Verhaltensforscherin Jane Goodall

  • Search02.10.2025

Die Erste ihrer Art

Die berühmte Primatenforscherin Jane Goodall ist im Alter von 91 Jahren verstorben. Bis zuletzt kämpfte sie für den Schutz der Natur – und gab der Menschheit Hoffnung.

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    „Du kannst etwas verändern – jeden Tag und zu jeder Zeit.“ Jane Goodall (1934–2025)

     

    Von Volker Kühn

    Es war ein unerhörter Vorgang, als eine junge Britin in den Sechzigerjahren die Vorstellung vom Menschen als „Krone der Schöpfung“ infrage stellte. Denn dass ein anderes Wesen auch nur annähernd an menschliche Fähigkeiten heranreichen könnte, hatte bis zu diesem Zeitpunkt niemand zu behaupten gewagt.

    Doch die Frau, eine Sekretärin Mitte 20 ohne akademische Ausbildung, hatte in Tansania Beobachtungen gemacht, die dieses Weltbild erschüttern sollten. Mit unendlicher Geduld war es ihr gelungen, das Vertrauen von Schimpansen im Gombe-Nationalpark zu gewinnen. Wochenlang hatte sie in ihrer Nähe verharrt, oft kauernd, barfuß, die blonden Haare streng zum Zopf gebunden.

    Als die Tiere sie schließlich mitten unter sich tolerierten, erlebte die Frau sie auf eine Art wie wohl kein Mensch zuvor. So beobachtete sie, wie einige Schimpansen Äste abbrachen, um damit in einem Termitenhügel herumzustochern. Anschließend leckten sie die Äste ab wie Kinder einen Lolli.

    Die Schimpansen aßen die Termiten mit selbst hergestelltem Besteck: Diese Beobachtung war eine wissenschaftliche Revolution. Denn bis dahin war die Forschung davon ausgegangen, dass nur Menschen in der Lage seien, Werkzeuge anzufertigen und sinnvoll einzusetzen.

    Schimpansen sind individuell verschieden – im Guten wie im Schlechten

    Die Beobachtung, dass auch Primaten dazu in der Lage sind, sollte nicht die einzige bahnbrechende Erkenntnis der Frau bleiben. In den Jahrzehnten ihrer wissenschaftlichen Arbeit fand sie immer deutlichere Belege dafür, dass Schimpansen individuelle Persönlichkeiten besitzen. Es gibt mutige Tiere und ängstliche, liebevolle und jähzornige, ernste und solche, denen der Schalk im Nacken sitzt.

    Sie sind uns Menschen viel ähnlicher, als den meisten bewusst war. Oder besser vielleicht: als sich die meisten einzugestehen wagten.

    Das gilt im Guten wie im Schlechten. Es war ein Schock für die Frau, als sie beobachtete, dass Schimpansen-Gruppen verfeindet sein können, dass sie mitunter regelrechte Kriege führen.

    Jane Goodall kam 1934 in London zur Welt. Schon als junges Mädchen begeisterte sie sich für die Tierwelt Afrikas. Um Geld für eine Reise dorthin zu sparen, arbeitete sie als Kellnerin und Sekretärin. Mit 26 Jahren erhielt sie eine Anstellung in einem Forschungsprojekt zur Beobachtung von Menschenaffen im Gombe-Nationalpark in Tansania. Das Bild stammt von 1965.

    1962 heiratete Jane Goodall den niederländischen Tierfilmer Hugo van Lawick. Das Bild zeigt die beiden bei Dreharbeiten 1974. In diesem Jahr wurde die Ehe geschieden. Ein Jahr später heiratete Goodall den tansanischen Parlamentsabgeordneten Derek Bryceson, mit dessen Hilfe sie den Bestand Gombes als Nationalpark sicherte. Bryceson starb 1980 an Krebs. Die Zeit danach sei die schwierigste ihres Lebens gewesen.

    Die Ergebnisse ihrer jahrzehntelangen Forschung zum Verhalten von Menschenaffen waren revolutionär. Jane Goodall erkannte, dass die Primaten Werkzeuge verwenden – und dem Menschen ähnlicher sind als bis dahin angenommen. Hier ist sie 1997 mit einer Schimpansin in Kenia zu sehen.

    Auch nach dem Ende ihrer aktiven Forschungskarriere blieb der Schutz der Tiere das bestimmende Thema im Leben von Jane Goodall. Sie gab unzählige Interviews und hielt Tausende Vorträge in aller Welt, in denen sie die Menschen zum Erhalt der Natur aufrief – hier 2004 in Singapur.

    Fast immer begleitete sie dabei ihr Maskottchen „Mr. H“. Das Plüschtier war ein Geschenk ihres Freund Gary Haun, eines US-Marinesoldaten, der mit 21 Jahren bei einem Hubschrauberabsturz erblindete, aber dennoch ein erfülltes, aktives Leben führte. Jane Goodall sah in Mr. H eine Erinnerung daran, dass nichts unmöglich ist. Das Bild stammt von der Verleihung des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2017.

    Jane Goodall, die „Mama der Schimpansen“ und „berühmteste Primatenforscherin der Welt“, wurde von den Menschen rund um den Globus verehrt – für ihren unermüdlichen Einsatz für den Artenschutz ebenso wie für ihren unerschütterlichen Optimismus.

    Die Erkenntnisse der Britin beschränkten sich allerdings nicht auf die Verhaltensbiologie. Früher als viele andere beschrieb sie, dass die Menschheit dabei ist, ihre eigene Lebensgrundlage zu zerstören. Der Raubbau an der Natur müsse ein Ende haben – schon im ureigenen menschlichen Interesse.

    Noch lange nach dem Ende ihrer beeindruckenden Forscherkarriere blieb die Britin eine weltweit geehrte Botschafterin des Artenschutzes. Wo immer sie auftrat, beschwor sie ihre Zuhörerinnen und Zuhörer, die Schönheit der Natur zu erkennen und sich für ihren Erhalt einzusetzen.

    Der Mensch ist auf die Natur angewiesen. Sie ist für ihn überlebensnotwendig

    Bis buchstäblich an das Ende ihres Lebens reiste sie in dieser Mission um die Welt. Am 1. Oktober starb Jane Goodall mit 91 Jahren während einer Vortragsreise in Kalifornien.

    Ihr Vermächtnis jedoch bleibt: das Wissen, dass der Mensch in seiner Existenz von seiner Umwelt abhängt. Dass er auf das Zusammenspiel funktionierender Ökosysteme angewiesen ist.

    In der Natur hängt alles mit allem zusammen. Wie im Spiel Jenga

    Biologen erklären die Bedeutung einer intakten Natur gern am Beispiel von Jenga, jenem Spiel, bei dem man Holzklötzchen aus einem Turm zieht und hofft, dass er nicht zusammenbricht. Irgendwann passiert es natürlich doch. Man erwischt das eine Klötzchen zu viel, und der Turm kollabiert.

    Die Forschung erkennt darin eine Parallele zum Zusammenwirken von Tier- und Pflanzenarten in einem Ökosystem. Alles baut aufeinander auf und hängt voneinander ab. Stirbt eine Art aus, bedeutet das nicht gleich das Ende des Ökosystems – andere Arten sichern seine Tragfähigkeit. Doch stirbt irgendwann eine Art zu viel aus, kollabiert das Ökosystem.

    Das Wissen um dieses Zusammenspiel verpflichtet den Menschen zu besonderer Sorgfalt und Vorsorge im Umgang mit der biologischen Vielfalt. Denn wir sind auf sie angewiesen. Die Natur sorgt für den Sauerstoff, den wir atmen, sie reinigt das Wasser, das wir trinken, sie macht unsere Äcker fruchtbar.

    Es steht schlecht um die Biodiversität: Wir erleben ein Massenaussterben

    Doch derzeit sind wir Zeugen – und Verursacher – eines dramatischen Artenverlusts. Die intensive Nutzung von Land und Meer, Umweltverschmutzung und viele weitere menschliche Aktivitäten tragen zum Verlust der biologischen Vielfalt bei. Wir befinden uns inmitten des größten Massenaussterbens seit dem Verschwinden der Dinosaurier.

    Allerdings sehen wir auch, mit welcher Kraft sich Ökosysteme regenerieren können, wenn die Menschen ihnen den Raum dafür geben. Fatalismus, das erklärte Jane Goodall ihren Zuhörerinnen und Zuhörern überall auf der Welt, wäre daher fehl am Platz. Als sie gefragt wurde, warum sie auch noch jenseits der 80 an 300 Tagen im Jahr auf Veranstaltungen und in Interviews für den Artenschutz eintrete, erklärte sie: „Ich kann nicht aufhören. Hoffnung ist die Kraft, die mich am Leben hält. Menschen brauchen Hoffnung.“

    Und es gibt Grund für diese Hoffnung, davon war Jane Goodall überzeugt. „Du kannst etwas verändern – jeden Tag und zu jeder Zeit.“

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