwar etwas erhöht, könnte im Fall einer Flut- oder Schlammwelle durch einen Eis- oder Bergsturz aber durchaus zerstört werden. Schließlich tauen in den umliegenden Bergen die Gletscher. Wie real solche Gefahren sind, haben wir jüngst auf tragische Weise im schweizerischen Blatten gesehen. Deswegen bedauere ich die Entscheidung sehr. Für den Klimaschutz ist aber etwas anderes entscheidend.

    Nämlich?
    Verheyen: Erstmals hat ein Gericht anerkannt, dass große Treibhausgasverursacher für Klimaschäden haftbar gemacht werden können. Das ist weltweit einzigartig. In einer zentralen Passage stellt das Urteil fest, dass für RWE bereits seit 1965 vorauszusehen war, dass der fortwährende Ausstoß von Treibhausgasen zu erheblichen Schäden führen würde. Das Gericht hat ein für alle Mal klargemacht, dass Unternehmen für Klimaschäden verantwortlich sind, die sie in der Vergangenheit verursacht haben.

    Der Konzern interpretiert das anders. In einer Pressemitteilung nach dem Urteil hieß es, es sei kein Präzedenzfall geschaffen worden.
    Verheyen: Das ist aus meiner Sicht unverständlich. Im Urteil steht etwas ganz anderes.

    Roda Verheyen, Jahrgang 1972, ist Rechtsanwältin und ehrenamtliche Richterin am Hamburgischen Verfassungsgericht. Sie hat in Hamburg, Oslo und London Rechts­wissenschaften studiert und wurde mit einer Doktorarbeit an der Forschungs­stelle Umwelt­recht an der Uni Hamburg promoviert. Verheyen berät und vertritt Einzelpersonen, Verbände und Gemeinden in Klimaklagen. Ihr bisher größter Erfolg war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021, das Deutschland zu einem besseren Schutz des Klimas verpflichtete. Derzeit führt sie unter anderem für Greenpeace ein Verfahren gegen Volkswagen.         Foto: Hi-Khan Truong Angkor-Design

    Wenn es so ist, wie Sie sagen, müsste dann nicht jeder, der CO2 ausstößt und damit zum Klimawandel beiträgt, damit rechnen, dass ihm eine Klage von Ihnen ins Haus flattert?
    Verheyen: Nein. Das hat zwar auch RWE behauptet, aber es stimmt nicht, wie das Gericht festgestellt hat. Unsere Klage begründet keinesfalls, dass künftig „jeder Autofahrer haftbar gemacht werden könnte“, weil er CO2 ausstößt. Es muss vielmehr das gegeben sein, was juristisch „Adäquanz“ genannt wird: Es muss um große Emissionsanteile gehen, nur dann kann eine Haftbarkeit vorliegen. Beim Anteil von RWE ist das der Fall, der Konzern emittiert so viel wie ganze Staaten, etwa die Niederlande. Sein Anteil am Klimawandel liegt, Stand heute, bei 0,38 Prozent. Der Anteil eines einzelnen Menschen ist dagegen verschwindend klein.

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    Es gab immer wieder Rückschläge im Detail, aber im Grundsatz haben Klimakläger weltweit alles gewonnen

    Roda Verheyen

    Das Verfahren war nicht Ihre erste Klimaklage. 2021 haben Sie bereits das berühmte Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts erstritten. Gegenüber EnergieWinde sprachen Sie damals von einem „Urteil für die Ewigkeit“. Wo stehen wir heute in der globalen Klimajustiz?
    Verheyen: Weltweit laufen ungefähr 2500 Klimaklagen gegen Staaten und Unternehmen. Es gab immer wieder Rückschläge im Detail, aber im Grundsatz haben Klimakläger weltweit alles gewonnen. Wir hatten die Shell-Klagen, das Urteil gegen die Niederlande, den Fall der Schweizer „Klimaseniorinnen“ vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und viele mehr rund um den Globus. Selbst in Ungarn gab es jüngst ein erfolgreiches Verfahren, auch wenn das in den Medien hier praktisch untergegangen war. Und aus den USA erwarte ich im Herbst ebenfalls wegweisende Entscheidungen.

    Was sind die großen Linien, die sich aus diesen Urteilen ergeben?
    Verheyen: Es sind vor allem zwei Dinge: Erstens: Alle Länder dieser Welt und auch große Unternehmen haben den Auftrag, innerhalb eines bestimmten CO2-Budgets zur Klimaneutralität zu kommen. Das ist auf der Ebene völkerrechtlich verbindlicher Abkommen und nationalstaatlicher Regelungen ganz klar. Und zweitens: Staaten und Unternehmen, die dem nicht nachkommen, können zur Verantwortung gezogen werden. Gerade Unternehmen mit einem hohen Treibhausgasausstoß wären aus meiner Sicht gut beraten, sich darauf vorzubereiten. Sie sollten ihre Emissionen schnell und effektiv senken. Denkbar wäre auch ein Fonds für die Beseitigung von Klimaschäden und notwendige Anpassungsmaßnahmen, in den solche Emittenten einzahlen.

    Die aktuelle Debatte in Deutschland und anderen Ländern klingt allerdings ganz anders. Da geht es darum, Unternehmen vor „übermäßigen“ Klimaanstrengungen zu schützen oder Klimaziele zu verschieben.
    Verheyen: In der Tat, und das beobachte ich mit Sorge. Die Diskussion in Teilen von Politik und Öffentlichkeit fällt hinter längst erreichte Standards zurück. Klimaziele werden zur Disposition gestellt und klimaschädliche Geschäftsmodelle weiterverfolgt, die Verantwortung für verursachte Klimaschäden wird bestritten oder ignoriert. Dabei wäre es verfassungswidrig, den angestrebten Zeitpunkt der Klimaneutralität immer weiter in die Zukunft zu verschieben. Und Unternehmen sollten sich bewusst sein, dass sie verantwortlich für ihr Tun sind. Trotzdem wird beispielsweise über das Datum für das Verbrenner-Aus debattiert. Dabei ist sonnenklar, dass nach 2030 keine neuen Verbrenner mehr in Umlauf gebracht werden dürfen, wenn wir 2045 klimaneutral sein wollen.

    Protestaktion der „Klimaseniorinnen“: Die Frauen aus der Schweiz haben 2024 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durchgesetzt, dass ihr Land mehr für den Klimaschutz tun muss.

    Protestaktion der „Klimaseniorinnen“: Die Frauen aus der Schweiz haben 2024 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durchgesetzt, dass ihr Land mehr für den Klimaschutz tun muss.

    Das heißt im Umkehrschluss, dass sich Unternehmen und Staaten auf weitere Klagen einstellen müssen?
    Verheyen: Die wird es mit Sicherheit geben. Allerdings muss man auch erkennen, dass die Zeiten spektakulärer Erfolge vor Gericht künftig seltener werden könnten. Denn es geht nicht mehr um die großen Linien, sondern um die Umsetzung. Es geht weniger um die Frage, ob Staaten und Unternehmen verantwortungsvoll mit dem Klima umgehen müssen, sondern darum, wie sie es tun. Dabei gibt es naturgemäß Spielräume. Ob ein Land auf Klimakurs ist, lässt sich leichter überprüfen als die Frage, inwiefern einzelne Maßnahmen auf das Klimaziel einzahlen.

    Sind Klimaklagen dann womöglich künftig nicht mehr das richtige Instrument? Kritiker sagen, dass es wichtiger wäre, die Bevölkerung im Klimaschutz mitzunehmen, als wenn einzelne Umweltschutzverbände Klagen anstrengen.
    Verheyen: Das Argument kann ich nicht nachvollziehen. Natürlich muss die Politik für Klimaschutz werben. Aber deswegen sind Klagen gegen Verstöße ja nicht falsch. Legislative, Exekutive und Judikative haben jeweils ihre eigene Rolle und Funktion, die sie erfüllen müssen.

    Und wenn sich die Exekutive nicht mehr an das hält, was Gerichte entscheiden?
    Verheyen: Dann steuern wir auf einen ganz bitteren Punkt zu. Ich hoffe nicht, dass es hier so weit kommt wie in den USA. Unser Innenminister hat kürzlich ja bereits gesagt, sich nicht an das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin in einer Asylfrage halten zu wollen. In den sozialen Medien hat er dafür auch noch viel Applaus bekommen. Aber zum Glück war der Aufschrei in den etablierten Medien groß. Auch an solchen Beispielen sieht man, dass wir für unsere Demokratie und den Rechtsstaat kämpfen müssen.

    Die Fragen stellte Volker Kühn

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