Einflussnahme in der Energiepolitik
- 20.03.2017
Lobbyrepublik Deutschland
Von Julia Müller
Nach monatelangem Gezerre innerhalb der Bundesregierung wähnte sich Umweltministerin Barbara Hendricks im vergangenen Herbst endlich am Ziel: Gerade noch rechtzeitig vor dem UN-Klimagipfel in Marrakesch präsentierte sie einen Entwurf für den Klimaschutzplan 2050. Das Papier legte einen Fahrplan für die Umsetzung der ambitionierten Beschlüsse des Pariser Klimagipfels in Deutschland fest. Bis Mitte des Jahrhunderts sollte das Land zu einer nahezu emissionsfreien Gesellschaft umgebaut werden.
Doch das Papier, mit dem Hendricks wenig später nach Marrakesch flog, war von ihrem Entwurf weit entfernt. Vor allem Umweltschützer empfanden es als Enttäuschung. Zu groß seien die Zugeständnisse an die Industrie, insbesondere an die Braunkohlekonzerne. Denn Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel waren Hendricks im letzten Moment in die Parade gefahren und ließen den Plan umarbeiten. Zu viele Arbeitsplätze seien in Gefahr, hieß es.
Der Klimaschutzplan ist damit ein Musterbeispiel für den Einfluss, den Interessengruppen wie Wirtschaftsverbände auf den Gesetzgebungsprozess ausüben – und dafür, wie das politische Alltagsgeschäft in Deutschland funktioniert.
Barbara Hendricks in Marrakesch: Der Klimaschutzplan, den die Umweltministerin auf dem UN-Klimagipfel präsentieren konnte, war von ihrem ersten Entwurf weit entfernt.
Vorausgegangen waren nicht nur Diskussionen innerhalb der Regierungsparteien. Auch Lobbyisten aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen hatten sich auf den Klimaschutzplan gestürzt. Manche unterstützen ihn, andere forderten mehr Engagement, wieder andere lehnten ihn ab.
Der Austausch mit solchen Interessenvertretern von Verbänden, Vereinen und Nichtregierungsorganisationen gehört für Parlamentarier zum Tagesgeschäft. „In Deutschland sitzen beide Seiten, Staat und Verbände, in vielen Gremien und Institutionen von vorneherein an einem Tisch“, erklärt der Politikwissenschaftler und Lobbyismusxperte Thomas von Winter.
Interessenvertreter haben ihre Berechtigung: Die Politik braucht ihr Spezialwissen
Bei Gesetzesvorbereitungen regelt die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien diesen Austausch explizit. In Paragraph 47 heißt es, ein Gesetzentwurf sei kommunalen Spitzenverbänden möglichst frühzeitig zuzuleiten, wenn ihre Belange berührt sind. Es geht darum, Spezialwissen einzuholen, widerstreitende Interessen zu hören, Argumente abzuwägen. Abgeordnete, so der zugrundeliegende Gedanke, können nicht alles wissen und sind darauf angewiesen zu erfahren, was bestimmte Gruppen zu einem Thema zu sagen haben. Im Idealfall repräsentieren die verschiedenen Verbände und Interessenvertreter die gesellschaftliche Vielfalt.
300
Verbände hat das Bundesumweltministerium zu einer Anhörung über den Klimaschutzplan eingeladen
Zwar handelte es sich bei dem Entwurf des Klimaschutzplans nicht um ein Gesetz, dennoch lud das Bundesumweltministerium die betroffenen Verbände – es waren rund 300 – am 27. September 2016 zu einer Anhörung in Berlin ein. Es wurde viel diskutiert, im Anschluss konnten die Lobbygruppen eine Stellungnahme zu dem Entwurf abgeben.
Beide Seiten haben Lobbys: fossile Energien ebenso wie die Ökostrombranche
120 solcher Positionspapiere gingen ein. Sie alle sind online auf der Seite des Ministeriums abrufbar und zeigen, welche Lobbygruppen maßgeblich im Energiesektor aktiv sind und welche Interessen sie durchzusetzen versuchen.
Ein Überblick:
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) vertritt die Interessen von rund 1800 Unternehmen und gilt als oberste Energielobby. Zu den Mitgliedern zählen neben Stadtwerken und Regionalversorgern auch die großen Energiekonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall. Kritiker bemängeln, dass es dem BDEW in seiner Lobbyarbeit hauptsächlich darum gehe, die Interessen dieser großen Player zu wahren. Die Ziele des Klimaschutzplans 2050 begrüßte der Verband grundsätzlich. In seiner Stellungnahme kritisierte er jedoch, der Entwurf sei „vom Gedanken geprägt, wann aus welcher Technologie auszusteigen ist“. Man forderte mehr Wettbewerb und Technologieoffenheit.
Wörtlich hieß es in der Stellungnahme: „Nicht nur aus Gründen der Versorgungssicherheit werden fossile Energieträger im Strombereich in einer langen Übergangszeit eine wichtige Rolle spielen. Dies sollte im Klimaschutzplan unter Hinweis auf die Versorgungssicherheit auch ausdrücklich so anerkannt werden.“
Angela Merkel und ihr damaliger Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel haben den Klimaschutzplan 2050 zurechtgestutzt – nicht zuletzt auf Druck des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), vor dem die Kanzlerin 2013 sprach.
Hauptgeschäftsführer des BDEW ist Stefan Kapferer. Der FDP-Politiker war zuvor unter anderem Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und Vorsitzender der Deutschen Energie Agentur (Dena). Die im Jahr 2000 gegründete Kommunikationsagentur kümmert sich beispielsweise um Projekte und Kampagnen zum Thema Energieeffizienz. Gesellschafter sind neben der Bundesrepublik Deutschland die KfW Bankengruppe, die Allianz, die Deutsche Bank und die DZ Bank.
Ähnlich wie der BDEW kritisierte die Dena in einer Stellungnahme, dass der Klimaschutzplan 2050 den Grundsätzen der „Technologieneutralität und Innovationsoffenheit längst nicht an allen Stellen gerecht“ werde. Gleichzeitig wies man darauf hin, dass die deutsche Wirtschaft durch den Klimaschutzplan keine Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Ländern erfahren dürfe.
Den etablierten Unternehmen am Energiemarkt und ihrem Dachverband steht der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) gegenüber. Er vertritt die Interessen von 42 Verbänden und Unternehmen, etwa dem Bundesverband Wind Energie (BWE) und dem Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar). Langfristig verfolgt der Dachverband das Ziel, die Vollversorgung Deutschlands mit erneuerbaren Energien zu erreichen.
Vom Entwurf des Klimaschutzplans 2050 zeigte man sich enttäuscht: „Der BEE nimmt ernüchtert zu Kenntnis, dass bereits in der Vorabstimmung des Entwurfes substanzielle und folgerichtige Vorschläge aus dem ursprünglichen Entwurf wieder entfernt wurden.“ Dazu zählte der Verband zum Beispiel Zieldaten für den Ausstieg aus der Kohlenutzung oder für den Förderstopp fossil befeuerter Heizungen. Zudem hielt man die Ausbauziele der Erneuerbaren in allen Sektoren für zu gering und forderte den Abbau umweltschädlicher Subventionen sowie die Förderung klimafreundlicher Investitionen.
Stefan Kapferer ist seit Mai 2016 Hauptgeschäftsführer des BDEW. Der FDP-Politiker vertritt damit die Interessen der mächtigsten Energielobby in Deutschland. Kritiker halten ihr vor, dabei zu sehr auf die Großkonzerne zu achten.
Ähnlich wie der BDEW unterhält auch der Bundesverband Erneuerbare Energien eine eigene Kommunikationsagentur: Die Agentur für erneuerbare Energien (AEE) setzt sich laut Selbstbeschreibung für die Energiewende mit Berücksichtigung aller Energieträger und Sparten ein. Als Partner werden neben dem BEE das Wirtschafts- und das Landwirtschaftsministerium sowie kleinere Fachverbände genannt. Den Klimaschutzplan 2050 hat die Agentur nicht offiziell kommentiert.
Als Spitzenverband der Unternehmerschaft gab auch der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) eine Stellungnahme zum Klimaschutzplan 2050 ab. Seine wichtigste Forderung: Die bestehenden Klimaschutzziele nicht zu verschärfen. Das Papier des BDI ging im Detail auf Formulierungen des Klimaschutzplans ein. In dem Entwurf des Ministeriums hieß es beispielsweise: „Die Energieerzeugung muss spätestens bis 2050 nahezu vollständig C02-neutral erfolgen“.“ Den Satz, schlug der BDI vor, solle man streichen.
Diesem Vorschlag schloss sich auch der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) an. Der VIK vertritt die Interessen industrieller und gewerblicher Energiekunden in Deutschland. Zu den Mitgliedern zählen vor allem Unternehmen aus energieintensiven Branchen wie der Stahl-, Chemie- oder Zementindustrie. Der VIK kritisierte außerdem, dass die konkrete Einbeziehung von Kosten und das Thema Versorgungssicherheit in dem Entwurfe nicht genügend berücksichtigt werde.
Dem Lager der Industrievertreter stehen Umweltorganisationen wie der Naturschutzbund, Greenpeace, WWF oder die Deutsche Umwelthilfe gegenüber. Auch sie äußern sich regelmäßig zu Fragen der Energiepolitik. Zum Klimaschutzplan 2050 nahmen sie gemeinsam mit mehr als 100 anderen Umweltorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften und Verbraucherschutzverbänden als Klima-Allianz Deutschland Stellung.
Das Bündnis forderte klare gesetzliche Rahmenbedingungen und konkrete Zielvorgaben für den Klimaschutz, die der derzeitige Entwurf nicht erfülle. Weiter hieß es: „Nach den deutlichen Veränderungen durch Bundeswirtschaftsministerium und Bundeskanzleramt sind weitere Abschwächungen durch die laufende Ressortabstimmung zu befürchten. Damit wird der breit angelegte Beteiligungsprozess, den wir sehr begrüßt haben, ad absurdum geführt.“
Mit einem Essen vor dem Reichstag versuchte die Klima-Allianz Deutschland die Bundesregierung zu mehr Engagement beim Klimaschutzplan zu bewegen. Zu dem Bündnis gehören Organisationen wie der Naturschutzbund, Greenpeace, WWF oder die Deutsche Umwelthilfe.
Auch Vegetarier und Architekten nehmen Stellung zum Klimaschutzplan
Unter den 120 eingereichten Positionspapieren fanden sich neben den hier aufgezählten auch Anmerkungen des Deutschen Olympischen Sportbundes, des Vegetarierbundes oder der Bundesarchitektenkammer. Die Stellungnahmen aller Lobbygruppen wurden, so heißt es von Seiten des Ministeriums, bei der Erstellung des konsolidierten Entwurfs berücksichtigt.
Der Plan, auf den sich die Regierung schließlich einigte, wird als Zugeständnis an die Industrie gewertet. Bis 2030 darf sie nun 140 bis 143 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausstoßen, rund 10 Millionen Tonnen mehr als ursprünglich vorgesehen. Zusätzlich hat der Wirtschaftsminister einen Kompromiss bei der Kohleenergie durchgesetzt.
Am Ende entscheidet der Bundestag über neue Gesetze. Die unterschiedlichsten Interessengruppen nehmen Einfluss darauf. Manchmal können sich einzlene durchsetzen, manchmal halten sie sich gegenseitig die Waage.
Ein Erfolg für die industrienahen – und finanzstarken – Lobbygruppen? Der Wissenschaftler Thomas von Winter warnt vor zu schnellen Schlussfolgerungen: „Die politischen Entscheidungsprozesse, auf die Lobbyisten einzuwirken versuchen, sind äußerst komplex. Wer sie verstehen will, muss sie jeweils einzeln und im Detail analysieren“, erklärt er. Gleichzeitig hält er es für wichtig, über Erfolge von starken Lobbygruppen kritisch zu berichten.
Von Winter weist auch darauf hin, dass sich die Erscheinungsweisen von Lobbyismus gewandelt haben. Neben Verbänden und Umweltbewegungen haben sich weitere Akteure etabliert: Einzelne Unternehmen beschäftigen inzwischen oft eigene Lobbyisten oder beauftragen spezialisierte Kanzleien und Consultingfirmen damit. Organisationen wie Transparency International und Lobby Control, aber auch Politiker wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow warnen deshalb davor, dass der Lobbydschungel in Berlin immer dichter und undurchsichtiger werde.