Heybl: Aber ich habe natürlich die Wahl, zu einem Ökostrom- oder Ökogas-Anbieter zu wechseln, das kann ja nicht nur der Eigentümer der Immobilie tun, sondern auch der Mieter. Ich kann vielleicht auch eine kleinere Wohnung beziehen, wenn ich zu großzügig wohne. In Potsdam, wo ich herkomme, passiert es relativ häufig, dass Wohnungen getauscht werden und dann der Wohnraum verkleinert wird. Wir können uns dieses Weiterkonsumieren, wie es momentan geschieht, nicht leisten. Und deshalb glaube ich schon, dass es Sinn ergibt, auch die Individuen in die Pflicht zu nehmen. Auch wenn es natürlich schwierig ist, das Wort Verzicht in den Mund zu nehmen.
Neckel: Die Aufforderung zum Verzicht ist mir viel zu pauschal. Die Anrufung des Individuums, es möge sich doch jetzt gefälligst an den Klimawandel anpassen und einschränken in seinen vermeintlich unendlichen Konsumbedürfnissen, geht an der Wirklichkeit doch vielfach vorbei. Das dient der Selbstbestätigung derer, die diese Anrufungen äußern, in ihrem Gefühl der moralischen Überlegenheit. Man muss doch berücksichtigen, dass man von „dem Individuum“ kaum sprechen kann. Schließlich sind auch in Deutschland die reichsten zehn Prozent aller Haushalte für mehr als ein Viertel der Emissionen verantwortlich. Wenn man angesichts völlig unterschiedlicher ökologischer Fußabdrücke jedem Individuum in gleicher Weise sagt, du musst aber verzichten, dann ist das die beste Voraussetzung dafür, dass politisch ein ökologischer Wandel nicht durchsetzbar ist, weil er als Inbegriff einer sozialen Ungerechtigkeit erscheinen muss.
EnergieWinde: Das heißt aber, die Menschen, denen es besonders gut geht – und zu denen können wir uns wohl alle zählen –, hätten mehr Verantwortung und wären zum Verzicht verpflichtet?
Neckel: So ist es. Haushalte, die über das Geld verfügen, eine klare Entscheidung zu treffen über ein umweltfreundliches E-Auto oder über einen SUV mit 2,5 Tonnen Stahl, an die geht ganz klar die Aufforderung, den SUV nicht zu kaufen.
EnergieWinde: Sie haben also ein Elektroauto?
Neckel: Ich habe gar kein Auto, aber wir wohnen auch nah am Uni-Viertel mitten in der Hamburger Innenstadt. Für mich wäre ein Auto nur ein Hindernis. Aber ich fliege heute zum Beispiel weniger; innerhalb von Deutschland kann ich mich kaum erinnern, dass ich je geflogen bin. Und mittlerweile nehme ich auch nach Wien oder Zürich den Zug. Was mir leichter fiele, wenn die Verbindungen besser wären …
EnergieWinde: Frau Heybl, worauf verzichten Sie?
Heybl: Ich bin keine Vegetarierin, da muss ich mich leider outen. Ich versuche aber, sehr wenig Fleisch zu essen, vielleicht so einmal im Monat. Tatsächlich verkneife ich mir das sehr oft, würde also schon sagen, dass ich bewusst verzichte.
EnergieWinde: Und das ist unsere moralische Pflicht?
Heybl: Wenn man zu Kant zurückgeht und sich unsere momentane Lage anschaut, dann würde Kant argumentieren, dass wir als Individuen nun mal auf unsere eigene Vernunft zurückgeworfen bleiben, immer wieder. Wir können anders wählen, wir können den Stromanbieter wechseln, wir können andere Lebensmittel kaufen und so den ökologischen Landbau fördern und wir können auch unsere Geldströme umleiten, indem wir zum Beispiel zu einer ökosozialen Bank wechseln. Das wären vier Big Points, wo wir strukturell wirklich etwas verändern können.