Der bisher einzige Offshore-Windpark der USA: Seit 2016 erzeugt Block Island vor der Küste von Rhode Island Strom.
Offshore-Wind in den USA
- 17.04.2020
„Es geht endlich los“
Weltweit laufen mehr als 3400 Offshore-Windräder mit der Technologie von Siemens Gamesa. Zusammen kommen sie auf eine Kapazität über 15 Gigawatt. In den USA hat der Konzern allerdings noch kein Offshore-Windrad in Betrieb genommen. Trotz der endlosen Küstenlinien gibt es in Amerika bislang überhaupt nur einen einzigen Windpark, und der ist mit 30 Megawatt noch dazu ziemlich klein. Beobachter in Europa schieben das auf den Widerstand der Trump-Regierung, die Kohlestrom den Vorzug vor Ökostrom gebe. Doch der Markt für Offshore-Wind wird bald schon auch in den USA in Schwung kommen, glaubt Steve Dayney. Er leitet den Bereich Offshore-Wind von Siemens Gamesa in Nordamerika. Im Gespräch mit EnergieWinde erklärt er, warum nicht Washington, sondern die Bundesstaaten den Takt beim Ausbau vorgeben, welche Regionen die besten Voraussetzungen bieten und wie die Coronakrise die Entwicklung beeinflussen könnte.
Mr. Dayney, die USA sind beim Offshore-Wind spät dran. Auch Siemens Gamesa war bisher überwiegend in Europa unterwegs. Was versprechen Sie sich vom US-Markt?
Steve Dayney: Es geht endlich los, der Markt für Offshore-Wind in den USA wird jetzt Realität. Wir erwarten eine signifikante Entwicklung für den Bau von Anlagen ab 2022 und wollen unsere Expertise nutzen, um daran teilzuhaben. Wir haben bereits Verträge und Zulieferervereinbarungen für Projekte entlang der Ostküste im Umfang von 4,3 Gigawatt. Das erste Projekt wird noch in diesem Sommer ans Netz gehen.
Welche Projekte sind das?
Dayney: Das Coastal-Virginia-Projekt, das diesen Sommer live geht, nutzt unsere Windturbinen vom Typ SWT-6.5-254. Im vergangenen Juli wurden Siemens Gamesa 1,7 Gigawatt von Ørsted und Eversource für drei Offshore-Windenergieprojekte im Nordwesten zugesprochen: das Sunrise-Projekt mit 880 Megawatt, das Revolution-Projekt mit 704 Megawatt und das 130-Megawatt-Projekt South Fork. Bei diesen drei Parks werden unsere SG-8.0-167-DD-Windturbinen eingesetzt. Für unseren 2,6-Gigawatt-Vertrag mit Dominion Energy, der Anfang dieses Jahres verkündet wurde, ist noch kein Turbinentyp ausgewählt worden.
Über wie viele Jobs bei Siemens Gamesa und Zulieferern reden wir hier?
Dayney: Die Projekte sind in der Frühphase, deshalb können wir noch keine konkreten Zahlen nennen. Wir bauen derzeit unser Offshore-Team in Boston auf. Wir haben den Vorteil, dass wir die Unterstützung durch die 200 Mitarbeiter nutzen können, die sich in unserem Hauptquartier in Orlando, Florida, um das Geschäft mit Onshore-Windanlagen kümmern. Und wir schließen uns mit den erfahrenen Kollegen in Europa kurz.
„Die Erfahrung mit Offshore-Wind in Europa kombiniert mit der hiesigen Erfahrung für Windenergie an Land ist ein sehr guter Ausgangspunkt“, sagt Siemens-Gamesa-Manager Steve Dayney.
Das Coronavirus sorgt gerade für enorme Verwerfungen in der Weltwirtschaft, davon bleibt auch die Windindustrie nicht verschont. Wie geht Siemens Gamesa mit der Herausforderung um?
Dayney: Unsere höchste Priorität ist derzeit, die Gesundheit und Sicherheit unserer Mitarbeiter, Familien und Gemeinden in dieser Krise zu schützen. Gleichzeitig bemühen wir uns, unseren Kunden weiterhin unsere Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Deshalb haben wir strikte Prozesse eingeführt, die es uns erlauben, unsere Aktivitäten aufrechtzuerhalten – sowohl in der Herstellung als auch bei Installations- und Wartungsarbeiten – ohne die Gesundheit unserer Angestellten zu gefährden. Wir beobachten die Situation genau und passen unser Vorgehen den Entwicklungen an.
Haben Sie Sorge um den Zeitplan bereits zugesagter Projekte?
Dayney: Dazu können wir derzeit nicht mehr sagen, als dass wir die Situation sehr genau beobachten.
Aus deutscher Sicht ist die Trump-Regierung kein Freund von erneuerbaren Energien. Hat die Branche genügend Unterstützung aus dem Weißen Haus? Oder haben die einzelnen Bundesstaaten am Ende das Sagen?
Dayney: Die Regierung bemüht sich, die Entwicklung von Großprojekten voranzutreiben und zu vereinfachen. Die jüngste Verlautbarung des BOEM (Bureau of Ocean Energy Management, die Red.) zu ihrem Zeitrahmen für kurzfristige Offshore-Windprojekte gibt der Industrie in einer wichtigen Phase mehr Planungssicherheit. Die Bundesstaaten haben einen enormen Einfluss darauf, die wirtschaftliche Aktivität voranzutreiben. Sie lernen voneinander und passen aufgrund dieser Erfahrungen ihre Prozesse an, zum Beispiel in puncto Regulierung. Es gibt Zusagen für Offshore-Anlagen in New York, New Jersey und Virginia. Diese Entscheidungen haben eine große Bedeutung für die Zulieferketten vor Ort. Und man darf auch nicht Massachusetts vergessen: Der niedrige Preis, den die Regierung für das Vineyard-Wind-Projekt 2017 festgesetzt hat, war eine große Überraschung.
Offshore-Wind in Kalifornien ist aus ökonomischer und politischer Perspektive ein Selbstläufer
Steve Dayney
Bleiben wir bei den Bundestaaten: Wo sehen Sie besonderes Potenzial für die Windindustrie?
Dayney: Die Staaten an der Ostküste von Maine bis North und South Carolinas haben alle gute Voraussetzungen – nicht nur vom geografischen Standpunkt aus, sondern auch basierend auf dem individuellen Engagement für erneuerbare Energien auf staatlicher Ebene. Auch an der Westküste kommt Schwung in die Angelegenheit. Offshore-Wind in Kalifornien ist aus ökonomischer und politischer Perspektive ein Selbstläufer. Aber es gibt noch kommerzielle, regulatorische und nutzungsrechtliche Hindernisse, die aus dem Weg geräumt werden müssen, bevor die Industrie sich wirklich erfolgreich entwickeln kann. Kalifornien hat eine sehr hohe Nachfrage nach erneuerbaren Energien, die vorzugsweise lokal generiert werden sollen. Einige Grundlastkraftwerke nahe den eng besiedelten Küstenregionen sollen abgeschaltet werden. Das schafft Raum für Offshore-Wind. Außerdem frischt der Wind auf See meist genau dann auf, wenn der Output von Solaranlagen nachlässt – dieses Profil der Energiegewinnung wäre für Kalifornien also enorm wertvoll. Es gibt noch Herausforderungen wie Leasing-Vereinbarungen; auch regulatorisch gibt es noch einiges zu tun. Aber die Industrie organisiert sich mittlerweile besser, um diese Hindernisse zu thematisieren.
Ist der späte Start vielleicht sogar ein Vorteil für die USA, weil die Industrie hier aus Fehlern in Europa lernen kann?
Dayney: Die Erfahrung mit Offshore-Wind in Europa kombiniert mit der hiesigen Erfahrung für Windenergie an Land ist jedenfalls ein sehr guter Ausgangspunkt. Eine wichtige Erkenntnis ist zum Beispiel, dass sich öffentliche oder öffentlich-private Investments in Hafeninfrastruktur mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung durchaus bezahlt machen und Jobs schaffen. Bundesstaatliche Behörden beginnen darüber nachzudenken, wie man ein solch langfristiges Projekt wie Hafeninfrastruktur amortisieren kann. Wir glauben, dass diese Staaten wirtschaftlich davon profitieren werden, dass sie Offshore-Wind in den USA den Weg bereiten.
Die aktuelle Regierung scheint vor allem an Öl und anderen fossilen Energiequellen interessiert. Wie steht die amerikanische Öffentlichkeit zu Offshore-Wind?
Dayney: Wir gehen davon aus, dass die Zustimmung der Öffentlichkeit für Offshore-Wind weiter steigen wird, wenn die Industrie Küstengemeinden revitalisiert und die regionale Wirtschaft befördert. Wir von Siemens Gamesa und unsere Partner engagieren sich dafür, den positiven Einfluss unserer Industrie zu maximieren.
Kennen Sie das Not-in-My-Backyard-Problem? Gerade in Deutschland stoßen Projekte zuweilen auf Widerstand, weil Anwohner keine Turbinen in ihrer unmittelbaren Umgebung wollen. Wie geht die US-Industrie dieses Thema an?
Dayney: Als Turbinenhersteller ist Siemens Gamesa nicht in die Planung der Projekte involviert. Wir ermuntern unsere Kunden jedoch, Projekte mit Best Practices zu entwickeln und die lokalen Teilnehmer bei jedem Schritt der Projektentwicklung mit einzubinden.
Die Fragen stellte Jasmin Lörchner.