Windräder im Wald

  • Search16.07.2019

Wipfelstürmer

Jedes fünfte Windrad in Deutschland wird in Wäldern gebaut, Tendenz steigend. Während Teile der Politik dagegen Sturm laufen, zeichnen Naturschützer ein differenziertes Bild. Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Wald als Ganzes sogar davon profitieren.

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    Windpark im Westerwald: Mehr als 40 Prozent der Fläche von Rheinland-Pfalz ist von Bäumen bedeckt.

    Von Steven Hanke

    Der Thüringer Wald mit seinen unzähligen Naturschätzen war lange Zeit Sperrgebiet für Windmüller. Erst 2017, viel später als in anderen Regionen Deutschlands, gingen dort die ersten beiden Wald-Windräder des Landes in Betrieb – in der Gemeinde Gebersreuth im ostthüringischen Saale-Orla-Kreis. Landespolitik und Behörden gaben den Wald allerdings nicht ganz freiwillig und nur unter Auflagen frei: Um das ökologische Gleichgewicht zu erhalten, mussten die Betreiber unter anderem eine Wiese für Schwarzstörche und Wasserbüffel anlegen. Außerdem mussten sie eine Umgehungsstraße um die Ortschaft bauen.

    Der Baugenehmigung vorausgegangen war ein politischer Stimmungsumschwung. Unter den CDU-geführten Regierungen bis 2014 wären Windräder im Wald undenkbar gewesen. Doch dann beschloss die Koalition aus Linken, SPD und Grünen, das Verbot zu lockern – nicht nur aus politischer Überzeugung, sondern auch auf Druck der obersten Verwaltungsgerichte in Bund und Land. Die hatten nämlich entschieden, dass bei der Suche nach geeigneten Flächen für die Windenergie die Wälder nicht außen vor bleiben können. Schließlich sind alle Länder und Gemeinden gesetzlich verpflichtet, der Nutzung der Windenergie genügend Raum zu verschaffen.

    Deutschland hat ein akutes Problem, genügend Flächen für die Windkraft zu finden. In der Regel scheitern die Baupläne am Widerstand von Anwohnern und Naturschützern. Im ersten Quartal dieses Jahres gingen gerade einmal 41 Anlagen mit 134 Megawatt Gesamtleistung ans Netz, das sind knapp 90 Prozent weniger als in den Vorjahreszeiträumen und so wenige wie seit den Anfängen der Energiewende zur Jahrtausendwende nicht mehr. Notgedrungen rückt der Wald in den Fokus der Politik.

    Der Anteil der Standorte im Wald hat sich seit 2010 mehr als vervierfacht

    Ende 2018 standen bundesweit immerhin 1977 Windräder mit einer Gesamtleistung von 5291 Megawatt im Wald, das entspricht etwa zehn Prozent aller Anlagen hierzulande. Deren Bedeutung steigt seit Jahren. Betrug der Anteil der Wald-Windräder am gesamten Anlagenzubau 2010 noch fünf Prozent, waren es 2018 bereits 22 Prozent. Diese Zahlen hat die Fachagentur Wind an Land aktuell ermittelt und EnergieWinde vorab zur Verfügung gestellt.

    Die Daten zeigen deutlich, dass sich die Windkraft im Wald bislang auf einige Bundesländer konzentriert, vor allem Hessen (421 Anlagen mit zusammen 1194 Megawatt), Rheinland-Pfalz (354 Anlagen, 967 Megawatt) und Baden-Württemberg (272 Anlagen, 808 Megawatt). Das liegt schlicht daran, dass diese Länder über relativ viel Waldfläche verfügen.

    Windräder in Bayern: Die Flügel moderner Anlagen rotieren so hoch über der Baumkrone, dass niedrig fliegende Tiere wie Fledermäuse nicht davon gefährdet sind.

    Im Gegensatz dazu sind in den norddeutschen Ländern wie Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern mit genügend Freiflächen sämtliche Waldstandorte nach wie vor für die Windenergie tabu. Das gleiche gilt für Ostdeutschland, abgesehen von Brandenburg und in geringem Umfang Sachsen. In Niedersachsen wurden 2018 erstmals seit 2012 wieder zwei Wald-Windräder errichtet.

    Geeignet sind vor allem ökologisch weniger wertvolle Monokulturen

    Aus Sicht des Bundesverbands Windenergie (BWE) zeigen die Erfahrungen in den Bundesländern, dass Wald-Windräder mit dem Natur- und Artenschutz in Einklang gebracht werden können. Was umgangssprachlich als „Wind im Wald“ betitelt werde, sei zudem mit „Windenergie auf forstwirtschaftlichen Nutzflächen“ oder „Wirtschaftswäldern“ besser umschrieben. Die in Frage kommenden Waldflächen seien Kiefern- und Fichtenforste mit ausgeprägten Zügen von Monokulturen. Besonders wertvolle Laub- und Mischwälder seien stets ausgeschlossen und auch nicht erforderlich, um die Energiewendeziele zu erreichen.

    Waldidyll mit Windrad in Baden-Württemberg: Die Politik setzt verstärkt auf Aufforstungen, um den CO2-Ausstoß auf natürlichem Weg zu kompensieren.

    Die Forstwälder hingegen sollten laut Verband immer auch für die Windkraft genutzt werden. Die dafür notwendigen Rodungen würden durch Aufforstungen an anderer Stelle kompensiert. Solche Ausgleichsmaßnahmen würden sogar zum Waldumbau beitragen, somit die Artenvielfalt fördern und dem Klimaschutz dienen. Gesunde, klimawandelresistente Mischwälder sind die neue Geheimwaffe der Politik im Kampf gegen die Erderwärmung. Sie sollen die verbleibenden CO2-Emissionen aus der Luft filtern, die langfristig nicht vermieden werden können. Die Windenergie stellt auch eine neue, lukrative Einnahmequelle für die Waldbesitzer dar, die durch den Klimawandel und die damit verbundenen Schäden finanziell gebeutelt sind.

    Naturschützer sind nicht grundsätzlich gegen Wald-Windräder

    Möglich wird Windkraft im Wald durch den rasanten technischen Fortschritt. Moderne Anlagen mit drei Megawatt Leistung sind heute so hoch, dass sich ihre Flügelspitzen 50 Meter oberhalb der Baumkronen drehen. Damit bewegen sie sich in einem Bereich, in dem zum einen der Wind kräftig genug bläst und sie zum anderen keine Gefahr darstellen für tieffliegende Tiere wie insbesondere Fledermäuse. Selbst der kritische Naturschutzbund Nabu hat 2017 erklärt, in waldreichen Regionen und unter strengen Kriterien könnten einzelne Windenergieanlagen im Wald gebaut werden.

    Zum selben Ergebnis kam das Bundesamt für Naturschutz (BfN) im Februar bei der Vorstellung des „Erneuerbare Energien Reports 2019“, der sich mit der Frage beschäftigt, wie der Ökostromausbau naturverträglich erfolgen kann. „Gegen eine Errichtung von Windenergieanlagen in Wäldern spricht nicht per se etwas“, sagte BfN-Präsidentin Beate Jessel bei der Vorstellung. Es dürfe sich allerdings nicht um alte Wälder, Schutzgebiete oder für das Naturerleben besonders exponierten Hanglagen oder Bergkuppen handeln.

    NRW und die FDP erklären den Wald zur Tabuzone für Windräder

    Andere dagegen lehnen Wälder als Standort für Windräder grundsätzlich ab. Die FDP im Bundestag forderte Mitte 2018 in einem parlamentarischen Antrag, Waldflächen als Standort „dauerhaft und für künftige Vorhaben ausnahmslos auszuschließen“. Die Abholzung vieler Hektar Wald für wenige Anlagen zerstöre viel Natur, leiste für die Energieversorgung aber keinen Beitrag, so die Begründung. Die Partei verweist darauf, dass Bürger, Natur- und Tierschutzverbände massive Bedenken bei der Planung von Windparks im Wald anmelden würden.

    Triebkraft des FDP-Antrags ist der einflussreiche Landesverband Nordrhein-Westfalen um Parteichef Christian Lindner. Dazu passend hat die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf gerade, wie in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, eine Änderung des Landesentwicklungsplans beschlossen, mit dem unter anderem Windkraftanlagen in Waldgebieten weitgehend verboten werden sollen. Dagegen protestierte im Vorfeld ein Bündnis aus sechs Verbänden der Forst- und Energiewirtschaft. Die Einschränkungen seien kontraproduktiv und rechtlich nicht haltbar, argumentierten sie. Gebracht hat es nichts. Der Konflikt um den Wald entbrennt also erst so richtig.

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