Artenschutz in der Landwirtschaft

  • Search29.11.2023

Das Apfelwunder von Rogätz

Apfelanbau ohne Pestizide? Funktioniert nicht, sagten ihm die Experten. Werner Gebauer versuchte es auf seiner Plantage trotzdem. Die Experten sollten recht behalten. Doch nur im ersten Jahr.

InhaltsverzeichnisToggle-Icons

    Werner Gebauer spritzt keine Pestizide in seiner Apfelplantage. Und trotzdem fährt er Ernten ein, deren Umfang Experten in Erstaunen versetzt.

     

    Werner Gebauer wurde 1955 in Salzgitter als Flüchtlingskind geboren. Der Vater starb früh, die Mutter ernährte die Familie mit Putzjobs und baute Obst und Gemüse im Schrebergarten an. Später machte Gebauer Karriere in der IT-Branche. Heute lebt der Rentner mit seiner Lebensgefährtin bei Magdeburg. Vor drei Jahren kaufte er eine Apfelplantage in Rogätz an der Elbe. Gegen den Rat aller Experten probierte er es dort mit Nichtstun: kein Baumschnitt, kein Wasser, kein Dünger, keine Spritzmittel. Als die Bäume im Jahr darauf fast keine Früchte trugen, sagten alle: War ja klar. Doch dann geschah etwas, das selbst Gebauer kaum glauben konnte.

    Herr Gebauer, was ist denn 2022 mit Ihren 3000 Apfelbäumen passiert? Ein Wunder?
    Werner Gebauer: Die Bäume haben gemerkt, dass sie keiner mehr schneidet. Und ratzfatz sahen die alle aus wie Igel. Und dann waren auf einmal eine Million Blüten da. Ich dachte: Wenn die kein Wasser kriegen, werden die runterfallen. Sind sie aber nicht. Auf einmal waren eine Million Wildbienen da, weil wir ja keine Pestizide mehr ausgebracht haben. Und dann wurde gefühlt aus jeder Blüte ein Apfel. Und ich dachte wieder: Wenn die in diesem super trockenen Sommer kein Wasser kriegen, fallen die alle runter. Aber so war es auch nicht. Die bogen sich vor lauter Äpfeln Richtung Boden wie Hängetannen.

    Also waren die Äpfel auch noch leicht zu ernten?
    Gebauer: Richtig, da hing ja alles runter.

    Dabei hatten Ihnen Obstexperten prophezeit, dass man die Natur nicht einfach so machen lassen kann. Apfelbäume sind vom Menschen abhängig, wollen gehegt und gepflegt werden, heißt es.
    Gebauer: Selbst die Nabu-Fachleute haben gesagt, dass die Bäume ohne Bewässerung und Schnitt alle sterben. Als die Ernte 2022 mit 80 Tonnen trotzdem genau so groß war wie bei meinem Vorgänger, haben sie gesagt: Wir wissen auch nicht, wie das passieren konnte.

    Vielleicht war es einfach Glück?
    Gebauer: Dieses Jahr habe ich 30 Tonnen geerntet. Dabei hatten wir erst Mäuse ohne Ende, dann jede Menge Läuse. Und auf einmal waren Marienkäfer und Florfliegen da. Und dann eine Million Wildbienen und Vögel. Wir haben nur ein paar Nistkästen und Sitzstangen angebracht, und zack, waren Meisen, Stare und Greifvögel da. Die Natur hat bislang auf alles eine Antwort gehabt.

    Warum wird dann überhaupt so viel gespritzt?
    Gebauer: Der Mensch hat mit den Monokulturen, die er eingerichtet hat, eine Situation geschaffen, die danach schreit, von irgendwelchen Insekten oder anderen Tieren ausgenutzt zu werden, so wie eben die Fichten vom Borkenkäfer. Das ist menschengemachtes Leid.

    Anführungszeichen

    Leute, die gepflegte Gärten mögen, möchten beim Anblick meiner Bäume am liebsten erbrechen

    Werner Gebauer

    Hat Ihre Methode Nachahmer gefunden?
    Gebauer: Leute, die gepflegte Gärten mögen, möchten beim Anblick meiner Bäume am liebsten erbrechen. Was meinen Sie, wie oft ich gehört habe: Sind Sie zu faul zum Schneiden?

    Und gespritzt wird in der Nachbarschaft auch weiter?
    Gebauer: Irgendwann mal stand ich oben auf der Leiter im Baum und brachte einen Nistkasten an. Da ist einer vorbeigefahren und hat irgendein Pestizid ausgebracht und ich kriegte einen Schub ab. Ich wäre beinahe von der Leiter runtergefallen! Ich hatte Würgeanfälle, so giftig war das.

    Haben Sie ihn gefragt, was das war?
    Gebauer: Nee, wir sprechen nicht miteinander. Dafür tauen die Einwohner so langsam auf. Von denen sagt keiner, dass hier mal wieder gespritzt werden müsste. Die meinen zwar, ich sei verrückt – aber wohltuend verrückt.

    Pestizid-Altas: 28 Mal werden Äpfel in Deutschland vor der Ernte mit Pestiziden behandelt. Bei Wein sind es 17 Mal, bei Hopfen 14 Mal. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Wie sind Sie eigentlich zu diesen vier Hektar Obstgarten gekommen?
    Gebauer: Überall, wo ich gelebt habe, habe ich immer geguckt, dass ich Äpfel bekomme, alte Sorten und möglichst auch bio. Auf dem Wochenmarkt in Magdeburg habe ich den Stand meines Vorbesitzers gefunden, das waren zwar keine Bio-Äpfel, aber zumindest alte Sorten. Irgendwann sagte sein Angestellter: Uns wird es bald nicht mehr geben, der Alte will nicht mehr. Und ich fragte mich: Ups, wo kriege ich denn dann meine Äppel her?

    Und dann?
    Gebauer: Habe ich mir die Adresse besorgt, habe dem Landwirt nachgestellt und angedeutet, dass ich Interesse an seinem Land hätte. Aber als er mitgekriegt hat, dass ich vom Nabu komme, hat er sofort dicht gemacht.

    Am Ende haben Sie schlichtweg den besseren Preis geboten. Und haben das Land dann der Nabu-Stiftung Nationales Naturerbe geschenkt. Warum?
    Gebauer: Ich sehe es als Naturschutzprojekt. Ich freue mich über jeden Apfel, aber es ist nicht mein Hauptaugenmerk. Und wenn von den Apfelbäumen irgendwann nur noch Gerippe dastehen, dann ist es eben so.

    Anführungszeichen

    Wir wollen hier beweisen, dass man die Natur nicht zerstören muss, um wirtschaften zu können

    Werner Gebauer

    Aber wollen Sie nicht auch etwas demonstrieren?
    Gebauer: Natürlich will ich einen größeren Wandel anstoßen. Wir wollen hier beweisen, dass man die Natur nicht zerstören muss, um wirtschaften zu können. Die Natur sollte an erster Stelle stehen. Und an zweiter Stelle kommt die Frage: Wie kann ich möglichst viel Umsatz und Rendite machen, ohne Gift? In Deutschland geben die Obst- und Weinbauern von allen Landwirten am meisten Geld für Pestizide aus. Das müssen wir einfach ändern. Erstens ist das nicht gesund – und zweitens kostet es Geld. Also warum?

    Vielleicht, weil verwöhnte Verbraucher makellose Äpfel wollen, ohne braune Stellen und kleine Löcher? Mal ehrlich: Ihre Äpfel sehen anders aus als die in den Sechserpacks im Supermarkt.
    Gebauer: Die Vorstellung vom normierten Apfel muss aufgebrochen werden. Wir sollten skeptisch sein, wenn alle Äpfel gleich groß sind. Wenn ich Schulklassen hier habe, kommen die Kinder zu mir und sagen: Kannst du mir die braune Stelle wegschneiden? Und ich zeige denen, dass sie dort überhaupt nichts Ekelhaftes finden. Und die probieren und sagen: Lecker!

    Äpfel in der Plantage von Werner Gebauer: Der Naturliebhaber verzichtet konsequent auf Pestizide.

    Auf Gebauers Plantage in Sachsen-Anhalt wachsen bekannte Sorten wie Elstar, Gala oder Boskoop aber auch Äpfel wie der aromatische James Grieve oder der Sommerapfel Delbarestivale, die im Supermarkt kaum zu finden sind.

    Und wie soll die Umerziehung im Großen funktionieren?
    Gebauer: Wir brauchen andere Qualitätsmaßstäbe. Wenn wir den Handel dazu kriegen, dass er vielleicht ein Schild neben die Äpfel stellt, auf dem steht: Das ist ein Elstar, wenn sie ihn durchschneiden, wird er braun. Das heißt, er hat Polyphenole und ist auch für Allergiker geeignet. Wenn er nicht braun wird, sind die Polyphenole weggezüchtet, dann sollten wir ihn nicht kaufen! So können wir die Benefits für die Menschen zeigen!

    Lassen sich die Benefits für die Natur auch zeigen?
    Gebauer: Wir haben hier einen 80-jährigen Experten, der turnusmäßig ein Vogelmonitoring macht, handschriftlich, alte Schule. Der dokumentiert ganz genau, dass auf einmal der Bluthänfling da war, oder der Neuntöter. Dieses Jahr haben auf unserem Gebiet neun Feldlerchen gebrütet. Das ist ein Wahnsinn! Zusätzlich möchte ich gerne noch ein Insektenmonitoring aufsetzen. Ich will wissen, wie mein Grund lebt und wie er sich entwickelt.

    Im Gegensatz zu Ihnen müssen andere Landwirte von den Erträgen ihre Familie ernähren. Einige haben jetzt wegen der hohen Kosten für Treibstoff und Mindestlohn ihr Obst auf dem Feld vergammeln lassen. Die Ernte lohne sich nicht, sagen sie.
    Gebauer: Also ethisch-moralisch geht das gar nicht! Lieber versuche ich doch, weniger auszugeben – für Dünger, Pestizide, Baumschnitt und so weiter. Ich zum Beispiel habe gar keine Kosten. Egal also, ob ich fünf Tonnen verkaufe, oder zehn oder zwanzig Tonnen, ich mache Gewinn.

    Eigentlich beginnt jetzt die Zeit, in der Apfelbäume zurückgeschnitten werden. Was passiert denn gerade auf Ihrem Grund?
    Gebauer: Gar nichts. Die Ernte ist vorbei. Aber ich bin auch gerne im Winter da und mache mich klein, sodass mich keiner bemerkt. Und dann schaue ich einfach, was hier passiert – und da geht mir mein Herz auf. Ich bin ja seit frühester Kindheit ein Vogelfan. Und hier sind jetzt so viele Greifvögel unterwegs: Schwarzmilan, Rotmilan, Mäusebussard, ein Turmfalke. Letztens habe ich sogar einen Adler gesehen.

    Die Fragen stellte Julia Graven.

    Go Top