Deutschland strebt für 2030 einen Ökostromanteil von 65 Prozent an. Die gegenwärtige Geschwindigkeit beim Ausbau von Windrädern und Solaranlagen reicht nach Berechnungen des DIW nur für 55 Prozent.
Gastkommentar von Claudia Kemfert und Pao-Yu Oei
- 08.03.2019
„100 Prozent Erneuerbare sind möglich“
Ein Gastbeitrag von Claudia Kemfert und Pao-Yu Oei
Der Ausbau erneuerbarer Energien ist ein entscheidender Bestandteil bei der Erzielung nationaler, europäischer und internationaler Klimaschutzziele; dies gilt insbesondere für den Stromsektor, in dem eine bis zu hundertprozentige Versorgung mit Erneuerbaren sicher und kostengünstig erreicht werden kann. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 den Ausstoß von Treibhausgasen gegenüber 1990 um 40 Prozent zu reduzieren; bis 2050 sollen die Emissionen sowohl in Deutschland als auch in der gesamten Europäischen Union sogar um mindestens 80 bis 95 Prozent sinken.
Die gegenwärtig geplanten und die von der Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung verabschiedeten politischen Instrumente sind allerdings nicht ausreichend, um die deutschen Klimaschutzziele für 2020 als auch für 2030 einzuhalten. In einer Studie hat das DIW daher die Auswirkungen eines verstärkten Ausbaus erneuerbarer Energien im Stromsektor in Verbindung mit einem Kohleausstieg bis 2030 untersucht; durch diese Maßnahmen soll unter anderem die dauerhafte Verfehlung der Klimaschutzziele verhindert werden.
Mehr Windräder, mehr Solarparks: Der Ausbau muss schneller werden
Mit den aktuell im EEG festgelegten Ausbaukorridoren wird im Jahr 2030 ein Anteil von circa 55 Prozent in der Stromerzeugung erreicht. Der gegenwärtige Koalitionsvertrag sieht eine Anhebung des Erneuerbarenziels für 2030 auf 65 Prozent vor. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es einer Anpassung des jährlichen Bruttozubaus auf 4,4 Gigawatt für Fotovoltaik und auf 4,3 Gigawatt für Wind onshore. Bei einer weiteren Steigerung der Ausbauraten sowie einem Anstieg von Offshore-Wind von geplanten 15 Gigawatt auf 20 bis 35 Gigawatt kann der Anteil der Erneuerbaren bis 2030 auch auf 85 bis 100 Prozent gesteigert werden.
Dadurch würde ein wichtiger Beitrag zur Einhaltung der deutschen und europäischen Klimaschutzziele erreicht und international ein Zeichen für eine Energiewende mit Erneuerbaren gesetzt. Des Weiteren ist der Stromsektor in der Lage, die abzusehende Zielverfehlung anderer Sektoren zu kompensieren, was ökonomisch und umweltpolitisch effizient ist.
Unsere Studie zeigt, dass der Ausbau erneuerbarer Energien eine effiziente Ergänzung zu einem beschleunigten Kohleausstieg darstellt und auch eine Vollversorgung mit Erneuerbaren im Stromsektor möglich ist
Unsere aktuelle Studie zeigt, dass der Ausbau erneuerbarer Energien eine effiziente Ergänzung zu einem beschleunigten Kohleausstieg darstellt und auch eine Vollversorgung mit Erneuerbaren (100 Prozent) im Stromsektor möglich ist. Bei einer Abschaltung der Kohlekraftwerke bis 2030 wird deren Kapazität in den 85- beziehungsweise 100-Prozent-Erneuerbaren-Szenarien überwiegend durch Gaskraftwerke mit synthetischem Gas (Power-to-Gas-Anlagen) ersetzt, zu einem geringen Teil auch durch Erdgaskraftwerke beziehungsweise Geothermie. Im Szenario Kohle- und Erdgasausstieg kann eine sichere Stromversorgung durch die vertiefte Integration in das europäische Stromnetz sowie die verstärkte Nutzung von Speichern gewährleistet werden.
Der Preisanstieg fällt umso geringer aus, je höher der Anteil Erneuerbarer ist
Der Zubau von Erneuerbaren wirkt sich dämpfend auf die Börsenstrompreise aus, dagegen führt die Verwendung von Erdgas aufgrund relativ hoher Rohstoffpreise (18 bis 30 Euro je Megawattstunde) zu steigenden Strompreisen. Auch die CO2-Zertifikate werden im Lauf der Klimaschutzmaßnahmen teurer (40 bis 60 Euro je Tonne CO2) und schlagen auf den Strompreis durch. Insgesamt ist für 2030 mit leicht steigenden Börsenstrompreisen zu rechnen; diese sind umso geringer, je höher der Anteil der Erneuerbaren ist. Da der resultierende Börsenstrompreis im „85 Prozent ohne Kohle“-Szenario in der gleichen Größenordnung wie im letzten Jahrzehnt liegt, sind nur sehr begrenzte Auswirkungen für die energieintensive Industrie zu erwarten.
Die Modellergebnisse zeigen, dass durch einen verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien sowie einen Kohleausstieg bis 2030, dringend benötigte Klimaschutzmaßnahmen getroffen werden können. Eine Kombination aus der Investition in erneuerbare Energien sowie Nachfragereduktion (Effizienzverbesserung und Verhaltensanpassungen) und -management (Stromspeicher, Demand-Side-Management) können darüber hinaus zur Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit der Stromversorgung beitragen.
Um neben der deutschen Energiewende auch die internationale Ebene einzubeziehen, sollte sich Deutschland zudem auch wieder stärker für die Umsetzung der Dekarbonisierung Europas und die Einhaltung der globalen Pariser Klimaschutzziele einsetzen.
Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin.
Pao-Yu Oei ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an Kemferts DIW-Institut.