Sven Plöger über den Klimawandel

  • Search08.05.2018

„Bin gespannt, ob wir das Zwei-Grad-Ziel erreichen“

Im Interview spricht Sven Plöger über sein Buch „Wie Wind unser Wetter bestimmt“, seine Zweifel an Deutschlands Klimapolitik und seine Faszination für erneuerbare Energien.

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    Sven Plöger ist Meteorologe, Moderator und Autor. Sein jüngstes Buch trägt den Titel „Wie Wind unser Wetter bestimmt“. Dazu reiste Plöger, der in Köln Meteorologie studierte und 1996 bei Jörg Kachelmanns Meteomedia einstieg, mit einem Kamerateam des SWR in die Regionen, aus denen die Winde kommen: Lappland im Norden, Sibirien im Osten, Marokko im Süden und Irland im Westen. Überall traf er Menschen, die mit den klimatischen Bedingungen vor Ort zurechtkommen müssen.

    Sven Plöger im Interview über sein Buch  „Wie Wind unser Wetter bestimmt“.

    Bei der Arbeit an seinem Buch „Wie Wind unser Wetter bestimmt“ gerieten Sven Plöger und sein Team in Marokko in einen tagelangen Sandsturm. Es sind solche Naturschauspiele, die den 51-Jährigen faszinieren – weil sie das Wetter erlebbar machen.

    Den meisten wird Plöger aus der ARD bekannt sein: Vor fast 20 Jahren, am 2. März 1999, moderierte er zum ersten Mal „Das Wetter im Ersten“ – und das tut er bis heute. Als Treffpunkt für dieses Gespräch wählte der Moderator das „Klimabüro“ der Bavaria Filmstadt in München: große Fensterfront und ein knappes Dutzend Monitore, auf denen Satellitenbilder, Wolkenfelder und das Innere des Studios zu sehen sind.

    Herr Plöger, woher kommt Ihre besondere Beziehung zum Wind?
    Sven Plöger: Wind ist einem Meteorologen per definitionem sehr nahe, schließlich sieht man – nein, man spürt sogar – durch den Wind das Wetter, den Regen, man sieht die Wolken, erkennt Bewegungen. Kurz: Der Wind bringt das Wetter zu uns.

    Sie hätten sich aber auch der Sonne oder dem Regen hingeben können?
    Stimmt, aber letztlich hängt ohnehin alles mit allem zusammen. Der Wind beschreibt für mich das Ureigene des Wetters, er versorgt uns mit Energie, die über die Sonneneinstrahlung erzeugt wird: Die Energie der Sonne schafft Temperaturunterschiede, diese formen Zonen unterschiedlichen Drucks, die durch Luftbewegungen ausgeglichen werden. Die Natur folgt da einem einfachen, sehr fairen Gleichheitsprinzip: Gibt es irgendwo etwas zu viel, dann wird das Zuviel dorthin transportiert, wo ein Mangel herrscht. Der Mensch macht's eher umgekehrt, wir könnten also eine Menge von der Natur lernen.

    Und damit auch vom Wind?
    Plöger: Zumindest von den durch Wind geprägten unterschiedlichen Windkulturen. Für unser Buch „Wie Wind unser Wetter bestimmt“ waren wir unter anderem in Marokko und hatten das Glück, dass es dort vier Tage lang ziemlich stark gestürmt hat. Kein ausgewachsener Sandsturm, aber schon ganz ordentlich. Für mich ist es immer aufregend, wenn sich was bewegt, der Himmel nicht zu sehen, alles voller Sand ist. Dann wird der Wind zu einem ganz konkreten Erleben, zu einem Erkennen, wie sich die Natur an den Wind anpasst. Dann wird klar, warum das Kamel so lange Wimpern hat: um eben genau für solche Wetterbedingungen gewappnet zu sein. Und es wird klar, wie der Mensch mit dem Wind umgehen muss – oder eben auch nicht.

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    Ein Bewohner der Insel Norderney ist anders vom Wind erzogen als ein Münchner

    Sven Plöger

    Zum Beispiel?
    Plöger: Ydir. Er wohnte lange Zeit außerhalb der Wüstenoase Zagora, hat aber nach mehr als einem Jahrzehnt mit seiner Familie vor dem Wind kapituliert. Nun lebt er in Zagora selbst, denn er konnte den heißen Wüstenwind und den vielen Sand nicht mehr ertragen. Mittlerweile hat dieser aus seinem Haus eine Ruine gemacht, das Dach wurde abgetragen und die Außenmauern wie mit grobem Schmirgelpapier behandelt. Zugegeben, ein Extrembeispiel, weniger dramatisch zeigt sich eine Windkultur in der Art, sich zu kleiden, sich zu bestimmten Tageszeiten zu bewegen oder eben nicht, in der Interaktion mit dem eigenen Wind- und Wetterumfeld. Das gilt nicht nur in Marokko, sondern überall: Ein Bewohner der Insel Norderney ist anders vom Wind erzogen als ein Münchner.

    Nerven Wind und Wetter nicht auch mal?
    Plöger: Klar. Nach vier Tagen Marokko war auch ich froh, dass es nicht mehr überall zwischen den Zähnen knirscht. Aber als Meteorologe bin ich auch ein bisschen pathologisch veranlagt: Wäre das nicht mein Beruf, dann wäre es mein leidenschaftliches Hobby. Ich habe mich bisher nie künstlich „zum Wetter zwingen müssen“, es stresst mich auch nicht, mich in meiner Freizeit damit zu beschäftigen. Darum nerven Wind und Wetter auch nur selten. Gut, zwei Wochen lang Dauernebel sind schon anstrengend. Das dümpelt mir zu sehr dahin, ist mir zu behäbig. Ich brauche die Dynamik, die Wechselhaftigkeit des Wetters.

    Die mitteleuropäische Wind- und Wetterkultur dürfte Ihnen daher besonders liegen?
    Plöger: So ist es. In Deutschland finde ich die Wechselhaftigkeit des Wetters großartig, dieses Durcheinander! Und ich liebe Jahreszeiten. Ein reines Tageszeitenklima wie in den Tropen? Wäre nichts für mich.

    Wenn der Wind schon eine so große Faszination auf Sie ausübt, wie sieht es dann mit der Windkraft aus?
    Plöger: Wenn etwas von selbst in Bewegung kommt, in Bewegung bleibt und dann dabei noch Energie erzeugt – dann wird es für mich richtig spannend. Als Kind hatte ich immer die Idee, dass der Wind von Bäumen gemacht wird, von den Blättern, die sich bewegen. Irgendwann reifte die Erkenntnis, dass das wohl eher nicht der Fall ist. Dann setzte das Fragen und das Finden ein und hält bis heute an. Für mich ist das Begeisternde an der Windenergie – wie auch der anderen erneuerbaren Energieformen – dass sie uns quasi unentgeltlich gegeben werden. Das hat mich immer fasziniert, aber nie dazu verleitet, anzunehmen, dass der Weg zu einer intensiven Nutzung der regenerativen Energien ein einfacher sein wird. Die Vorstellung, abends ins Bett zu gehen und am nächsten Morgen in einer schönen, erneuerbaren Welt aufzuwachen, ist absurd.

    Ist der Mensch im Kopf nicht immer schneller als in der Umsetzung?
    Plöger: Doch, siehe Energiewende. Was wurde das Thema nach Fukushima in den Sonntagsreden hochgelobt! Bis mal einer auf die Idee kam, die Praxistauglichkeit zu hinterfragen: Wie machen wir das? Was wollen wir eigentlich in Deutschland, in Europa? Wer gewinnt dabei, wer droht dabei auf der Strecke zu bleiben? Wir haben uns mit Eifer darum bemüht, das zu Erreichende immer wieder zu benennen, haben aber immer zu wenig dafür getan. Das Ergebnis? Das Klimaziel 2020 werden wir nicht halten können und schieben es eben auf 2030. Ähnlich der Klimaschutzplan 2050, der rückt auch langsam aber sicher in einen denk- und greifbaren Zeithorizont. Ich bin gespannt, ob wir das Zwei-Grad-Ziel halten oder EU-weit die Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 senken, wie in Paris eingebracht. Von dem, was wir bisher zustande bringen, wage ich das zu bezweifeln: Um von einem „Wir wollen“ zu einem „Wir machen das jetzt“ zu kommen, dafür müssen wir Gas geben und nicht immer nur ambitionierte Ziele immer weiter in die Ferne rücken. Mit Lösungen hat das nichts zu tun, ...

    ... sondern erinnert eher an den kettenrauchenden Lungenfacharzt ...
    Plöger:... dem auch klar ist: „Ist irgendwie nicht gut, was ich hier so in mich reinquarze“ – und sich dabei die nächste ansteckt. Das ist absurd und widersinnig, aber wir Menschen sind so. Wir machen Dinge, die wir eigentlich nicht tun sollten und umgekehrt. Das erst macht uns menschlich und natürlich, im Sinne von: ein Teil der Natur sein. Vielleicht sollten wir uns wieder mehr darauf besinnen und uns darüber hinaus auch als Erfolgsmodell verstehen. Sonst gäbe es uns schließlich nicht milliardenfach. Andererseits gibt es da diesen Witz: Treffen sich zwei Erden. Sagt die eine: „Ich hab homo sapiens.“ Antwortet die andere: „Nicht schlimm, das geht vorbei.“

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    Der Erde ist es egal, ob die Alpen zerbröseln oder der Meeresspiegel steigt

    Sven Plöger

    Soll heißen: Am Ende wird die auf Balance achtende Natur ohnehin alles wieder ausgleichen?
    Plöger: Ja, denn der ist es doch vollkommen egal, ob die Alpen durch Wärme und das Verschwinden von Permafrostböden langsam zerbröseln oder der Meeresspiegel steigt. Dem Menschen aber kann und darf das nicht egal sein. Denn wenn wir nur reagieren, statt konstruktiv zu handeln, dann werden auf zutiefst unfaire Weise Menschen am einen Ende der Welt leiden, während andere am anderen Ende mit ungleichen Mitteln die Möglichkeit haben, die Negativfolgen einzudämmen.

    Die Fragen stellte Timour Chafik.

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