Letzte Generation vs. Klimaunion

  • Search31.03.2023

Kleben oder reden – wie retten wir das Klima?

Der eine blockiert Straßen, der andere spricht im Bundestag: Theodor Schnarr von der Letzten Generation und Thomas Heilmann von der CDU-nahen Klimaunion diskutieren über den besten Weg zum 1,5-Grad-Ziel.

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    Sie kämpfen für dasselbe Ziel, aber ihre Methoden könnten kaum unterschiedlicher sein: Theodor Schnarr (links) und Thomas Heilmann.

    Sie kämpfen für dasselbe Ziel, aber ihre Methoden könnten kaum unterschiedlicher sein: Theodor Schnarr (links) und Thomas Heilmann.

     

    Thomas Heilmann: Sie sehen ja gar nicht wie ein Revoluzzer aus.

    Theodor Schnarr: Vielen Dank.

    EnergieWinde: Ist das ein Kompliment für Sie, Herr Schnarr?

    Schnarr: Gerade am Anfang der Proteste hat die Springer-Presse immer die Kamera auf Leute gehalten, die langhaarig waren. Lange Haare galten immer noch als Synonym für die „jungen Leute“, die da unterwegs sind. Dabei sind bei uns ganz viele Menschen über 50 dabei, die nicht mehr unbedingt studieren. Also nehme ich das einfach mal als Kompliment.

    EnergieWinde: Ein guter Anfang. Haben Sie nicht sogar gleiche klimapolitische Ziele?

    Heilmann: Ich glaube, wir sind beide der Meinung, dass wir das Thema nicht vertrödeln dürfen. Die Gefahr besteht, schließlich wollen wir eine 250 Jahre alte, fossile Infrastruktur komplett neu bauen. Aber wir setzen an ganz unterschiedlichen Hebeln an – und die Geschichte wird irgendwann zeigen, ob der Hebel der Klimaunion oder der Letzten Generation wirksamer war.

    Schnarr: Die Klimaunion hat, glaube ich, schon 2021 das Ziel von 100 Prozent erneuerbaren Energien bis 2030 ausgesprochen. Das deckt sich relativ stark mit unserer Forderung, dass der Gesellschaftsrat, den wir fordern, ein Ende der fossilen Energieträger bis 2030 ausarbeiten soll. Völlig richtig, Herr Heilmann, es ist eine gigantische Veränderung, die da auf uns wartet – und ich glaube, da braucht es eine ganze Menge Hebel.

    EnergieWinde: Trotzdem würden Sie sich wohl kaum zu Herrn Schnarr auf die Straße kleben, Herr Heilmann.

    Heilmann: Das bewusste Einsetzen von Straftaten schadet dem Klimaschutz mehr, als es ihm nutzt, weil es den Fokus auf die Legitimität legt und nicht auf die Frage, was jetzt eigentlich notwendig ist. Wir müssen die Menschen davon überzeugen, dass dieser Wandel richtig ist. Wir werden den Wandel nicht gegen sie durchsetzen, das kann man nur in einer Diktatur. Und eine Diktatur im Namen des Klimaschutzes möchte ich nicht.

    Theodor Schnarr, 32, promoviert an der Uni Greifswald in Biochemie. Seit mehr als einem Jahr ist er bei der Letzten Generation aktiv, hat an diversen Protesten teilgenommen und arbeitet als Pressesprecher. Vor Kurzem hat sich der Bürgermeister seiner Heimatstadt Greifswald hinter die Forderung der Aktivisten nach repräsentativ zusammengesetzten Gesellschaftsräten gestellt, die Klimaneutralität erarbeiten sollen.

     

    Thomas Heilmann, 58, ist seit seinem 17. Lebensjahr Mitglied der CDU. Der studierte Jurist arbeitete lange als Unternehmer und Investor. Vor dem Börsengang von Facebook gehörte er zu den Gesellschaftern des Social-Media-Konzerns. Er war von 2012 bis 2016 Berliner Justizsenator, seit 2017 sitzt er im Deutschen Bundestag. Seit Februar 2022 ist der Vater von vier Söhnen Vorsitzender der unionsnahen Klimaunion.

    EnergieWinde: Wollen Sie eine Klimaschutzdiktatur, Herr Schnarr?

    Schnarr: Nein, ganz im Gegenteil! Deswegen ist ja der Gesellschaftsrat eine ganz starke Forderung von uns. Das ist ein Konzept, das mehr Demokratie verspricht und die verschiedenen Schwächen unserer parlamentarischen Demokratie umgeht, zum Beispiel den Lobbyeinfluss. Es kann das System, das wir haben, sehr gut ergänzen. Interessanterweise gibt es durchaus Fürsprecher, die wir eher nicht in den radikal linken Flügel stellen würden.

    EnergieWinde: Zum Beispiel den Oberbürgermeister Ihrer Heimatstadt, Stefan Fassbinder. Oder hatte der vielleicht nur Angst vor Protesten und Chaos in Greifswald, als er sich hinter Ihre Forderung nach einem Gesellschaftsrat gestellt hat?

    Schnarr: Auf kommunaler Ebene ist eine große Bereitschaft da, andere Wege zu gehen. In sehr aktiven Kommunen wie Greifswald ist Frustration darüber da, dass bestimmte Dinge gar nicht umgesetzt werden können, weil sie entweder von der Landes- oder Bundespolitik gebremst werden.

    Heilmann: Wäre es dann nicht effektiver, wenn Sie alle in demokratische Parteien eintreten würden und die von innen bewegen?

    Schnarr: Viele von uns sind in Parteien. Aber sie sagen, es dauert einfach zu lange. Wir haben noch drei Jahre. Wenn wir es dann nicht geschafft haben, ist es zu spät! Wenn wir mit dem Auto auf eine Klippe zufahren und mit 200 Stundenkilometern darüber schießen, dann ist es vom Resultat her das Gleiche, als wenn wir mit 100 Stundenkilometern darüber schießen. Beim zweiten Szenario habe ich noch gebremst, aber ich fahre trotzdem über die Klippe. Und an dem Punkt sind wir leider.

    Heilmann: Meine Prognose ist: Wir werden in den nächsten zwei, drei Jahren nicht genug tun. Auch, weil Deutschland ein furchtbar langsames Land ist. Wir werden zu spät sein, das ist bedauerlich, aber wahrscheinlich. Wir werden leider die eine oder andere Naturkatastrophe erleben, bis das Bewusstsein in der Breite angekommen ist.

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    Unsere Antwort ist ziviler Ungehorsam. Der kann, das hat sich historisch gezeigt, sehr effektiv sein, einen großen Wandel in kurzer Zeit zu vermitteln

    Theodor Schnarr

    Juristisch gesehen ist Nötigung ein Einsatz von Gewalt. Ich halte das nicht für legitim. Wenn wir keine Klimaschutzdiktatur sein wollen, müssen wir die Menschen überzeugen

    Thomas Heilmann

    Schnarr: Unsere Antwort ist ziviler Ungehorsam. Der kann, das hat sich historisch gezeigt, sehr effektiv sein, einen großen Wandel in kurzer Zeit zu vermitteln.

    EnergieWinde: Haben Sie diese Idee schon länger mit sich herumgetragen?

    Schnarr: Ich glaube nicht. Ich hatte immer wahnsinnig viel Bewunderung für Menschen wie Ghandi, Martin Luther King natürlich und auch die Suffragetten. Mir ist aber nie der Gedanke gekommen, dass so etwas in der Art auch heute möglich wäre. Dieses Gefühl ändert sich derzeit.

    EnergieWinde: Herr Heilmann, wie würden Sie reagieren, wenn Ihre Kinder sich auf die Straße kleben? Würden Sie denken: Das hätte ich mit 20 auch gemacht?

    Heilmann: Nein, juristisch gesehen ist Nötigung ein Einsatz von Gewalt. Ich halte das nicht für legitim. Wenn wir keine Klimaschutzdiktatur sein wollen, müssen wir die Menschen überzeugen. Ich glaube, dass Fridays for Future es anders als die Letzte Generation geschafft hat, in der Bevölkerung Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen zu erzeugen. Christian Lindner hat die Dummheit besessen, zu sagen, Klimaschutz sollte man den Profis überlassen. Das hat ihm nicht genutzt. Ich habe den Protest von Anfang an für sinnvoll gehalten.

    Theodor Schnarr von der Letzten Generation und Thomas Heilmann, CDU-Abgeordneter und Mitglied der Klimaunion, im Streitgespräch über effektiven Klimaschutz.

    Theodor Schnarr (oben rechts) und Thomas Heilmann diskutieren im Videochat mit EnergieWinde-Autorin Julia Graven.

    Schnarr: Fridays for Future ist ein super Beispiel. Da hieß es am Anfang auch immer: Was ihr macht, ist ein Rechtsbruch, nicht zielführend, geht lieber zur Schule. Die Vorwürfe gegen die Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King waren den aktuellen Vorwürfen ähnlich. Auch die Suffragetten waren keine beliebte Bewegung. Die sind durch die Straßen gezogen, haben Fenster eingeschlagen und Briefkästen gesprengt. Aber das hat einen gesellschaftlichen Prozess auf den Weg gebracht, der letzten Endes für ein demokratisches Recht gesorgt hat, das für uns heute selbstverständlich ist.

    Heilmann: Mir fällt kein historisches Beispiel ein, bei dem eine polarisierte Demokratie etwas besser erreicht hat als ohne Polarisierung.

    Schnarr: Natürlich polarisiert diese Protestform. Ziviler Ungehorsam funktioniert über konstanten Druck. Das ist der Ansatz. Letzten Endes geht es aber nicht darum, dass ich als Person, oder die Letzte Generation als Bewegung gemocht werden. Es geht darum, eine Ungerechtigkeit offensichtlich zu machen, sodass Menschen sich positionieren müssen.

    EnergieWinde: Aber lenkt die Letzte Generation mit ihren Aktionen nicht selbst vom Thema ab? Wird nicht zu viel über Kunstwerke, Kartoffelbrei und Klebstoff diskutiert?

    Schnarr: Es gibt natürlich Leute oder Medien, die sich darauf beschränken. Aber es gibt genauso die Stimmen, die fordern, auf das eigentliche Thema zu kommen. Volker Quaschning hat zum Jahreswechsel gesagt, dass auch er zuerst dachte, dass diese Proteste dem Anliegen schaden, dass er aber jetzt eingesehen hat, dass die Letzte Generation uns den Spiegel vorgehalten hat und wir jetzt endlich anfangen müssen, Klartext zu reden.

    EnergieWinde: Dann reden Sie!

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    Wir sind aktuell auf dem Weg in eine 2,7 bis 3,1 Grad Celsius heißere Welt. Das bedeutet, dass ein Drittel der Menschheit, drei bis 3,5 Milliarden Menschen, ihre Heimat verlieren werden.

    Theodor Schnarr

    Ich habe jedes Verständnis für Ungeduld, aber wir müssen den mühsamen Weg gehen, Mehrheiten und Zustimmung zu organisieren.

    Thomas Heilmann

    Schnarr: Wir sind aktuell auf dem Weg in eine 2,7 bis 3,1 Grad Celsius heißere Welt. Das bedeutet, dass ein Drittel der Menschheit, drei bis 3,5 Milliarden Menschen, ihre Heimat verlieren werden. Wir sind jetzt schon an dem Punkt, dass in Frankreich Trinkwasser per Lkw geliefert wird, weil es Regionen gibt, wo einfach kein Trinkwasser mehr aus dem Wasserhahn kommt. Professor Niko Froitzheim sagt, dass es schon bei 1,5 Grad Celsius so kritisch werden könnte, dass unsere Gesellschaft damit nicht mehr umgehen kann. Und deswegen will ich mich irgendwie nicht nur als ungeduldig abfrühstücken lassen. Wir müssen das hinkriegen in dieser Zeit!

    EnergieWinde: Herr Heilmann, verstehen Sie das?

    Heilmann: Absolut! Wenn Sie krebskrank sind, sind Sie auch sehr ungeduldig. Trotzdem würde ich als Arzt sagen: Du musst leider den langwierigen Weg durch die Chemotherapie gehen. Ich habe jedes Verständnis für Ungeduld, aber wir müssen den mühsamen Weg gehen, Mehrheiten und Zustimmung zu organisieren.

    Schnarr: Als ich geboren wurde, hätte die Welt ihre CO2-Emissionen um zwei Prozent pro Jahr reduzieren können, dann wären wir heute fein raus. Ist aber nicht passiert. Fridays for Future hat Großartiges erreicht, aber auch das ändert nichts an der Situation: Wir stehen immer noch an dieser Klippe. Und die Frage ist: Wie kriegen wir innerhalb von diesen drei Jahren einen grundlegenden Wandel in der Politik hin? Der kommt nicht von allein, die Bundesregierung entblößt sich vor der Klimakrise als handlungsunfähig.

    EnergieWinde: Was werden Sie denn tun, wenn auch Ihr Protest nicht so wirkt, wie Sie sich das vorstellen? Eine weitere Eskalation wird ja durchaus schon diskutiert innerhalb der Letzten Generation.

    Schnarr: Aktuell mache ich mir darüber keine Gedanken, weil wir auf einem sehr guten Weg sind. Menschen, die mir nah sind, in der Arbeit, im Handballverein oder anderswo, die das am Anfang irritierend fanden, sind jetzt an einem Punkt, wo sie sich fragen: Warum mache ich eigentlich nichts? Ich glaube nicht, dass die meisten von ihnen neben mir auf der Straße sitzen werden, aber dass sie für sich Wege suchen, stärker Einfluss zu nehmen. Ich halte unsere Proteste für einen sehr effektiven Weg und ich sehe viele Indizien dafür, dass es funktionieren kann.

    Heilmann: Wenn ich höre, dass wir 2022 den höchsten Ölverbrauch in der Geschichte der Menschheit hatten, und 2023 das nächste Rekordjahr wird, dann sind wir nicht sehr weit gekommen. Dieser Anstieg ist auch von der Letzten Generation keinen Millimeter abgebremst worden, deswegen halte ich es nicht für ein wirksames Mittel.

    Theodor Schnarr von der Letzten Generation hat sich an eine Straße geklebt, um den Verkehr zu stoppen.

    Theodor Schnarr bei einer Protestaktion: „Ich würde auch lieber nur an Diskussionsabenden teilnehmen. Aber das allein bringt nicht die Veränderung, die wir brauchen.“

    EnergieWinde: Standen Sie eigentlich schon mal im Klimakleberstau, Herr Heilmann?

    Heilmann: Klar. Ich war im Taxi, habe dem Fahrer sein Honorar gegeben, bin ausgestiegen und habe gesagt: Jetzt müssen Sie alleine stehen.

    EnergieWinde: Waren Sie wütend?

    Heilmann: Ich bin ein, wenn man das von sich selber sagen kann, gelassener Typ. Andere Autofahrer waren sehr genervt und hupten und haben deutliche Unmutsbekundungen von sich gegeben. Wenn ich da einem gesagt hätte: Überleg doch mal, dass du das Verbrennerauto gegen ein elektrisches tauscht, ich glaube, der wäre mir an die Gurgel gesprungen.

    Schnarr: Mir ist völlig klar, dass in so einer Situation kein tiefgehendes Gespräch möglich ist.

    EnergieWinde: Es kommt durchaus zu brutalen Szenen. Neulich in Hamburg hat ein wütender Lkw-Fahrer einen Aktivisten vor laufender Kamera in den Bauch getreten. Haben Sie keine Angst?

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    Die Naturwissenschaften sagen: Es muss grundlegend etwas passieren. Und die Gesellschaftswissenschaften sagen: Ziviler Ungehorsam kann so etwas anstoßen. Wie kann ich da zuhause sitzen bleiben?

    Theodor Schnarr

    Wenn Sie im politischen Diskurs anfangen, durch Strafdrohungen geschützte Spielregeln infrage zu stellen, wird es außerdem Nachahmungstäter mit weniger nachvollziehbaren Zielen geben.

    Thomas Heilmann

    Schnarr: Doch, natürlich. Wir tun das ja alle nicht aus Spaß! Ich würde auch lieber nur an Fridays for Future-Demonstrationen oder irgendwelchen Diskussionsabenden teilnehmen. Aber das allein bringt nicht die Veränderung, die wir brauchen in der kurzen Zeit. Die Naturwissenschaften sagen: Es muss grundlegend etwas passieren. Und die Gesellschaftswissenschaften sagen: Ziviler Ungehorsam kann so etwas anstoßen. Und dann entsteht bei mir das Gefühl: Wie kann ich zuhause sitzen bleiben?

    Heilmann: Ich glaube, dass es wirksamere Mittel gibt. Wenn Sie im politischen Diskurs anfangen, durch Strafdrohungen geschützte Spielregeln infrage zu stellen, wird es außerdem Nachahmungstäter mit weniger nachvollziehbaren Zielen geben. Das Gewaltmonopol muss in einer Demokratie immer beim Staat liegen.

    EnergieWinde: Befürchten Sie denn, dass sich diese Klimabewegung noch weiter radikalisieren könnte?

    Heilmann: Natürlich ist denkbar, dass die von mir prognostizierte Unwirksamkeit der Proteste Menschen dazu verführen wird, noch radikaler vorzugehen. Aber das müssen Sie Herrn Schnarr fragen. Was passiert, wenn Sie sich jetzt noch ein Jahr weiter kleben und außer Strafprozessen und Diskussionen geschieht nicht viel. Was machen Sie dann?

    Schnarr: Wir haben bei der Letzten Generation einen klaren Wertekonsens, der an Gewaltfreiheit festhält, nicht nur im Protest, auch in unserer Sprache. Wenn der Protest wirklich ineffektiv gewesen sein sollte, kann ich Ihnen nicht sagen, was ich mache. Aber ich werde nicht in irgendeiner Form aggressiv werden. Und zurzeit können wir zum Glück viele Zeichen erkennen, dass unsere Proteste erfolgreich sein werden.

    Die Fragen stellte Julia Graven.

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