Wie viel Energie Windräder produzieren, hängt vom Wetter ab – das macht die Steuerung der Stromnetze komplizierter. Trotzdem kommt es fast nirgendwo so selten zu Blackouts wie in Deutschland.
Sicherheit der Stromversorgung
- 13.08.2019
„Energiewende hat keine negativen Folgen“
Die Bundesnetzagentur wacht darüber, dass in Deutschland zu jeder Zeit so viel Strom zur Verfügung steht, wie benötigt wird. Schon deshalb hat die dem Wirtschaftsministerium unterstellte Behörde eine Untersuchung der Vorfälle im Juni eingeleitet, als sich das Stromnetz an drei Tagen in einem kritischen Zustand befand. Ersten Erkenntnissen zufolge könnten Spekulationen an der Strombörse dafür verantwortlich gewesen sein.
Im Interview mit EnergieWinde erklärt Behördensprecher Fiete Wulff, wie die Bundesnetzagentur solche Situationen künftig verhindern will, warum trotzdem keine Gefahr von Blackouts bestand und weshalb die Versorgung auch dann noch sicher ist, wenn der Anteil von Ökostrom in den Netzen weiter steigt.
Herr Wulff, die Netzbetreiber haben von einer „sehr angespannten Lage“ in Bezug auf die Engpässe im Juni gesprochen. Was hat die Bundenetzagentur in dieser Situation unternommen?
Fiete Wulff: Die Bundesnetzagentur kann in solchen Augenblicken natürlich keine zusätzlichen Stromreserven bereitstellen. Die operative Versorgungssicherheit ist Aufgabe der Übertragungsnetzbetreiber. Und die haben alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen. Wir haben sofort damit begonnen, die Gründe für die Unterdeckung zu analysieren und teilen die Einschätzung der Netzbetreiber: Die Situation war angespannt. Wir sehen aber nicht, dass eine akute Gefahr für die Stromversorgung in Deutschland bestand.
Aber wie konnte es überhaupt dazukommen, dass zu wenig Strom zur Verfügung stand?
Wulff: Die Ursache der Unterdeckung ist noch nicht eindeutig geklärt. Ausgeschlossen werden kann aber ein Mangel an Erzeugungskapazität. Wir gehen davon aus, dass Händler ihre Bilanz nicht ausgeglichen haben. Sie haben Strom verkauft, ohne selbst Erzeugungskapazität oder einen Liefervertrag als Deckung zu besitzen. Und wenn der Händler seinen Bilanzkreis – so nennt sich das virtuelle Energiemengenkonto für den Stromeinkauf und -verbrauch – unausgeglichen lässt, müssen die Übertragungsnetzbetreiber die für den Notfall vorgehaltene Regelenergie zum Ausgleich einsetzen.
Worin genau liegt dabei der Vorteil der Händler?
Wulff: Der Händler spekuliert auf stark fallende Preise im Intraday-Handel – also darauf, dass es billiger ist, den Strom erst am Tag der Erfüllung [des Liefervertrags, die Red.] zu beschaffen. Diese Spekulationen scheinen nicht aufgegangen zu sein, woraufhin einige Händler statt teuren Strom nachzubeschaffen und die Verluste zu akzeptieren ihren Bilanzkreis unausgeglichen gelassen und ihr Problem zu den Netzbetreibern verschoben haben. Zu Lasten der Versorgungssicherheit.
In Deutschland wird genügend Strom produziert, meint Fiete Wulff, Sprecher der Bundesnetzagentur. Allerdings müsse das Netz dringend ausgebaut werden, um die Energie von den Erzeugungszentren im Norden in die Verbrauchszentren im Süden zu transportieren.
Wie wollen Sie verhindern, dass es auf diese Weise bald wieder zu Engpässen kommt?
Wulff: Zum einen haben die Netzbetreiber die Menge der Regelenergie ganz deutlich erhöht und können im Notfall entsprechend reagieren. Das war genau die richtige Reaktion, um das Risiko für die Versorgungssicherheit zu minimieren. Gleichzeitig haben wir analysiert, inwiefern strukturelle Dinge verändert werden müssen, um den offenbar vorhandenen falschen Anreizen zu begegnen.
Mit welchem Ergebnis?
Wulff: Wir haben konkrete Schritte eingeleitet. Zunächst weisen wir nochmal sehr deutlich darauf hin: wer seine Kosten zu Lasten der Versorgungssicherheit optimiert, der handelt rechtswidrig. Es gilt das Gebot, den Bilanzkreis auszugleichen! Und wer das nicht tut, muss damit rechnen, dass die Übertragungsnetzbetreiber, vertragliche Sanktionen ergreifen. Dies kann im äußersten Fall die Kündigung des Bilanzkreisvertrages sein. Darüber hinaus behält sich die Bundesnetzagentur vor, Aufsichtsmaßnahmen einzuleiten, wenn ein Verdacht auf bewusste Manipulation von Energieprognosen oder Arbitragegeschäfte auf den Ausgleichsenergiepreis besteht. Des Weiteren haben wir die Netzbetreiber aufgefordert, einen Reformvorschlag zur Berechnung des Ausgleichsenergiepreises vorzulegen. Dieser Preis soll Anreize zur Ausnutzung von Preisunterschieden beseitigen. Außerdem sollen künftig in Situationen, wie wir sie im Juni hatten, bestimmte Messwerte schneller an die Übertragungsnetzbetreiber übermittelt werden, damit eine beschleunigte Ursachenermittlung stattfinden kann.
Niemand darf ein Kraftwerk einfach abschalten. Es muss immer erst geprüft werden, was das für das Stromnetz und die Versorgungssicherheit bedeutet
Fiete Wulff, Bundesnetzagentur
Wenn solche Marktmechanismen bereits zu angespannten Lagen führen, wie will die Bundesnetzagentur vor dem Hintergrund der Energiewende und den geplanten Abschaltungen von Atom- und Kohlekraftwerken sicherstellen, dass es nicht doch irgendwann zu Blackouts kommt?
Wulff: In Deutschland wird nicht zu wenig Strom erzeugt. Aber wir haben ein Problem mit der regionalen Verteilung der Stromerzeugung. In Norddeutschland wird immer mehr Strom erzeugt, als dort verbraucht wird, in Süddeutschland ist das Bild umgekehrt. Dieses Problem lässt sich nur durch den Ausbau des Stromnetzes zwischen Nord- und Süddeutschland lösen. Deshalb halten wir den Stromnetzausbau für so zentral und treiben ihn entsprechend voran.
Unter welchen Gesichtspunkten genehmigt die Bundesnetzagentur die Abschaltung von Kohlekraftwerken?
Wulff: Niemand darf ein Kraftwerk einfach abschalten. Es muss immer erst geprüft werden, was das für das Stromnetz und die Versorgungssicherheit bedeutet. Entscheidend ist dabei, wo das Kraftwerk liegt. Deshalb analysieren die Netzbetreiber vor einer Abschaltung die netztechnische Situation und widersprechen, wenn eine Abschaltung die Systemsicherheit gefährden würde. So zuletzt zum Beispiel beim Heizkraftwerk Stuttgart Gaisburg. In so einem Fall überprüfen wir, ob wir die Abschaltung untersagen. Alle Kraftwerke, bei denen wir einen Weiterbetrieb angeordnet haben, liegen stromnetztechnisch im Süden Deutschlands. Die Abschaltung eines Kraftwerks birgt dort ein höheres Risiko für die Versorgungssicherheit.
Handel an der Energiebörse EEX in Leipzig: Vermutlich haben Spekulationen auf fallende Preise die angespannte Lage im Stromnetz ausgelöst. Die Bundesnetzagentur will dagegen vorgehen.
Der Netzausbau verläuft aber eher schleppend. Wäre es nicht einfacher auf dezentrale Stromerzeugungssysteme wie Windparks oder Biomassekraftwerke vor Ort zu setzen?
Wulff: Natürlich ist die dezentrale Stromerzeugung ein wichtiger Baustein für die Energiewende. Aber die Vorstellung, große Ballungsräume und Industriezentren komplett dezentral zu versorgen, ist mit den Realitäten kaum übereinzubringen. Ein Industrieland wie Deutschland wird ohne großtechnische Erzeugung und Verteilung nicht sicher mit Strom versorgt werden können. Eine dezentrale Stromversorgung bedeutet außerdem ja auch nicht zwingend, dass zu jedem Zeitpunkt im Jahr der Strom erzeugt wird, der auch verbraucht wird – selbst wenn die Rechnung im Jahresmittel aufgeht. Das heißt aber, dass es immer Momente geben kann, in denen man auf das Netz angewiesen ist. Zum Beispiel auch dann, wenn eine Anlage ausfällt. In solchen Momenten ist das europäische Verbundnetz isolierten lokalen Lösungen in puncto Versorgungssicherheit meilenweit überlegen.
Wird sich Deutschland jemals ausschließlich mit erneuerbaren Energien autark versorgen können?
Wulff: Die Versorgung aus erneuerbaren Energien ist möglich, auch für ein Industrieland wie Deutschland. Doch das geht nicht von heute auf morgen. Die Bundesregierung will den Anteil der erneuerbaren Energien bis 2030 auf etwa 65 Prozent erhöhen. Wir arbeiten hart daran, dass dieses Ziel erreicht werden kann. Gleichzeitig muss das hohe Niveau an Versorgungssicherheit gewährleistet bleiben. Der Ausbau der Erneuerbaren führt dazu, dass der Netzbetrieb einfach anspruchsvoller als noch vor 20 Jahren ist. Das sehen wir daran, dass die Netzbetreiber sehr viel häufiger eingreifen, um das Stromnetz stabil zu halten.
Die Energiewende und der steigende Anteil dezentraler Erzeugungsleistung haben keine negativen Folgen für die Versorgungsqualität
Fiete Wulff, Bundesnetzagentur
Wie stabil ist das deutsche Stromnetz im europäischen Vergleich?
Wulff: Die Bundesnetzagentur veröffentlicht jährlich Zahlen zu Unterbrechungen der Stromversorgung. Zuletzt lag die durchschnittliche Unterbrechungsdauer je Letztverbraucher in der Nieder- und Mittelspannung bei rund 15 Minuten. Im europäischen und internationalen Vergleich ist das ein Spitzenwert. Und wir sehen ganz deutlich: Die Energiewende und der steigende Anteil dezentraler Erzeugungsleistung haben keine negativen Folgen für die Versorgungsqualität.
Erzeuger bekommen auch Strom vergütet, der über den Bedarf hinaus produziert, aber nicht verbraucht wird – also sozusagen ungenutzt verpufft. Müsste man als Bundesnetzagentur nicht Anreize schaffen, damit die Branche in bessere Speichersysteme investiert?
Wulff: Das schöne Wort „Anreize“ umschreibt im Kern immer, dass „mein Projekt“ von jemand anderem bezahlt wird. Oft dem Netznutzer, sprich dem Stromverbraucher. Natürlich kann es im Sinne der Energiewende richtig sein, bestimmte Technologien besonders zu fördern. Allerdings entscheidet dabei zum Schluss immer der Staat, welche Technologie förderwürdig ist, und es gibt einfach viele Beispiele, bei denen sich eine solche Steuerung hinterher als falsch erwiesen hat. Die Bundesnetzagentur ist ja vor allem auch eine Wettbewerbsbehörde und wir glauben im Kern, dass diejenige Technologie recht hat, die sich im Wettbewerb behaupten kann.
Die Fragen stellte Kathinka Burkhardt.