Von Timour Chafik
Man sagt, das wahre, das echte, das authentische Venedig, das lässt sich nur spät nachts, vielleicht frühmorgens oder irgendwann in der Zeit dazwischen erleben. Wenn die Touristenströme, die Tagesausflügler, die Kultur- und Kanalinteressierten aus den engen Gassen in ihre Hotels oder auf das Festland zurückgekehrt sind. Dann erst, sagt man, muss man sich die Stadt erlaufen.
Denn „Erleben“ heißt in Venezia immer auch ergehen, sich verlieren, dem Glucksen des Wassers folgend auf dem Markusplatz im Morgengrauen die Tauben wecken und zusehen, wie hier und da eine Gondel noch müde beladen wird, auf schwarzem Wasser schaukelnd. Oder die Straßenkehrer noch schnell die Reste der Nacht oder des vorangegangen Tages zusammenkehren, bevor sich der Vorhang für einen weiteren Akt hebt und sie wieder strömen werden, über den Canal Grande, zur Rialto-Brücke, zum Dogenpalast.
Wie mit Wasser füllt sich die Stadt am Tage mit Menschen und läuft zum Abend hin wieder leer. Schade nur, dass das Theaterstück nicht ewig läuft. Venedig ertrinkt.