Wie sich der Strompreis zusammensetzt
- 29.04.2019
Ein Fünftel Erzeugung, vier Fünftel Abgaben
Von Volker Kühn
„Neuer Höchststand: Strompreise steigen weiter“, meldet das Vergleichsportal Verivox Ende März, und der Rivale Check24 stimmt mit ein: „Strom- und Gaspreise auf Rekordniveau.“ Solche Schlagzeilen klingen vertraut in den Ohren deutscher Verbraucher. Gefühlt alle paar Monate verkünden die Portale, dass sich die Preisspirale in neue Dimensionen geschraubt habe. Und tatsächlich liegen die Preise heute sehr viel höher als zu Beginn der Energiewende vor knapp 20 Jahren. Was aus den Meldungen allerdings nicht hervorgeht: In den vergangenen Jahren sind die Preise recht stabil geblieben. In den vergangenen fünf Jahren lagen sie nach Zahlen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sogar unterhalb der Inflationsrate.
EnergieWinde schaut deshalb genauer hin: Wie haben sich die Stromrechnungen entwickelt? Was waren die Preistreiber? Warum kommen die gesunkenen Erzeugungskosten von Windrädern und Solarparks nicht beim Verbraucher an? Und welche Möglichkeiten hätten Gesetzgeber, um für niedrigere Preise zu sorgen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie hat sich der Strompreis in Deutschland seit Beginn der Energiewende entwickelt?
Im Jahr 2000, als die rot-grüne Bundesregierung mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) das entscheidende Instrument für den Umbau der Stromversorgung schuf, zahlten Privathaushalte in Deutschland laut dem BDEW im Schnitt 13,94 Cent pro Kilowattstunde Strom. Heute liegt der Preis nach Angaben des Verbraucherportals Verivox mit 29,42 Cent mehr als doppelt so hoch. „Das Preisniveau ist auf ein Rekordhoch geklettert“, erklärte Verivox in einer Pressemitteilung Ende März.
Andere Quellen kommen zu leicht abweichenden Angaben. Laut dem Statistischen Bundesamt etwa hatte der Strompreis bereits 2017 mit 30,48 Cent einen Rekord erreicht, bevor er im vergangenen Jahr auf 29,87 Cent sank. Die unterschiedlichen Zahlen ändern aber nichts an der generellen Tendenz: Von 2000 bis 2013 hat sich der Strompreis für Privathaushalte in etwa verdoppelt; seither ist er annähernd stabil geblieben.
Wie setzt sich der Strompreis zusammen?
Der BDEW ermittelt regelmäßig die verschiedenen Preisbestandteile des Stroms. Nach Zahlen von 2018 machen die Erzeugung und der Vertrieb des Stroms mit 21 Prozent nur etwas mehr als ein Fünftel des Strompreises aus. Die übrigen vier Fünftel entfallen auf den Bau und Betrieb der Stromnetze, auf Umlagen, Steuern und Abgaben.
Der größte Posten dabei sind mit 24,7 Prozent die Netzentgelte, deren Höhe von der Bundesnetzagentur reguliert wird. Sie fließen an die vier Betreiber großen Übertragungsnetze (quasi die Autobahnen im Stromnetz) sowie an mehrere Hundert Verteilnetzbetreiber, die die regionale Stromversorgung sicherstellen.
Die Netzentgelte unterscheiden sich regional. 2018 lagen sie im Schnitt bei 7,27 Cent je Kilowattstunde und damit um fast 30 Prozent höher als noch vor zehn Jahren. Die Steigerung erklären die Betreiber mit den erheblichen Investitionen in die Netze, die im Zuge der Energiewende nötig geworden seien.
Umso überraschender kam für viele die deutliche Senkung der Netzentgelte, die die Übertragungsnetzbetreiber für dieses Jahr angekündigt haben: Bei 50 Hertz fallen sie um 23 Prozent, bei Amprion um 20, bei TransnetBW um sechs und bei Tennet um fünf Prozent. Das liegt allerdings nicht an gesunkenen Kosten, sondern vor allem daran, dass die Anschlusskosten für Offshore-Windparks in eine neue Offshore-Netzumlage ausgelagert werden. Sie beträgt 0,416 Cent je Kilowattstunde und umfasst neben den Kosten für den Leitungsbau auch die bisherige Offshore-Haftungsumlage. Über diesen Posten wurden die Betreiber von Offshore-Windparks entschädigt, wenn ihr Netzanschluss nicht planmäßig fertig wurde oder es zu Leitungsausfällen von mehr als zehn Tagen kam, sodass sie ihren Strom nicht verkaufen konnten.
Unabhängig von der neuen Offshore-Netzumlage dürfte die allgemeine Netzumlage künftig wieder zulegen – schließlich beginnt der Bau der großen neuen Nord-Süd-Trassen gerade erst.
Die EEG-Umlage ist mit 23,1 Prozent der zweitgrößte Posten auf der Rechnung. Dahinter verbergen sich die Ausgleichszahlungen, die Betreiber von Ökostromanlagen erhalten, wenn sie an der Börse weniger für ihren Strom erhalten, als ihnen gesetzlich zugesichert wurde. Von 0,41 Cent je Kilowattstunde im Jahr 2003 ist die EEG-Umlage bis 2018 auf 6,79 Cent gestiegen. In diesem Jahr fiel sie allerdings erstmals nach langer Zeit wieder auf nun 6,41 Cent.
Auch wenn es verwirrend klingen mag: Dazu trugen ausgerechnet die gestiegenen Preise an der Strombörse bei. Denn je teurer Ökostromproduzenten ihre Energie hier verkaufen können, desto weniger Ausgleichszahlungen erhalten sie über die EEG-Umlage. Aber auch der härtere Wettbewerb bei der Ausschreibung neuer Wind- und Solarparks trug zum Sinken der EEG-Umlage bei.
Die Umsatzsteuer von 16 Prozent und die Stromsteuer von 2,05 Prozent kassiert der Staat. Beide Steuersätze sind seit Jahren stabil. Die Erträge aus der Stromsteuer fließen überwiegend in die Rentenkassen.
Die Konzessionsabgabe zahlen Energieversorger an Kommunen für das Recht, Leitungen auf öffentlichem Grund zu verlegen. Die Höhe der Abgabe variiert regional, 2018 machte sie nach Zahlen des BDEW im Schnitt 5,6 Prozent der Stromrechnung aus.
Was bedeutet das konkret in Euro und Cent auf der Stromrechnung?
Eine dreiköpfige Familie mit einem Jahresverbrauch von 3500 Kilowattstunden hatte beim Durchschnittspreis von 29,42 Cent je Kilowattstunde im vergangenen Jahr eine Rechnung von 1029,70 Euro (oder 85,81 Euro im Monat). Davon entfielen
- 254,45 Euro auf die Netzentgelte (oder 21,20 Euro im Monat)
- 237,65 Euro auf die EEG-Umlage (19,80 Euro)
- 216,30 Euro auf die Erzeugung und den Vertrieb des Stroms (18,03 Euro)
- 164,50 Euro auf die Umsatzsteuer (13,71 Euro)
- 71,75 Euro auf die Stromsteuer (5,98 Euro)
- 58,10 Euro auf die Konzessionsabgabe (4,84 Euro)
- 26,60 Euro auf weitere Umlagen (KWKG-Umlage, Offshore-Haftungsumlage, Umlage für abschaltbare Lasten, Stromnetzentgeltverordung / 2,22 Euro)
Wie entwickeln sich die Erzeugungskosten für Ökostrom?
Sauberer Strom wird immer günstiger. Laut dem Energiewende-Index der Unternehmensberatung McKinsey sind die Produktionskosten für Strom aus Fotovoltaikanlagen seit 2010 um 83 Prozent gefallen. Die Erzeugung von Strom aus Windrädern an Land hat sich um 58 Prozent verbilligt, die von Offshore-Windstrom um 38 Prozent. Im Ergebnis liefern moderne Fotovoltaikanlagen und Windräder an geeigneten Standorten bereits heute günstigeren Strom als fossile Kraftwerke, die Braunkohle, Steinkohle oder Gas verfeuern. Das ist das Ergebnis einer Studie des Fraunhofer ISE vom vergangenen Jahr.
Mindestens zwei Trends sorgen dafür, dass sich die Gewichte weiter zugunsten erneuerbarer Energien verschieben. Zum einen macht die Technologie gewaltige Fortschritte. Die Turbinen moderner Offshore-Windräder etwa erzeugen heute schon bis zu acht Megawatt, bald soll die erste Zwölf-Megawatt-Turbine auf den Markt kommen. Ein einzelnes Windrad auf See kann dann mehr Strom erzeugen als früher ein ganzer Windpark an Land. Selbst die für ihre zurückhaltenden Prognosen bekannte International Energy Agency erwartet daher, dass die Erzeugungskosten für Ökostrom bis 2040 um jährlich zwei bis vier Prozent fallen werden.
Zum anderen steigen die Kosten für Kohle- und Gaskraftwerke – nicht zuletzt, weil die Preise für die Zertifikate anziehen, die die Produzenten für jede Tonne CO2 erwerben müssen, die sie in die Atomsphäre blasen.
Was müsste passieren, damit die Strompreise für Verbraucher sinken?
Dazu kursieren die unterschiedlichsten Vorschläge. Da die Stromerzeugung immer günstiger wird, die Umlagen und Abgaben aber tendenziell steigen, setzen viele Ideen bei Letzteren an. So fordert etwa eine breite Allianz von den Verbraucherzentralen über die FDP bis zum BDEW, die Stromsteuer zu senken. Zudem könnte die EEG-Umlage in Teilen oder sogar ganz aus Steuermittel finanziert werden. Auch die zahlreichen Ermäßigungen für Industriekunden sind vielen Kritikern ein Dorn im Auge: Sie führten dazu, dass die Energiewende vor allem von Privathaushalten getragen werde, während sich Unternehmen ihrer Verantwortung entzögen. Andererseits warnen Industrievertreter vor Nachteilen für den Standort Deutschland, wenn die Betriebe beim Strompreis stärker zur Kasse gebeten werden – ein Argument, das aus Sicht des Energieexperten Ingmar Ritzenhofen von McKinsey allerdings nicht zieht.
Aber auch bei Stromerzeugung und -transport könnten die Kosten weiter sinken – etwa durch eine effizientere Auslastung der Stromnetze oder durch eine veränderte Finanzierung des Netzausbaus. So erhoffen sich beispielsweise Vertreter der Offshore-Windenergie fallende Kosten, wenn die Parkbetreiber wie in anderen Ländern üblich selbst für ihren Netzanschluss sorgen müssten. In Deutschland sind die Übertragungsnetzbetreiber dafür zuständig. Das Beratungsunternehmen DIW Econ kam jüngst in einer Studie im Auftrag des Energiekonzerns Ørsted zu dem Schluss, dass das deutsche System etwa doppelt so teuer sei wie das britische.
Einen wichtigen Hebel zur Senkung des Strompreises halten die Verbraucher allerdings selbst in der Hand: den Wechsel des Anbieters. Und dabei kommen wieder Portale wie Check24 und Verivox ins Spiel. Denn auch wenn ihre Rekordmeldungen mit Vorsicht zu genießen sind, weil ihr Geschäftsmodell darin besteht, Stromkunden neue Verträge zu vermitteln, findet sich bei ihnen im Zweifel meist ein günstigerer Stromlieferant als der bisherige.