Künstliche Insel: Wie in dieser Visualisierung von Tennet könnte das Eiland aussehen, das der niederländische Stromnetzbetreiber auf der Doggerbank in der Nordsee plant. In der Region ist das Wasser stellenweise nur wenige Meter tief.
Stromverteilkreuz in der Nordsee
- 09.03.2017
Cobra, übernehmen Sie!
Von Steven Hanke
Eine Seeschlange hat sich auf den Weg gemacht quer durch die deutsche Nordsee, auf Tuchfühlung zu den dortigen Windparks. Der Baubeginn für die 325 Kilometer lange Stromleitung Cobracable zwischen Eemshaven in den Niederlanden und dem dänischen Esbjerg Anfang dieses Jahres markiert eine Zäsur. Ursprünglich nur für den grenzüberschreitenden Stromtransport ausgelegt, könnte die Leitung unterwegs über einen Abzweig Strom aus einem Windpark aufnehmen.
Damit rückt eine technische Lösung für gleich mehrere Probleme der Energiewende in Europa in greifbare Nähe: Das Kabel könnte die Kosten für den Anschluss von Offshore-Windparks ans Stromnetz senken. Und es würde das Zusammenwachsen der europäischen Stromnetze beschleunigen – eine entscheidende Voraussetzung für den Ausgleich der schwankenden Produktion erneuerbarer Energien über Ländergrenzen hinweg.
Möglich wird das durch den Einsatz einer neuen Gleichstromtechnik von Siemens, den sogenannten spannungsgeführten Stromrichter, VSC abgekürzt. Der Konverter wurde in Deutschland bereits bei einigen Netzanschlüssen für Nordsee-Windparks eingesetzt, die noch als Punkt-zu-Punkt-Verbindung mit dem Stromnetz auf dem Festland konzipiert sind. Bei allen weiteren Projekten in der Zukunft ist er als Standard festgelegt.
Dank VSC ließen sich technisch gesehen die meisten deutschen Nordsee-Windparks an das neue Cobra-Kabel anschließen, bestätigte ein Sprecher des zuständigen Übertragungsnetzbetreibers Tennet gegenüber Energie-Winde. Die bevorzugte Trasse für das grenzübergreifende Kabel, das 2019 in Betrieb gehen soll, verläuft parallel und nur wenige Hundert Meter entfernt von der Leitung für die Konverterstation Borwin 3. Das ist quasi eine gigantische Steckdose, eine geplante Stromsammelstelle vor der Nordseeinsel Borkum für mehrere Windparks. Deren Strom könnte also irgendwann nicht nur an der deutschen Küste landen, sondern auch in den Niederlanden und Dänemark.
Bevor der Strom in alle Richtungen fließt, müssen sich die EU-Länder einigen
Allerdings gibt es laut Tennet momentan keine konkreten Pläne für eine solche Verkuppelung, der deutsche Offshore-Netzentwicklungsplan sieht das noch nicht vor. Bis es einmal so weit ist, sind neben den technischen vor allem politische und regulatorische Fragen zu klären.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen ist die Harmonisierung der nationalen Fördersysteme für den Ökostrom. Schließlich fließt der Strom aus einem Windpark auf See durch das Netz in alle Richtungen, und es ist folglich offen, nach welchem System er vergütet werden soll. Die Staaten gewähren zum Teil sehr unterschiedliche Subventionen. Außerdem genießt Ökostrom längst nicht in allen Ländern Einspeisevorrang wie in Deutschland. Um den Windparkbetreibern Planungssicherheit zu geben, müsste man die jeweiligen nationalen Regeln angleichen.
Punkt-zu-Punkt-Anschluss: Bislang sind die Offshore-Windparks in der Nordsee über solche Konverterstationen separat mit dem Festlandsnetz verbunden. Mithilfe einer neuen Technologie von Siemens ließen sie sich auch an länderübergreifende Kabel anschließen.
Doch die EU-Kommission unternimmt bislang wenig Anstrengungen zur Harmonisierung, ihr aktuelles Winterpaket mit Gesetzesvorschlägen zur Energiepolitik nach 2020 enthält kaum Rahmenvorgaben zur Ausgestaltung der Fördersysteme, geschweige denn schlägt sie ein Common Rulebook vor.
Um die Rahmenbedingungen zu verbessern, schlossen sich 2010 zehn Länder um die Nordsee-Anrainer zur North Seas Countries Offshore Grid Initiative zusammen. Im Juni 2016 bekräftigten sie in einer gemeinsamen Erklärung auf Anstoß der niederländischen EU-Ratspräsidentschaft ihre Absicht. Ein erster Schritt zur Zusammenarbeit ist, dass die EU-Staaten 2015 einem gemeinsamen technischen Regelwerk für Gleichstromleitungen zustimmten, eine wichtige Bedingung für das Nordseenetz. Darüber hinaus erarbeiten in dem neuen EU-Forschungsprojekt „Promotion“ 34 Partner aus elf Ländern bis 2019 eine Roadmap zur Errichtung des Nordseenetzes inklusive der Windenergie.
Das Pendant dazu für den Ostsee-Raum ist das EU-Projekt Baltic Integrid. In dem Rahmen sind Machbarkeitsstudien für zwei bis drei Offshore-Netzverbindungen geplant.
Werden Nordsee-Windparks Teil des internationalen Netzes, steigt die Auslastung
Die Vorteile eines solchen integrierten Gesamtsystems werden deutlich, wenn man sich die bisherige Einzelanbindung von Offshore-Windparks anschaut. Die Kabel sind in der Regel nur maximal zur Hälfte ausgelastet, weil der Wind selbst auf dem Meer nicht konstant genug bläst. In ein Netz und den Stromhandel eingespannt würde die Auslastung hingegen auf 100 Prozent steigen. Die zusätzlichen Erlöse aus dem Handel würden die Mehrkosten überkompensieren, versprechen die Befürworter.
Wie das in der Praxis aussehen könnte, veranschaulichten die Forscher des Öko-Instituts anhand einer möglichen Verlängerung des geplanten deutschen Netzanschlusssystems Sylwin 2 vor der Insel Sylt um gut 400 Kilometer nach Norwegen. Das Ergebnis wären demnach Mehrerlöse von 65 Millionen Euro pro Jahr. Europaweit sind laut Studien der EU-Kommission Milliardengewinne möglich.
Umrichterstation im schleswig-holsteinischen Büttel: Hier werden baugleiche Module eingesetzt, die Siemens auch für die Stromrichteranlagen beim Cobra-Kabel verwendet.
Angesichts der Vorteile drängt auch die deutsche Genehmigungsbehörde BSH auf eine Verbindung von Windparks und Offshore-Netz. „Wenn technisch machbar und im Sinne der Effizienz sinnvoll, sollen grenzüberschreitende Stromleitungen auch in die Netzplanung zur Anbindung der Offshore-Windenergie einbezogen werden“, so das BSH. Damit bestehe die Möglichkeit, die Gesamtzahl der Kabelsysteme zu senken. Die Planer der sogenannten Interkonnektoren müssen im Zulassungsverfahren darlegen, ob und inwieweit Windparks daran angeschlossen werden können.
Tennet will eine Insel in der Nordsee bauen: als Drehkreuz für Offshore-Strom
Eine andere, aber sehr ambitionierte Version vom Offshore-Grid hat Tennet im Juni entworfen. Der Netzbetreiber hat die Vision, zwischen 2030 und 2050 inmitten der Nordsee eine oder mehrere künstliche Inseln mit jeweils sechs Quadratkilometern Fläche aufzuschütten. In deren Umfeld ließen sich Windparks mit bis zu 100.000 Megawatt Gesamtleistung errichten, die so weit draußen deutlich mehr Strom erzeugen und über relativ kurze, kostengünstigere Wechselstromkabel mit dem Eiland verbunden wären. Von der Insel verliefen dann speichenförmig die langen Gleichstromkabel in die Anrainerstaaten; sie sollen gleichzeitig als Interkonnektoren zwischen den Energiemärkten dienen.
Tennet hat eine Videoanimation, veröffentlicht, die ein fast kreisrundes Eiland inmitten ausgedehnter Windparks zeigt. Die Insel verfügt über einen geschützten Hafen, eine Start- und Landebahn sowie Wohn- und Arbeitsgebäude.
Als Standort bringt Tennet die Untiefe Doggerbank im Dreiländereck Deutschland, Norwegen und Großbritannien ins Gespräch. Dort bereitet das Konsortium Forewind von RWE (Deutschland), Statoil (Norwegen) und SSE (Großbritannien) bereits seit 2008 Windkraftprojekte mit zusammen 7200 Megawatt Leistung vor. Tennet erwägt zudem konkret, nach 2025 die Offshore-Windgebiete Ijmuiden Ver in den Niederlanden und „East Anglia“ in Großbritannien über einen Interkonnektor zu koppeln. Am 23. März wird Tennet mit Energinet.dk ein Konsortium gründen, um ihre Insel-Vision in die Tat umzusetzen. Gespräche mit weiteren potenziellen Partnern laufen.
Auch in der Ostsee sollen sich Windparks zum Bindeglied zwischen den nationalen Strommärkten entwickeln. Die Verknüpfung ist dort weit weniger anspruchsvoll, weil sämtliche Stromleitungen auf der Wechselstromtechnik basieren. Ende 2018 soll die Combined Grid Solution in Betrieb gehen, eine Strombrücke über die Umspannwerke der Windparks Baltic II von EnBW und Kriegers Flak von Vattenfall auf deutscher beziehungsweise dänischer Seite. Sie sind nur rund 30 Kilometer voneinander entfernt. Ursprünglich war ein Triangel mit den Schweden geplant, doch die verabschiedeten sich von dem Vorhaben. Offen ist dabei die Frage der Harmonisierung der Vergütungsregeln, wobei Deutschland und Dänemark derzeit an der gegenseitigen Öffnung ihrer Fördersysteme arbeiten.