Hohe Energiepreise

  • Search19.06.2022

Wie Erdgas den Strom verteuert

Wenn in Deutschland die Gaskraftwerke anspringen, klettern die Strompreise. Bei einem hohen Anteil von Wind- und Solarenergie dagegen purzeln sie: Ein Blick auf den Mechanismus der Strombörse.

InhaltsverzeichnisToggle-Icons

    Baustelle eines Gaskraftwerks in Leipzig: Wann immer in Deutschland Gas zur Stromerzeugung benötigt wird, steigen an der Strombörse die Preise.

    Baustelle eines Gaskraftwerks in Leipzig: Je höher der Anteil fossiler Quellen, desto höher der Strompreis.

     

    Von Volker Kühn

    Nicht nur Benzin, Diesel und Erdgas werden immer teurer, auch der Strompreis steigt. Zahlte ein Durchschnittshaushalt im vergangenen Jahr noch 32 Cent je Kilowattstunde für seinen Strom, sind es derzeit 37 Cent. Ein enormer Preissprung – den es ohne den russischen Überfall auf die Ukraine nicht gegeben hätte.

    Um das zu verstehen, muss man sich anschauen, wie sich der Strompreis zusammensetzt. Er besteht aus drei Teilen: dem Preis für die Strombeschaffung (Erzeugung und Vertrieb), den Steuern und Abgaben (Stromsteuer, EEG-Umlage und andere) und den Netzentgelten (für den Ausbau und Erhalt des Stromnetzes). Die ersten beiden Posten machen derzeit jeweils knapp 40 Prozent des Strompreises aus, die Netzentgelte etwas mehr als 20 Prozent.

    Zusammensetzung und Entwicklung des Strompreises in Deutschland von 2012 bis 2022: Aktuell zahlen Durchschnittshaushalte 37 Cent je Kilowattstunde. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Vor allem die Strombeschaffung hat sich zuletzt stark verteuert. Das wiederum hat mit dem Mechanismus zu tun, nach dem die Strombörse funktioniert. Dort werden drei Daten erfasst: erstens, wie viel Strom Deutschland am Folgetag benötigt, zweitens, wie viel Strom die verschiedenen Kraftwerke dann liefern können, und drittens, zu welchem Preis sie diesen Strom anbieten.

    Auf dieser Basis werden die günstigsten Kraftwerke zuerst herangezogen, um den Bedarf zu decken. Das sind grundsätzlich Windparks und Solarkraftwerke. Weil ihre Rohstoffe – Wind und Sonne – kostenlos zur Verfügung stehen, haben sie die niedrigsten Erzeugungskosten. Konventionelle Kraftwerke müssen ihre Rohstoffe – Kohle, Erdgas, Uran – dagegen erst beschaffen, in der Regel also auf dem Weltmarkt einkaufen.

    Reicht die Kapazität von Wind- und Sonnenenergie allein nicht aus, kommen die nächstteureren Stromquellen hinzu, und zwar derzeit in der Regel in folgender Reihenfolge: Erst kommt Atomenergie, dann Biomasse und Kohle. Als letztes folgt Erdgas, dessen Preis seit Kriegsbeginn drastisch gestiegen ist.

    Wenn Gaskraftwerke im Einsatz sind, steigen an der Strombörse die Preise

    Das Besondere an der Strombörse: Das letzte Kraftwerk, das gerade noch gebraucht wird, um den Bedarf zu decken, setzt den Preis für alle. Wann immer Gaskraftwerke zum Einsatz kommen, wird es folglich teuer. Denn auch die Betreiber aller anderen Kraftwerke erhalten dann den Preis für Strom aus Erdgas. An windigen und sonnigen Tagen, wenn die Erneuerbaren die Last fast allein tragen, purzeln die Preise an der Strombörse dagegen. Der schnelle Ausbau der Wind- und Solarenergie ist deshalb der beste Weg, um die Erzeugung des Stroms in Deutschland dauerhaft günstiger zu machen.

    Kurzfristig könnte noch ein anderes Instrument helfen, über das Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kürzlich in den „Tagesthemen“ gesprochen hat: Erdgas könnte in der Stromerzeugung vermehrt durch Kohle ersetzt werden. Es wäre eine mögliche Reaktion auf die Drosselung der Lieferungen aus Russland. Denn je weniger Erdgas in Kraftwerken verfeuert wird, desto mehr kann in die Gasspeicher fließen, um Deutschland für die Heizperiode im Winter zu rüsten. Der Schritt hätte den Nebeneffekt, dass der Strompreis entlastet würde.

    Zuletzt wurde allerdings nicht weniger, sondern sogar mehr Erdgas verstromt. Und das, obwohl es Alternativen gegeben hätte: „Die deutschen Braunkohlekraftwerke hätten im Mai mehr Strom liefern können, um teures Erdgas bei der Stromerzeugung einzusparen“, schreibt Bruno Burger vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme auf Twitter. Stattdessen sei so viel Erdgas in Kraftwerken verfeuert worden wie nie zuvor in einem Mai. Das übliche Modell zur Erklärung der Börsenpreise, nach dem die günstigsten Quellen zuerst zum Zuge kommen, griff in dieser Phase offensichtlich nicht.

    Der Ökostromanteil von 54 Prozent hat noch höhere Preise im Mai verhindert

    Die Preise hätten allerdings durchaus noch weiter klettern können, wenn der Anteil von Wind und Sonne im deutschen Strommix nicht so hoch gewesen wären. „Die erneuerbaren Energien hatten im Mai einen Anteil von 53,9 Prozent an der öffentlichen Nettostromerzeugung“, schreibt Burger. „Das ist ein sehr guter Wert. Die erneuerbaren Energien sind preisdämpfend.“

    Go Top