Pionierarbeit in der Nordsee: Der Bau des Umspannwerks im Offshore-Windpark Alpha Ventus 2008.
Zehn Jahre Offshore-Wind in Deutschland
- 05.04.2019
Eine Branche wird erwachsen
Irina Lucke ist eine exzellente Kennerin der Offshore-Windenergie. Sie war schon beim Aufbau des ersten deutschen Hochsee-Windparks Alpha Ventus dabei, der 2010 weit draußen vor der Küste Borkums in Betrieb ging. Heute ist sie Geschäftsführerin von EWE Offshore Service & Solution und Vorstandschefin der Windenergie-Agentur WAB. EnergieWinde sprach mit ihr über die Evolution der Branche.
Frau Lucke, als Sie vor mehr als zehn Jahren Alpha Ventus mitaufbauten, gab es zahlreiche Probleme. Wo steht die Branche heute?
Irina Lucke: Die Offshore-Windkraft hat sich zur totalen Erfolgsgeschichte entwickelt. Die Preise sinken ständig. Wir gehen ins immer tiefere Wasser. Wir werden immer globaler. Die Logistik wird stetig besser und immer geschickter. Die Anlagen werden zudem ständig größer. Kurzum: Die Branche wird erwachsen.
Wie war es damals für Sie, beim Bau der weltweit ersten richtigen Offshore-Windfarm dabei zu sein? In Wassertiefen von bis zu 30 Metern hatte sich vorher noch niemand gewagt.
Lucke: Das war extrem spannend: Von einem Stück weißen Papier mit einer Idee darauf, bis zum fertigen Offshore-Windpark. Viele sagten uns damals: „Das schafft ihr nie.“ Wir haben genau das Gegenteil bewiesen.
„Wir waren alle Quereinsteiger“: Irina Lucke führt die Offshore-Wind-Aktivitäten des Oldenburger Energieversorgers EWE und ist Vorstandschefin des Branchenverbands WAB.
Was unterscheidet den Bau moderner Windfarmen von damals?
Lucke: So ziemlich alles. Damals war ja alles noch sehr handwerklich. Wir waren alle Quereinsteiger. Da haben wir beispielsweise versucht, einen Kran auf eine Barge zu setzen und damit zu arbeiten. Das ging wegen der Wellen natürlich voll in die Hose: Der Kran schwankte viel zu stark. Wir mussten dann Tage auf ein Spezialschiff warten. Heute gibt es etliche Spezialerrichterschiffe, die auf Stelzen über den Wellen schweben und weitgehend wetterunabhängig operieren, das öffnet das Zeitfenster erheblich. Die Szene ist viel globaler geworden. Komponenten kommen aus allen Teilen der Erde, rund um die Welt gibt es Häfen, die mit den großen Komponenten umgehen könne. Die Logistikketten werden immer besser.
Wie sieht es mit den Anlagen aus?
Lucke: Wir sehen mehr und mehr serielle Fertigung – sowohl bei den Windkraftanlagen als auch bei den Fundamenten. Da gibt es Schweiß- und Lackierroboter, alles wird immer effizienter.
Was halten Sie vom Größenwachstum der Windräder? Welche Anlagengröße sehen Sie noch kommen?
Lucke: Wo das noch hingehen soll? Keine Ahnung. Vielleicht kommen ja wirklich 20-Megawatt-Windräder. Immer größer ist aber nicht immer der beste Weg, das muss man je nach Standort entscheiden. Schließlich gibt es auch auf See Standorte mit eher schwachem Wind. Zudem ergibt es wenig Sinn, 15-Megawatt-Maschine zu haben, wenn wir sie gar nicht installieren können.
Was schlagen sie also vor?
Lucke: Ich fände es besser, die heutige Anlagengeneration solider und qualitativ hochwertiger zu bauen. Ich orientiere mich da am VW Golf – einem wahnsinnig langweiligen Auto, das aber bombastisch gut fährt.
Was tut sich bei den Fundamenten?
Lucke: In Deutschland kommen fast nur noch Monopiles zum Einsatz. Bei Alpha Ventus hatten wir ja noch Tripods und Jackets. Inzwischen lassen sich aber die Monopiles günstiger produzieren, zumindest für den Einsatz in unseren Gewässern.
Sie haben bei Alpha Ventus damals die Errichtung des Umspannwerks geleitet. Heute sind die Umspannwerke viel kleiner. Wie wirkt sich das aus?
Lucke: Die Umspannstation von Alpha Ventus hat eine Verfügbarkeit von 99,8 Prozent. Die ist extrem solide, „heavy duty“ sozusagen. Heute sind die Anlagen bis zu 60 Prozent leichter – aber auch technisch viel anspruchsvoller. Das geht teils zu Lasten der Verfügbarkeit.
Was spielen die Daten der Anlagen für eine Rolle?
Lucke: Wir können die Maschinen immer besser lesen und verstehen immer präziser, was die Daten bedeuten. Das ist gut.
Sie haben bei EWE inzwischen Anlagen mit zusammen 1,3 Gigawatt in der technischen Betreuung. Finden sie genügend qualifiziertes Personal?
Lucke: Das ist schon schwierig. Wir suchen mit Headhuntern nach klassischem Service-Personal.
Wenn Sie auf die vergangenen zehn Jahre zurückblicken: Was freut Sie besonders?
Lucke: Die Weiterentwicklung der Sicherheit. Es gibt in der Branche sehr wenige Verletzungen und Unfälle.
Von der Bundesregierung wünsche ich mir einen verlässlichen Ausbaupfad. Nach den vielen Gesetzesanpassungen ist es für uns sehr schwer, zu planen
Irina Lucke, Geschäftsführerin von EWE Offshore Service & Solution
Und was stört sie?
Lucke: Der enorme Preisdruck in der Branche. Die Ausschreibungen haben da echt Schwung reingebracht. Das hat den Erfahrungsaustausch der ehemals recht familiären Szene gestört. Heute gibt es viel mehr Geheimtuerei als damals. Zudem finde ich es schade, dass es nur noch Großkonzerne und Großinvestoren gibt, Mittelständler spielen praktisch keine Rolle mehr.
Was wünschen Sie sich für die Offshore-Branche von der Politik?
Lucke: Von der Bundesregierung wünsche ich mir einen verlässlichen Ausbaupfad. Da fehlt die Wertschätzung. Nach den vielen Gesetzesanpassungen ist es für uns sehr schwer, zu planen.
Die Fragen stellte Daniel Hautmann am Rande der Offshore-Wind-Konferenz Anfang April in Hamburg.