Wärmespeicher

  • Search05.07.2024

Wie man Wärme recycelt

Thermische Speicher helfen der Industrie, auf Kohle, Öl und Gas zu verzichten. Seit der Energiekrise befindet sich der Markt im Aufwind. Doch die gesetzlichen Rahmenbedingungen erschweren den Durchbruch.

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    Dieser Wärmespeicher in Halle (Saale) dient der Fernwärmeversorgung. In der Industrie kommen andere Speichertechnologien zum Einsatz, um Prozesswärme einzulagern.

    Als „Riesen-Thermoskanne“ ist dieser Wärmespeicher in Halle (Saale) bekannt. Die 2018 in Betrieb gegangene Anlage deckt den Fernwärmebedarf der Hallenser bis zu drei Tage. Aber auch in der Industrie kommen Wärmespeicher zunehmend zum Einsatz.

     

    Von Volker Kühn

    Von den gut 3000 Kartoffelsorten weltweit landet nur ein Bruchteil im Supermarkt. Größer ist die Auswahl im Regal für Kartoffelchips, wo ständig neue Geschmacksrichtungen auf Kunden warten, von klassisch Paprika bis exotisch Wasabi. Die Marke Lay’s buhlt noch mit einem anderen Attribut um Kunden: mit klimafreundlichen Chips. Dazu erhitzt Lay’s das Frittieröl in einem Werk bei Amsterdam künftig nicht mehr mit Erdgas, sondern mit Grünstrom.

    Damit die Produktion auch dann gleichmäßig läuft, wenn Wind- und Solarparks gerade schwächeln, wird der Strom in Wärme umgewandelt und in einem speziellen Granulat zwischengespeichert, bis die Energie gebraucht wird. Die zum Pepsico-Konzern gehörende Marke reduziert den CO2-Ausstoß der Fabrik auf diese Weise mittelfristig um bis zu 98 Prozent.

    Thermische Speicher sind wichtig für die Industrie – um Kohle und Gas zu ersetzen

    Das Werk in den Niederlanden ist damit ein Vorreiter bei einem der größten Probleme der Energiewende: dem Abschied von Öl, Gas und Kohle in der Wärmeversorgung der Industrie. Denn während die Umstellung auf erneuerbare Energien in der Stromversorgung rasant voranschreitet, sind Fabriken, die mit Wärme oder Kälte arbeiten, noch immer überwiegend auf fossile Brennstoffe angewiesen. Öfen in der Lebensmittelbranche, Schmelzwannen in der Glas- und Metallindustrie, Anlagen zum Erhitzen von Chemieprodukten oder zum Trocknen von Papier: Sie alle laufen bei Temperaturen von oft über 100, manchmal über 1000 oder 2000 Grad.

    Der Bedarf an dieser sogenannten Prozesswärme ist gewaltig. Nach Angaben des Umweltbundesamts entfällt gut ein Fünftel des gesamten deutschen Endenergiebedarfs darauf. Hinzu kommen gut zwei Prozent für Prozesskälte, etwa für Gefrierkost oder zum Herunterkühlen von Industrieanlagen. Erneuerbare Energien spielen dabei bislang eine untergeordnete Rolle: Sie liefern nicht einmal ein Fünftel der Prozesswärme in Deutschland.

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    Die Unternehmen stehen unter großem Druck, die Prozesswärme zu dekarbonisieren

    Paul Münnich, Projektreferent bei Agora Industrie

    Für die Industrie ist das ein Problem. „Die Unternehmen stehen unter großem Druck, die Prozesswärme zu dekarbonisieren“, sagt Paul Münnich, Projektreferent der Denkfabrik Agora Industrie. Zwar lägen die Erdgaspreise wieder auf einem Niveau wie vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Doch das ist immer noch mehr als vor der Pandemie, und auch die CO2-Zertifikate, die Unternehmen für den Ausstoß von Treibhausgasen kaufen müssen, würden tendenziell teurer.

    Wärmespeicher wie im niederländischen Lay’s-Werk können helfen, das Problem zu lösen. Die Anlage stammt von Kraftblock, einem Start-up, das der Chemiker Martin Schichtel und die Wirtschaftswissenschaftlerin Susanne König Start-up 2014 im saarländischen Sulzbach gegründet haben. Sie bauen einen modular einsetzbaren Speicher, der Energie aus verschiedenen Quellen aufnehmen kann und in sich in ein breites Spektrum von Anwendungsfällen einbinden lässt.

    Kraftblock speichert den Strom in Form von Wärme – bis zu zwei Wochen lang

    Der Speicher bei Lay’s wird mit Grünstrom geladen, den der Energieversorger Eneco liefert. Kraftblock wandelt ihn in Wärme von 800 Grad um, die über Heißluft in einem Granulat gespeichert wird und bis zu zwei Wochen ohne größere Verluste vorhält. „Damit können wir die schwankende Stromproduktion von Windparks in Form von Wärme gleichmäßig für die Produktion verfügbar machen“, sagt Kraftblock-CEO Schichtel.

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    Wärmespeicher ermöglichen es, Strom günstig einzukaufen und zu einem späteren Zeitpunkt in Form von Wärme zu nutzen

    Ken Somers, McKinsey

    Gerade das ist aus Sicht des McKinsey-Beraters Ken Somers ein großer Vorteil: „Industriebetriebe produzieren nicht unbedingt dann, wenn Strom gerade günstig ist, was tendenziell zum Beispiel am Wochenende der Fall ist. Wärmespeicher ermöglichen es ihnen, den Strom trotzdem günstig einzukaufen und zu einem späteren Zeitpunkt in Form von Wärme zu nutzen“, sagt Somers, der für McKinsey in Brüssel arbeitet und Spezialist für die Dekarbonisierung der Industrie ist.

    Kraftblock baut derzeit parallel auch einen Speicher bei einem indischen Stahlhersteller. Er läuft nicht mit Strom, sondern nimmt die Abwärme der Sinteranlage auf und führt sie zurück in die Produktion. Damit lassen sich rund zwei Prozent CO2 vermeiden – angesichts des gewaltigen Ausstoßes eines Stahlwerks eine große Einsparung. Über Preise spricht Schichtel nicht. Grundsätzlich könne man aber davon ausgehen, dass sich das Investment je nach Auslegung des Speichers, Energiequelle und Rahmenbedingungen der jeweiligen Produktion in drei bis fünf Jahren rechne.

    Die Energiekrise hat den Markt beflügelt. Weltweit etablieren sich neue Anbieter

    Neben Kraftblock etabliert sich derzeit eine Reihe weiterer Unternehmen im Markt. EnergyNest aus Norwegen etwa hat einen Speicher auf Basis von Betonröhren entwickelt, der unter anderem beim belgischen Verpackungshersteller Avery Dennison zum Einsatz kommt. Gespeist wird er mit der Energie einer großen Parabolspiegelanlage. Das US-Start-up Rondo speichert thermische Energie in speziellen Ziegeln, die schwedische Firma SaltX nutzt Salz. „Die Energie- und Klimakrise, aber auch die Dynamik beim Ausbau Erneuerbarer haben den Speicheranbietern Auftrieb gegeben“, sagt Agora-Experte Münnich.

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    Deutsche Unternehmen setzen neue Technologie oft erst dann ein, wenn sie sich zehn Jahre am Markt etabliert hat. Andernorts ist man risikofreudiger

    Martin Schichtel, CEO von Kraftblock

    In Europa hat die deutsche Industrie den mit Abstand größten Bedarf an Prozesswärme. Dass größere Projekte bislang eher in anderen Ländern umgesetzt werden, ist aus Sicht von Kraftblock-CEO Schichtel nicht zuletzt eine Mentalitätsfrage: „Deutsche Unternehmen setzen neue Technologie oft erst dann ein, wenn sie sich zehn Jahre am Markt etabliert hat. Andernorts ist man risikofreudiger.“

    Die Netzentgelte setzen die falschen Anreize. Sie bremsen den Speichereinsatz aus

    Doch das ist nicht das einzige Hindernis. Auch das System der Netzentgelte bremst den Einsatz von Speichern aus. Es stammt noch aus der fossilen Welt, in der Großkraftwerke gleichmäßig Strom lieferten, und belohnt Unternehmen mit hohen Rabatten, wenn sie entsprechend gleichmäßig Strom abnehmen – unabhängig davon, ob gerade viel oder wenig Strom verfügbar ist. „Damit werden völlig falsche Anreize gesetzt“, sagt Agora-Experte Münnich.

    Sinnvoller wäre aus seiner Sicht ein System, das den Verbrauch dann anregt, wenn viel Grünstrom zur Verfügung steht und er das Netz gleichzeitig nicht überlastet. So könnten flexibel betriebene Wärmespeicher von niedrigen Preisen an wind- oder sonnenreichen Tagen profitieren, ohne die Netzinfrastruktur zu überlasten.

    Der Netzausbau kommt nur zäh voran. Speicher bieten einen Ausgleich dazu

    McKinsey-Experte Somers sieht daneben noch einen weiteren Faktor, der die Elektrifizierung der Wärmeversorgung erschwert. „Im Markt herrscht nicht nur große Unsicherheit darüber, wie sich die Strompreise und die Netzentgelte entwickeln, sondern auch, ob in Zukunft überhaupt genügend Leitungen vorhanden sein werden, um die Unternehmen zuverlässig mit den nötigen Mengen Strom zu versorgen.“

    Gerade im stockenden Netzausbau sieht Kraftblock-Chef Schichtel allerdings auch ein Argument, das für Speicher spricht, schließlich könnten sie in Zeiten hoher Stromproduktion Überschüsse aufnehmen und die Netze damit entlasten.

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