Atlas der verschwindenden Orte

  • Search13.12.2021

„Es ist ein Privileg, gerade jetzt zu leben“

Der „Atlas der verschwindenden Orte“ zeigt in einzigartigen Karten, wie der Klimawandel die Küsten der Welt bedroht. Zugleich überbringt er eine Botschaft der Hoffnung. Wir können noch etwas tun, sagt Co-Autorin Marina Psaros im Interview mit EnergieWinde.

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    Ausschnitt aus „The Atlas of Dissapearing Places“ – „Atlas der verschwindenden Orte“ von Christina Conklin und Marina Psaros.

    Sinnbild der Vergänglichkeit: Die Karten im „Atlas of Disappearing Places“ sind auf Ulva gemalt, eine getrocknete Grünalge. Kommt sie mit Wasser in Kontakt, verschwinden die Bilder wieder – genauso wie viele der Küstenlinien, die in ihnen festgehalten sind.

     

    Wie plant Hamburg seinen Sturmflutschutz? Welche Folgen hat Plastik am hawaiianischen Kure-Atoll? Was bedeutet der Klimawandel für Korallenriffe vor Kenia? In ihrem „Atlas of Disappearing Places“ erzählen Marina Psaros und Christina Conklin, wie die Erderwärmung die Küsten der Welt verändert. Conklin setzt sich als Künstlerin und Autorin mit dem Klimawandel auseinander. Psaros arbeitete mit der US-Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA daran, Gemeinden in Kalifornien bei der Klimaanpassung zu helfen. Zuvor lebte Psaros einige Jahre in Hamburg. Als sie die Stadt verließ, begannen dort gerade die Arbeiten an der Hafencity. Die Fallstudie über Hamburgs jüngsten Stadtbezirk, der mit Blick auf kommende Sturmfluten geplant wurde, war das erste Kapitel des Atlas, das sie schrieb.

    Frau Psaros, wie sind Sie auf die Idee für den „Atlas der verschwindenden Orte“ gekommen?
    Marina Psaros: Ich bin mit Almanachen, Atlanten und Enzyklopädien aufgewachsen, die sehr nutzerfreundlich sind – auf eine Weise, wie es viele Bücher zum Klimawandel derzeit nicht sind. Viele Sachbücher lesen sich für mich so, als gehe es darum, den Lesern einen Doktortitel in Klimawissenschaft zu vermitteln. Sie sind von Experten für Experten geschrieben. Meine Co-Autorin Christina Conklin und ich haben unseren Atlas als sehr visuelles Buch angelegt. Die Idee war, etwas zu schaffen, in das man eintauchen und in dem man hin- und herspringen kann. Sie können den ganzen Atlas in einem Rutsch lesen oder einzelne Orte suchen, an denen Sie waren, und dann über den dortigen Klimawandel und die Zukunft dieses Orts nachdenken. Oder Sie lesen nur die Definitionen und steigen von dort aus tiefer ein.

    Cover von „The Atlas of Dissapearing Places“ – „Atlas der verschwindenden Orte“ von Christina Conklin und Marina Psaros.

    Der „Atlas of Disappearing Places“ ist im Juli bei The New Press in den USA erschienen. In 20 Fallstudien beschreiben die Autorinnen, welche ...

    Der „Atlas of Disappearing Places“ zeigt Orte, die vom Klimawandel bedroht sind – die Hafenstadt Hamburg zum Beispiel.

    ... Folgen der Klimawandel und der Anstieg des Meeresspiegels für verschiedene Regionen haben. Neben Hamburg in Deutschland zählt dazu etwa ...

    Karte aus dem „Atlas of Disappearing Places“:  Auch in New York muss man sich auf die Folgen der Klimakrise vorbereiten.

    ... die US-Ostküstenmetropole New York, die mit ihrer Lage am Atlantik Stürmen und steigenden Wasserpegeln ausgesetzt ist. Daneben beschäftigt sich ...

    Karte aus dem „Atlas of Disappearing Places“: Die Klimakrise gefährdet die Landwirtschaft und damit die Versorgungslage in vielen Regionen der Welt.

    ... der Atlas auch mit übergeordneten Fragen wie der nach der Lebensmittelsicherheit im Zuge des Klimawandels. Besonderes Augenmerk ...

    „Atlas of Disappearing Places“: Die Karte zeigt, wie die Klimakrise den Verlauf und die Intensität von Zyklonen beeinflusst.

    ... legen die Autorinnen aber auf die Auswirkungen auf den Ozeanen – hier etwa geht es um die Stärke von Zyklonen. Durch ihre ungewöhnliche ...

    Karte aus dem „Atlas of Disappearing Places“: Was bedeutet die Erwärmung der Ozeane und der Anstieg des Meeresspiegels für das Kure-Atoll auf Hawaii?

    ... Gestaltungsweise sind die Karten – hier das Kure-Atoll auf Hawaii – ästhetisch besonders reizvoll. Als Grundlage dafür hat die Künstlerin ...

    Die Künstlerin Christina Conklin hat die Karten im „Atlas of Disappearing Places“ gestaltet – auf getrockneten Grünalgen (Ulva).

    ... Christina Conklin getrocknete Grünalgen verwendet. „Sie hat Unmengen davon in ihr Studio geschleppt“, erzählt Conklins Co-Autorin ...

    Interview mit Marina Psaros, eine der Autorinnen von „Atlas of Disappearing Places“: „Es ist ein Privileg, gerade jetzt zu leben.“

    ... Marina Psaros, die sich einen „Ocean Nerd“ nennt. Es mache sie traurig, mit anzusehen, wie die Meere leiden. Doch noch gebe es Hoffnung.

    Cover von „The Atlas of Dissapearing Places“ – „Atlas der verschwindenden Orte“ von Christina Conklin und Marina Psaros.
    Der „Atlas of Disappearing Places“ zeigt Orte, die vom Klimawandel bedroht sind – die Hafenstadt Hamburg zum Beispiel.
    Karte aus dem „Atlas of Disappearing Places“:  Auch in New York muss man sich auf die Folgen der Klimakrise vorbereiten.
    Karte aus dem „Atlas of Disappearing Places“: Die Klimakrise gefährdet die Landwirtschaft und damit die Versorgungslage in vielen Regionen der Welt.
    „Atlas of Disappearing Places“: Die Karte zeigt, wie die Klimakrise den Verlauf und die Intensität von Zyklonen beeinflusst.
    Karte aus dem „Atlas of Disappearing Places“: Was bedeutet die Erwärmung der Ozeane und der Anstieg des Meeresspiegels für das Kure-Atoll auf Hawaii?
    Die Künstlerin Christina Conklin hat die Karten im „Atlas of Disappearing Places“ gestaltet – auf getrockneten Grünalgen (Ulva).
    Interview mit Marina Psaros, eine der Autorinnen von „Atlas of Disappearing Places“: „Es ist ein Privileg, gerade jetzt zu leben.“

    Warum haben Sie sich auf Küstenregionen konzentriert?
    Psaros: Ich bin in einer kalifornischen Küstenstadt aufgewachsen. Die Aufklärungsarbeit über Küsten und Ozeane war mir quasi vorherbestimmt. (lacht)

    Viele wissen um die Gefahr steigender Meeresspiegel und die Plastikverschmutzung. Welche Gefahren machen wir uns weniger bewusst?
    Psaros: Zum Beispiel die der chemischen Balance: Der PH-Wert der Ozeane verändert sich und das bringt eine Reihe von Problemen mit sich. Damit ist die Lebensmittelsicherheit ganzer Regionen gefährdet, die von Schalentieren abhängen. Denn die Versauerung der Meere macht es Muscheln schwer, ihre Schalen zu formen. Es gibt aber auch einen Funken Hoffnung: Auf dem lokalen Level kann die Versauerung bis zu einem gewissen Grad beeinflusst werden. Wer also eine Austernfarm betreibt, kann bestimmte Dinge unternehmen, um den PH-Wert zu kontrollieren. Ein anderes Beispiel sind Korallen. Ich tauche seit meinem 16. Lebensjahr und der Gedanke, dass wir viele Korallenspezies verlieren werden, ist absolut tragisch. Viele sind sehr temperatursensibel und werden die wärmeren Temperaturen der Ozeane in Zukunft nicht überstehen. Korallenriffe werden weniger biologisch divers und weniger schön sein. Aber wir müssen auch nicht davon ausgehen, dass wir nur noch Gewässer voller Korallenskelette haben. Einige Spezies tolerieren wärmeres Wasser. Und es gibt Versuche, solche Korallen zu züchten.

    Anführungszeichen

    Die Nachricht ist mehr oder minder: Wir werden alle sterben. Und jetzt viel Glück damit. Ich finde, da haben Wissenschaft und Bildung keinen besonders guten Job gemacht

    Marina Psaros

    Für wen haben Sie den Atlas geschrieben?
    Psaros: Für Menschen, die vom Klimawandel gehört haben, aber keine Experten sind. Viele wünschen sich ein Grundverständnis, weil das Thema uns alle betrifft. Gerade bei jungen Leuten fällt mir auf, dass sie in der Schule zwar mittlerweile mehr über den Klimawandel erfahren. Aber statt ihnen das Gefühl zu geben, dass sie etwas tun können, ist die Nachricht mehr oder minder: Wir werden alle sterben. Und jetzt viel Glück damit. Ich finde, da haben Wissenschaft und Bildung keinen besonders guten Job gemacht. Was tut man mit dieser Botschaft als junger Mensch, der in einer vom Klima veränderten Welt leben muss? Worauf kann man hoffen, wie kann man sich engagieren? Christina und ich haben beide ein Nachwort geschrieben und meines ist taktisch: Ich beschäftige mich mit der Frage, was Leserinnen und Leser nach der Lektüre tun können.

    Ein Atlas lebt von seinen Karten. Christina Conklin ist Künstlerin und hat für das Buch einen sehr besonderen Weg verfolgt.
    Psaros: Für die Karten haben wir Daten gesammelt, die Christina zusammengeführt und in eine Karte übersetzt hat. Sie hat dabei auf Ulva gemalt, das ist eine Grünalgensorte. Sie hat Unmengen davon in ihr Studio geschleppt und dort getrocknet.

    Die Sonne bleicht die Grünalgen dann und verwandelt sie in eine Art Pergament. Das aber auch sehr fragil ist.
    Psaros: Genau. Christina hat mit wasserlöslichen Farben darauf gemalt. Wenn die Ulva nass wird, verschwindet das Bild und die Ulva verwandelt sich vom Pergament zurück in ein rutschiges Algenblatt. Das ist also eine sehr künstlerische Herangehensweise an das Thema.

    In Ihrem Buch entwerfen Sie Szenarien für die Zukunft. Im Kapitel über Hamburg schreiben Sie über eine Springflut im Jahr 2049: Die Hafencity übersteht die Katastrophe, Teile der Altstadt hingegen werden überflutet und stürzen ein, weil die veralteten Fluttore den Wassermassen nicht standhalten. Warum wagen Sie solche Spekulationen?
    Psaros: Ich habe bei meiner Arbeit über die Anpassung an den Klimawandel gelernt, dass der Zeitrahmen für Investments in Städte und Infrastruktur oft 50 Jahre beträgt. Die Dämme oder Wohnsiedlungen, die wir jetzt planen, werden in 50 Jahren da sein. Viele Menschen sind nicht gut darin, sich das vorzustellen. Wer kann sich schon ausmalen, wie es sich anfühlen wird, in dieser Welt zu leben? In San Francisco, wo ich wohne, haben die Bürger vor Kurzem in einer Abstimmung entschieden, 425 Millionen Dollar für die Modernisierung der Embarcadero Seawall auszugeben, die die Stadt vor Überflutungen schützen soll. Da sieht man, wie viel Einfluss einzelne Wähler haben können. Wir haben das Buch auch deshalb geschrieben, damit die Menschen besser darüber nachdenken können: Wenn ich über Thema X in den Nachrichten höre, was bedeutet das für mich im Einzelnen?

    Anführungszeichen

    Was wir mit der Klimakrise erleben, ist der Verlust der Unschuld. Wir realisieren, dass wir nicht so weitermachen können. Aber dafür können wir bestimmen, was als nächstes passiert

    Marina Psaros

    Geht es in Ihrem Atlas nur um Verlust oder können die Leser auch Hoffnung schöpfen?
    Psaros: Ich hoffe, dass die Menschen sich nach dem Lesen befähigt fühlen, etwas zu verändern. Natürlich verlieren wir einige diese wundervollen Orte. Wir verlieren Menschen und Ökosysteme und Erfahrungen, die wir lieben. Das ist ein bisschen wie erwachsen werden. Wenn wir erwachsen werden, ist das auch ein Trauerprozess, weil wir einige Dinge nicht mehr tun können und lernen müssen, für uns selbst zu sorgen. Aber diese neue Phase bringt zugleich Macht und Verantwortung mit sich – und Möglichkeiten, die man als Kind nicht hat. Was wir mit der Klimakrise erleben, ist der Verlust der Unschuld. Wir realisieren, dass wir nicht so weitermachen können. Wir müssen unsere Kinderspielzeuge weglegen, aber dafür können wir bestimmen, was als nächstes passiert. Es ist auch ein Privileg, gerade jetzt zu leben.

    Die Fragen stellte Jasmin Lörchner.

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