Barbara Praetorius ist seit 2017 Professorin für Umweltökonomie und -politik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Zuvor hat sie sich als Vizeleiterin der Denkfabrik Agora Energiewende für einen schnellen Kohleausstieg stark gemacht.
Kohlekommissionsvorsitzende
- 01.02.2019
„Ein Fortschritt für den Klimaschutz“
Barbara Praetorius hat in der Kohlekommission den Kompromiss zum Kohleausstieg an entscheidender Stelle mitverhandelt: Die 54-jährige Wissenschaftlerin war eine von vier Vorsitzenden des Gremiums – und galt dort als einzige überzeugte Klimaschützerin. Während die Politik den Kohlekompromiss überwiegend begrüßt, kommt Kritik sowohl von Umweltvertretern, die sich mehr Ehrgeiz gewünscht hätten, als auch aus der Wirtschaft, die vor höheren Strompreisen warnt. Im Interview mit EnergieWinde verteidigt Praetorius das Ergebnis – und verrät, was die dickste Kröte war, die sie bei den Verhandlungen schlucken musste.
Frau Praetorius, bis der letzte Kohlemeiler sillgelegt wird, vergehen fast 20 Jahre. Haben sich in der Kohlekommission damit die „Bremser und Blockierer“ durchgesetzt, wie der Grünen-Politiker Hans-Josef Fell im Interview mit EnergieWinde gesagt hat?
Barbara Praetorius: Nein. Zum einen ist das Enddatum 2038 nur die maximale Deadline. Die Kommission empfiehlt ja, im Jahr 2032 noch mal zu prüfen, ob man nicht doch schon im Jahr 2035 aussteigen kann. Zum anderen laufen die Kohlekraftwerke bis dahin ja nicht weiter wie bisher. Wir beginnen schon bis 2022 in nennenswertem Umfang, Kraftwerke abzuschalten, und das Sektorziel 2030 heißt: Bis dahin sind von heute 43 nur noch maximal 17 Gigawatt Kohlekraftwerke am Netz. Nach Jahren des klimapolitischen Nichtstuns in Deutschland kommt damit endlich Bewegung in den Prozess.
Wie sah Ihre Rolle der Kohlekommission aus? Ihre drei Kollegen im Vorsitz galten im Gegensatz zu Ihnen als Befürworter eines späten Ausstiegs.
Praetorius: Es war ein intensiver Prozess, in dem wir viel miteinander gerungen haben, aber es war immer fair. Ich halte es für eine enorme gesellschaftspolitische Leistung, dass es uns gelungen ist, so gegensätzliche Positionen zu einem Kompromiss zu führen.
Was war die dickste Kröte, die Sie schlucken mussten?
Praetorius: Ich hätte mir einen ambitionierteren Einstieg in den Ausstieg gewünscht. Eine bezahlbare und sichere Versorgung wäre auch dann noch gewährleistet, wenn wir am Anfang mehr klimaschädigende Kraftwerke vom Netz nehmen würden als jetzt vorgeschlagen. An der Stelle konnten wir uns nicht durchsetzen. Aber auch wenn ich nicht komplett zufrieden bin, ist das Ergebnis aus meiner Sicht ein enormer Fortschritt für den Klimaschutz in Deutschland.
Wir haben jetzt ein einmalig breites gesellschaftliches Bündnis, das hinter dem Kohleausstieg steht
Barbara Praetorius
Fürchten Sie, dass der Beschluss im Gesetzgebungsprozess noch verwässert werden könnte?
Praetorius: Davon möchte ich der Bundesregierung dringend abraten. Dann hätten wir mit Zitronen gehandelt. Man muss sich einmal die Voraussetzungen anschauen, unter denen die Kommission die Arbeit aufgenommen hat: Da waren auf der einen Seite die Wirtschaft, die Gewerkschaften und die Stromwirtschaft, die gesagt haben, dass ein Ausstieg im Prinzip überhaupt nicht machbar sei. Und auf der anderen Seite standen die Umweltschützer, die befürchteten, das Ganze werde ohnehin zu nichts führen. Trotzdem haben wir jetzt ein austariertes Ergebnis, das beide Seiten unterstützen und für das beide Seiten Kröten geschluckt haben, wie Sie es nennen.
Wäre es nicht eigentlich Aufgabe der Politik gewesen, die Modalitäten des Kohlausstiegs zu verhandeln? Stattdessen hat sie den Job auf die Kommission abgewälzt.
Praetorius: Grundsätzlich wären natürlich auch andere Formate als dieses Gremium denkbar gewesen. Es hatte aber auf alle Fälle den Vorteil, dass es sehr gegensätzliche Gruppierungen miteinander ins Gespräch gebracht hat, von den Arbeitgebern und Gewerkschaften bis hin zu NGOs und Klimaschützern. Wir haben mehr als 85 Experten gehört und Gutachten studiert. Auch abseits der Sitzungen sind unzählige Kontakte entstanden. Alle haben sich bemüht, Verständnis für die Lage und Position der anderen zu gewinnen. Im Ergebnis haben wir jetzt ein einmalig breites gesellschaftliches Bündnis, das hinter dem Kohleausstieg steht.
Barbara Pratorius bei einer Sitzung der Kohlekommission mit ihren Co-Vorsitzenden (von links) Matthias Platzeck, Stanislaw Tillich und Ronald Pofalla.
Kritik am Kohlekompromiss kommt unter anderem von einer weiteren Kommission der Bundesregierung: dem unabhängigen Expertengremium zum Monitoring der Energiewende. Deren Vorsitzender Andreas Löschel sagt, der Ausstieg hätte günstiger über eine Bepreisung des CO2-Ausstoßes geregelt werden können. Hat er recht?
Praetorius: Die Idee eines CO2-Preises halte ich grundsätzlich für richtig. Ich habe mich in einem Minderheitenvotum im Anhang des Kommissionsberichts auch dafür ausgesprochen, das noch mal zu prüfen. Aber selbst wenn ein solcher Preis dazu führen würde, dass die Betreiber ihre Kraftwerke einfach schon aus wirtschaftlichen Gründen früher abschalten, bliebe ja ein wesentliches Problem des Kohleausstiegs ungelöst.
Nämlich?
Praetorius: Die Frage, wie der Strukturwandel vor allem in den ostdeutschen Braunkohlerevieren unterstützt werden kann. Ein großer Teil der Ausgaben für den Kohleausstieg fließt ja in die Regionen, das ist echte Hilfe für den Strukturwandel und ein wichtiges Signal für den gesellschaftlichen Frieden. Der Ausstiegsplan gibt den Menschen, die in der Kohleindustrie arbeiten, endlich Gewissheit darüber, wie es in Zukunft weitergeht.
Der Ausstiegsplan gibt den Menschen, die in der Kohleindustrie arbeiten, endlich Gewissheit darüber, wie es in Zukunft weitergeht
Barbara Praetorius
Was bedeutet der Kompromiss für die Erneuerbaren in Deutschland? Wird der Deckel über dem Ausbau jetzt gelüftet?
Praetorius: Der Ausbau muss definitiv mit Nachdruck vorangetrieben werden. Immerhin beginnen wir ja schon sehr bald damit, in deutlichem Umfang Kohlekraftwerke abzuschalten. Als Ersatz brauchen wir dringend mehr regenerative Energiequellen. Die Bundesregierung hat ja das erklärte Ziel, dass der Strom bis 2030 zu zwei Dritteln aus Erneuerbaren stammt. Das muss jetzt konsequent umgesetzt werden.
Die Fragen stellte Volker Kühn.