Branchenpionier Randy Tinkerman

  • Search01.09.2021

Der mit dem Wind tanzt

Als in den Siebzigern die ersten Windräder in Kalifornien entstanden, war er genauso dabei wie heute bei Offshore-Windparks in der Nordsee: Der Deutsch-Amerikaner Randy Tinkerman ist einer der besten Kenner der Windkraft. EnergieWinde hat mit dem 72-Jährigen über seine eindrucksvolle Karriere gesprochen.

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    Randy Tinkerman ist ein Pionier der Windenergie: Schon in den Siebzigern holte er europäische Anlagen in die USA und trug damit zum Windkraft-Boom in Kalifornien bei. Foto: Johannes Bichmann für EnergieWinde

    Ein Leben für die Windenergie: Randy Tinkerman in seiner Wahlheimat Bremen.

     

    Von Daniel Hautmann

    Bremen, dachte der Amerikaner Randall „Randy“ Tinkerman in den 2000er-Jahren, entwickelt sich zur Hauptstadt der Offshore-Windenergie. Also zog er nach Bremen, mitten ins „Viertel“, den lebhaften Multikulti-Stadtteil. „Das mit der Hauptstadt hat nicht geklappt“, lacht der heute 72-Jährige im typisch deutsch-amerikanischen Slang ins Telefon. Bremen ist er trotzdem treu geblieben. Genauso wie seinem Herzensprojekt, der Windenergie.

    Dass Tinkerman zu einem Pionier der Branche wurde, war ihm womöglich in die Wiege gelegt. Geboren wurde er in Chicago, jener Stadt mit dem Beinamen „The windy City“ im Norden der USA. Aufgewachsen ist er in Upstate New York, einer ländlichen Gegend, bekannt durch das legendäre Städtchen Woodstock. Einen Teil der Jugend verbrachte er bei einer Familie, deren Vater ein Mohawk-Indianer war. Dessen ganzheitliche Weltsicht prägt ihn bis heute. Bescheidenheit, Naturverbundenheit und ein rücksichtsvoller Umgang mit Mensch und Umwelt sind ihm wichtig.

    Während die Schule nie seine Welt war, fand er in der Musik eine Heimat. Er spielte Schlagzeug in mehreren Bands. Damals war er in der Anti-Atomkraft-Bewegung aktiv. „Mir war immer klar, dass wir für guten Sound Strom brauchen. Aber auch, dass es sauberer Strom sein muss.“ Also fing Randy an, gemeinsam mit anderen Bands Festivals zu organisieren und Geld für den Kampf gegen die Kernkraft zu sammeln.

    1973 trifft Tinkerman den Vater der Windkraft in den USA. Er wird sein Mentor

    In die Welt der erneuerbaren Energien wehte ihn 1973 eine Schicksalsbegegnung. Bei einem Vortrag lernte er William „Bill“ Heronemus kennen. Der galt schon damals als der Vater der US-Windkraft. Er lehrte an der Universität von Massachusetts und kämpfte vehement für die Erneuerbaren. Öl, Gas und Atomkraft dürften nicht die Lösung sein, glaubte Heronemus, der als Kapitän selbst an Atom-U-Booten gearbeitet hatte. „Ihm war klar, dass die Kernenergie zu teuer sein wird“, sagt Tinkerman.

    Heronemus wurde zu einer Art Mentor für Tinkerman. Er war zwar nur ein Jahr an der Uni eingeschrieben, verbrachte aber zahlreiche feuchtfröhliche Abende mit ihm. Tinkerman sog all das Windwissen auf: „Professor Heronemus hat mich extrem beeinflusst und auf den Windpfad gebracht. Ich war wohl schlau genug, ein guter Ingenieur zu werden, ohne jemals studiert zu haben.“

    Mitte der Siebziger legte Tinkerman dann selbst Hand an und half eine kleine Anlage in Woodstock zu bauen. „Ich wusste, dass die Windkraft die Energiequelle der Zukunft ist“, sagt Tinkerman. Später zog er nach Kalifornien, wo in den frühen Achtzigern auf dem Altamont-Pass die ersten Turbinen entstanden.

    Windräder auf dem Altamont-Pass in Kalifornien: Der Windkraft-Pionier Randy Tinkerman war an den ersten Projekten in den USA beteiligt.

    Auf dem Altamont-Pass in Kalifornien entstanden in den Siebzigern und Achtzigern mehrere Tausend Windräder der ersten Generation.

    Auf einer Windkraft-Konferenz lernte er dann seinen zweiten Mentor kennen: Helge Petersen, den Gründer des dänischen Windkraft-Forschungsinstituts Risø. Petersen lud ihn ein und zeigte ihm all die Windaktivitäten in seiner Heimat. Sie besuchten etwa die Gemeinde Tvind, wo die damals größte Turbine der Welt gebaut wurde. Und sie besichtigten eine kleine Firma, die eigentlich Landmaschinen produzierte, nebenbei aber auch an Windkraftanlagen tüftelte: Vestas. Tinkerman war von den Anlagen angetan: „Die waren simpel und robust.“

    Mit Kaliforniens Gouverneur spricht er über Offshore-Wind. Und erhält einen Job

    „Tinkerman ist einer der ganz frühen Pioniere der modernen Windenergienutzung. In den Siebzigern ist er als US-Amerikaner nach Dänemark gereist, um mit der dort aufkeimenden Windenergiegemeinde in Kontakt zu geraten. Gegen Ende der Siebziger hat er als Erster Vestas-Anlagen in die USA geholt“, sagt Axel Albers, Geschäftsführer der Deutsche WindGuard Consulting im niedersächsischen Varel.

    Zurück in den USA lieferte Tinkerman dann den Anstoß zu einem Zeitungsartikel, in dem es um Offshore-Windkraft in Kalifornien ging: „Der Artikel erschien weltweit und sorgte für viel Aufsehen.“ Kurz darauf bekam er einen Anruf von Kaliforniens damaligem Gouverneur Jerry Brown. Der lud ihn in sein Büro nach Sacramento ein. Die Gespräche liefen gut. Brown engagierte Tinkerman, um ein Windprojekt in Kalifornien zu realisieren – wenn auch an Land und nicht auf See.

    Tinkerman nahm an, allerdings unter zwei Bedingungen: Es sollten andere Maschinen als beim ersten Versuch eingesetzt werden. Und er wollte die Anlagen direkt am Highway installieren, auf halbem Weg zwischen San Francisco und Sacramento. Das hatte einen einfachen Grund: „Jeder Politiker sollte die Anlagen sehen“, sagt Tinkerman. Und die Maschinen fielen tatsächlich auf: Es waren zweiflügelige 25-Kilowatt-Anlagen des US-Herstellers Carter.

    Ein Leben für die Windenergie: Randy Tinkerman, hier in seiner Wahlheimat Bremen, hat die Entwicklung der Windkraft in den USA entscheidend vorangebracht. Foto: Johannes Bichmann für EnergieWinde

    Die Politik müsste mutiger sein, sagt Randy Tinkerman. Sie habe noch immer nicht das gewaltige Potenzial begriffen, das in der Windkraft stecke.

    In den Folgejahren entwickelte sich der Sunshine State zum Zentrum der Windenergie. Tausende Anlagen standen in der hügeligen Landschaft. Zahlreiche Ingenieure, Professoren und Institutsleiter kamen nach Kalifornien, um sich das Windwunder anzusehen – und um mit Randy Tinkerman zu sprechen: „In dieser Zeit habe ich viele wichtige Leute kennengelernt.“

    Bei seiner Einladung ins Weiße Haus trägt er Anzug. Zum ersten Mal überhaupt

    Selbst ins Weiße Haus luden sie Tinkerman zu Diskussionen über die Windkraft ein. „Am 6. Oktober 1981 muss das gewesen sein. Da hatte ich zum ersten Mal als Erwachsener einen Anzug an“, sagt Tinkerman. Als er die Sicherheitskontrolle passierte und nach oben durch die Fenster blickte, sah er Solarmodule auf dem Dach. „Das machte mir richtig Mut. Ich habe immer daran geglaubt, dass die Windkraft, dorthin kommt, wo sie heute ist.“ Tinkerman hatte den Leuten im Weißen Haus erklärt, dass die Erneuerbaren die günstigste Option seien. Sie bräuchten keine Subventionen, wenn man richtig rechne, denn Atom, Öl, Kohle und Gas verursachten enorme Folgekosten – die Windkraft nicht.

    Und dann ist da noch Mentor Nummer drei: Forrest „Woody“ Stoddard, ein visionärer Entwickler, Lehrer und Tinkermans engster Kollege für fast drei Jahrzehnte. Stoddard war Mitte der Siebziger Jahre federführend bei der Entwicklung der 25-Kilowatt-Windfurnace-Anlage an der Universität von Massachusetts, damals die größte betriebsbereite Anlage in den USA. „Ich traf Woody zum ersten Mal, als ich eine Messe in Amherst in Massachusetts besuchte. Woody sagte, er bräuchte ein paar Hände, die ihm beim Gießen der Gondel für die Windturbine helfen würden, und so kam ich mit, nachdem ich Heronemus bereits im Jahr zuvor kennengelernt hatte.“

    1985 holt Tinkerman ein Schwergewicht in die Windenergie: Goldman-Sachs

    In den Folgejahren stand der Wind günstig für Tinkerman. 1983 gründete er mit Partnern den Howden-Windpark. „Das erste Windkraft-Projekt, das Goldman-Sachs finanzierte“, sagt Tinkerman. James Howden & Co, ein Unternehmen aus Schottland, entwickelte und baute die erste Windkraftanlage im Versorgungsmaßstab der Welt. „Die waren nicht schön, aber verlässlich“, sagt Tinkerman. 1985 ging der Park in Betrieb.

    Randy Tinkerman am Hafen in seiner Wahlheimat Bremen: Der 72-Jährige ist ein Pionier der Windkraft in den USA und Europa. Foto: Johannes Bichmann für EnergieWinde

    Randy Tinkerman hat mit vielen führenden Köpfen in der Windenergie zusammengearbeitet. „Ich habe unheimliches Glück gehabt, all die Leute kennengelernt zu haben.“

    Alle Projekte und Unternehmen aufzulisten, für die Tinkerman arbeitete, würde den Rahmen sprengen. Eines ist ihm aber noch wichtig: Tinkerman war stets selbstständig. Er wollte nie in einem schwerfälligen Industrieunternehmen tätig sein. Er wollte immer daran arbeiten, die Windkraft möglichst groß zu machen – aber eher im Hintergrund, nicht im Rampenlicht. „Ich würde sagen, Randy Tinkerman ist ein Mann mit Weitblick, der in uneigennütziger Weise für und mit der Windenergienutzung lebt – ein sehr netter und fairer Kollege“, sagt Axel Albers.

    Mit 72 arbeitet er noch für die Windkraft – zuletzt auch in den Niederlanden

    Tinkerman, inzwischen 72 Jahre alt, berät noch immer Banken und Fonds, Unternehmen und Projekte im Bereich der Offshore- und Onshore-Windenergie. Seit 2016 berät er zudem das niederländische Wirtschaftsministerium als Gutachter für dessen Offshore-Ausschreibungen, darunter zuletzt Hollandse Kust Noord. Er selbst sagt über sich und sein Leben: „Ich habe unheimliches Glück gehabt, all die Leute kennengelernt zu haben.“

    In Deutschland fühlt er sich heute zu wohl, um wieder zurück in die USA zu gehen. Zufrieden ist er mit der Entwicklung aber noch lange nicht. Für seinen Geschmack haben die Politiker einfach nicht genug Visionen und Mut. Sie verstünden nicht, wie viel Windstrom wir brauchen, etwa um grünen Stahl zu produzieren.

    „Die Offshore-Windkraft in Nord- und Ostsee hat Kapazitätsfaktoren, die denen konventioneller fossiler Brennstoffe entsprechen oder sie sogar übertreffen, und die nicht weit von denen der Kernkraft entfernt sind. In Verbindung mit Wasserstoff und Power-to-X-Kraftstoffen wie Ammoniak könnte diese Zivilisation tatsächlich nachhaltig werden“, sagt Tinkerman.

    Und genau deshalb macht er immer weiter.

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