Wenn Windräder gebaut werden sollen, tragen Befürworter und Gegner ihren Streit fast immer auch im Internet aus.
Aktivisten für und gegen Energiewende
- 24.03.2017
Klimagefechte im Netz
Von Julia Müller
Wenn Benjamin Borgerding über seine Arbeit spricht, klingt es, als plane er einen Feldzug. Der Web-Campaigner von Greenpeace tüftelt Strategien aus, um die Themen der Umweltorganisation im Internet zu verbreiten. Es geht darum, Anhänger zu mobilisieren und die Gegenseite anzugreifen. „Wir überlegen uns genau, auf welchen Kampagnengegner wir wie Druck ausüben können“, erklärt er.
Ein Beispiel: 2009 legte sich Greenpeace mit RWE an. Die Aktivisten persiflierten einen bekannten Werbespot des Energiekonzerns. Adbusting nennen Strategen wie Borgerding solche Verfremdungen von Werbung, die sich in sozialen Netzwerken schnell verbreiten und enorme Aufmerksamkeit schaffen. Verbunden sind derartige Aktionen oft mit einer Petition, die per Mausklick unterzeichnet werden kann.
Das Beispiel zeigt, was für eine mächtige Waffe soziale Medien sein können, um die Deutungshoheit über ein Thema zu gewinnen. Ihren Kampf um Klicks, Likes und Shares fechten die Vertreter der unterschiedlichsten Gruppierungen in praktisch allen Politikfeldern immer entschlossener aus.
Wie Greenpeace nutzen auch andere Befürworter der Energiewende das Internet. Die Kritiker sind nicht weniger aktiv. Die Bandbreite reicht von Aktivisten über Blogger bis hin zu Journalisten, die für Infoportale schreiben, von denen manche neutral, andere eher interessegeleitet sind – wobei sie das nicht immer deutlich machen.
Auch EnergieWinde ist ein von Fachjournalisten gepflegtes Infoportal. Es steht dem Ausbau erneuerbarer Energien grundsätzlich positiv gegenüber – die Redaktion bemüht sich aber um größtmögliche Objektivität und beleuchtet auch Fehlentwicklungen der Energiewende. (Mehr zum Selbstverständnis von EnergieWinde lesen Sie auf der Startseite.)
Benjamin Borgerding ist Web-Campaigner von Greenpeace. Er mobilisiert die eigene Anhängerschaft im Internet und plant Attacken auf die Gegenseite in Wirtschaft und Politik.
Um die Aufmerksamkeit im Netz wird oft mit harten Bandagen gekämpft. Wenn Greenpeace etwa gezielt die Markenkommunikation von Unternehmen in den sozialen Netzwerken stört, kann das durchaus in einen Shitstorm münden. Auch mit Politikern gehen die Umweltaktivisten online auf Konfrontationskurs, etwa durch Nachrichten auf Twitter.
Soziale Medien könnten die Diskussion voranbringen. Doch das klappt selten
Melden sich kritische Stimmen auf der eigenen Facebookseite, bemühe man sich aber stets um Freundlichkeit, sagt Greenpeace-Stratege Borgerding. Doch die Fronten seinen verhärtet: „Sachliche Diskussionen können dann schwierig werden.“
Diese Erfahrung hat auch Kilian Rüfer gemacht. Er ist Vorsitzender des Vereins Energieblogger, einer Plattform von 19 Bloggern, die sich für eine bürgernahe Energiewende einsetzen. Mit „guten Argumenten, Fakten und Beispielen aus der Praxis“, so heißt es auf ihrer Website, wollen sie die Energiewende mit Leben füllen.
Die sozialen Medien verleiten dazu, grob zu werden und sich die Argumente gegenseitig um die Ohren zu hauen
Kilian Rüfer, Energieblogger
Die Blogger verstehen sich auch als Gegenpol zu den etablierten Medien. „Journalisten haben oft wenig Zeit und der Einfluss von PR ist groß“, sagt Rüfer. „Manchmal hat man den Eindruck, dass bestimmte Argumentationen übernommen oder Aspekte übersehen werden.“ Der Zusammenschluss sei ein bunter Haufen. Einige Blogger verfolgen einen eher aktivistischen Ansatz und verfassen durchaus polemische Texte, andere arbeiten journalistischer. „Aber keiner von uns versteckt seine Meinung hinter einer scheinbaren Objektivität.“
„Informationen über Windenergie, die Sie bei den Windwahsinnigen nicht finden“
Polemik kennen auch die Gegner der Energiewende. Eine bekannte Kritikerin von Windkraftanalgen ist Jutta Reichardt. Sie gründete 2009 den Verein Gegenwind Schleswig-Holstein und betreibt das Portal Windwahn. In einer Selbstbeschreibung heißt es: „Hier finden Sie Informationen über Windenergie, die Sie bei den Windwahsinnigen nicht finden.“
Auf der Seite wird zur Unterzeichnung von Onlinepetition aufgerufen, Reichardt und andere Autoren schreiben über eine vermeintliche „Ökodiktatur“, prangern mangelnden Naturschutz an und erläutern Krankheitsbilder, die mit Windkraftanlagen in Verbindung stehen sollen. Eine der E-Cards, die sich von der Seite aus verschicken lassen, zeigt das Foto eines Windparks mit dem Schriftzug „Wind KZ – Wind Konzentrationszone“.
Die Betreiber der Website Windwahn verstehen sich als Kämpfer gegen eine „Ökodiktatur“ und die „absurden Auswüchse des Klimaschutzes“. Gegründet wurde das Portal 2009 von Jutta Reichardt in Schleswig-Holstein.
Als eine Art Wachhund versteht sich auf der Seite der Energiewende-Befürworter der Klima-Lügendetektor. Entsprechend bissig kommentieren die Macher des Watch-Blogs alles, was sie wütend macht. Etwa, wenn Unternehmen „Grünfärberei“ betreiben und sich zu Unrecht als Klimaschützer präsentieren oder wenn Politiker die Argumente von Industrielobbyisten kritiklos übernehmen.
Zielscheibe ihrer zugespitzten Blogeinträge sind unter anderem Konzerne wie Vattenfall und RWE, aber auch die Politik. Gegründet wurde der Lügendetektor 2008 von zwei Journalisten: Nick Reimer arbeitete lange als Wirtschaftsredakteur für die „Taz“, Toralf Staud war Politikredakteur der „Zeit“. Gemeinsam betreiben sie außerdem das Internetportal Klimaretter.info. Dort schreiben sie über die Klimaerhitzung und die Energiewende. 2016 wurden sie mit dem Umwelt-Medienpreis der Deutschen Umwelthilfe ausgezeichnet.
Die Debatte ist hoch emotional. Umso wichtiger ist eine Versachlichung
Hinter gleich mehreren Info-Portalen, die sich für die Energiewende stark machen, steht die Stiftung Mercator, gegründet von der am Metro-Konzern beteiligten Duisburger Handelsfamilie Schmidt-Ruthenbeck. Eines ihrer bekanntesten Projekte ist die Denkfabrik Agora Energiewende. Zusammen mit der European Climate Foundation betreibt sie daneben Clean Energy Wire, ein Informationsangebot auf Englisch, das sich vor allem an ausländische Journalisten richtet, die sie „mit seriösen Informationen zur Energiewende“ versorgen möchte, wie es auf der Website heißt.
Clean Energy Wire ist ein englischsprachiges Infoportal, das sich vor allem an Journalisten im Ausland wendet, um ihnen die deutsche Energiewende zu erklären.
Die Organisation sieht sich jedoch nicht als Lobbygruppe. „Wir debattieren nicht darüber, ob es den Klimawandel gibt und ob wir etwas dagegen unternehmen müssen. Das ist ein Faktum“, erläutert der Chefredakteur Sven Egenter. „Ob aber das, was zu tun ist, so aussehen sollte, wie die Bundesregierung sich das vorstellt, oder so, wie Greenpeace meint, das wollen wir nicht bewerten.“ Vielmehr sehe er seine Aufgabe darin, die Diskussionsbasis zu verbessern.
Egenter verantwortet neben Clean Energy Wire auch das deutschsprachige Portal Klimafakten.de. Ziel der Seite ist es, komplexe Ergebnisse der Klimaforschung allgemein verständlich aufzubereiten und sich auch mit kritischen Einwänden auseinanderzusetzen. Dabei gelten nach eigenen Angaben hohe Ansprüche an Zuverlässigkeit und Korrektheit.
Kritiker der Energiewende bringen ihren Protest oft lautstark auf die Straße wie hier bei einer Demonstration gegen Windkraft in Hessen. Mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit bringen Aktionen im Internet. Beide Mittel nutzen auch Befürworter der Energiewende.
In den redaktionellen Leitlinien wird darauf hingewiesen, dass jeder veröffentlichte Text geprüft wird – von zwei Redakteuren sowie mindestens einem Wissenschaftler, der auf dem jeweiligen Themenfeld über anerkannte Fachexpertise verfügt. Unterstützt wird ihre Arbeit auch von einem wissenschaftlichen Beirat.
Ob der Anspruch immer eingehalten wird, lässt sich von außen schwer beurteilen. Auf alle Fälle ist er ein seltener Versuch der Versachlichung des oft viel zu emotionalen Schlagabtauschs über die Energiewende im Internet.