Bei der Förderung in Algerien wird Gas abgefackelt: Satellitenbildern zufolge haben die Methanemissionen dort zuletzt zugenommen.
Methanstrategie der EU
- 30.10.2020
Diätkur für die Gasindustrie
Von Julia Graven
Wenn Erdgas, das im Wesentlichen aus Methan besteht, unverbrannt in die Atmosphäre gelangt, wird aus dem vergleichsweise harmlosen fossilen Rohstoff ein Klimakiller. Schätzungen zufolge ist Methan – aus natürlichen und menschengemachten Quellen – für mindestens ein Viertel des globalen Temperaturanstiegs der letzten Jahre verantwortlich.
Methanlecks waren bisher eine Sache, von der die meisten Leute gar nicht wussten, dass es sie gibt. Während die Landwirtschaft mit Viehhaltung und Reisanbau schon lange als Methanschleuder verrufen ist, hatte man bei fossilen Brennstoffen nur das böse Kohlendioxid im Blick. Mittlerweile warnen aber Forscher weltweit vor der erheblichen Belastung der Atmosphäre durch Methan, das in der Öl- und Gasindustrie entweicht. Das macht fossile Brennstoffe noch sehr viel klimaschädlicher als bisher angenommen.
Corona hat die Situation noch verschlechtert. Gesunkene Energiepreise und ein Überangebot an Gas und Öl bewirken, dass Pipelines oder Gasspeicher kaum noch gepflegt und repariert werden. So gehen zum Beispiel Fracking-Firmen pleite, Bohrlöcher bleiben unversiegelt zurück. Dadurch sei die Zahl großer Methanlecks in der Öl- und Gasinfrastruktur in den ersten acht Monaten des Jahres um ein Drittel auf mehr als 5000 gestiegen, meldet der Datenspezialist Kayrros. Satellitenbilder zeigten eine besondere Verschlechterung der Lage in Algerien, Russland und Turkmenistan.
Methan zerfällt schneller als CO2 – und ist doch besonders klimaschädlich
Vor allem auf kurze Sicht ist Methan ein starkes Treibhausgas. Die CH4-Moleküle sind schwerer als CO2, dadurch haben sie viel stärkeren Einfluss auf den Strahlungshaushalt der Erde. Sie verhindern, dass die Sonnenenergie, die zur Erde gelangt, zurück in den Weltraum reflektiert wird. So erwärmt sich die Erdatmosphäre. Zwar zerfällt Methan schon nach rund zwölf Jahren. Doch besonders in den ersten Jahren ist seine klimaschädliche Wirkung besonders hoch. Rechnet man die Treibhausgaswirkung auf 20 Jahre hoch – ein in der Klimawissenschaft üblicher Maßstab –, liegt sie etwa beim 85-Fachen der von CO2. Auf 100 Jahre gerechnet, ist Methan immer noch 25-mal so schädlich wie CO2.
Wer Methanemissionen reduziert, kann daher schnell und wirksam etwas für das Klima tun. Die EU hat sie seit 1990 schon um ein Drittel reduziert. Will die Union ihre Klimaziele erreichen, müssten sie aber noch um ein weiteres Drittel sinken, sagt Energiekommissarin Kadri Simson. Die EU-Kommission hat deswegen Mitte Oktober ihre lang erwartete Methanstrategie (PDF) vorgelegt.
In den ersten 20 Jahren in der Atmosphäre wirkt Methan etwa 85-mal schädlicher als Kohlendioxid. Das einzig Positive ist, dass es nach rund zwölf Jahren zerfallen ist. Das ist verglichen mit anderen Klimagasen eine kurze Zeit.
Die Methanstrategie nennt keine konkreten Ziele. Sie setzt auf Freiwilligkeit
Die Strategie setzt bei den rund 60 Prozent der Emissionen an, die sich laut der Weltwetterorganisation WMO auf den Menschen zurückführen lassen. 40 Prozent der Emissionen stammen aus natürlichen Quellen, zum Beispiel aus Mooren und auftauendem Permafrost. Hier kann die Politik nur sehr langfristig Einfluss nehmen.
In der EU entfallen von diesen menschengemachten Emissionen mehr als die Hälfte auf die Landwirtschaft, ein gutes Viertel auf die Abfallwirtschaft und ein Fünftel auf die Energiewirtschaft. Die Methanstrategie der Kommission bezieht alle drei Bereiche ein, Energie, Abfall und Landwirtschaft. Bei den Maßnahmen allerdings bleibt sie vage; der Entwurf setzt neben dem Sammeln genauer Daten auf freiwillige Initiativen von Industrie und Landwirtschaft. Reduktionsziele werden nicht definiert, und es werden auch keine konkreten Vorgaben gemacht.
Emissionen zählen hilft nicht weiter, wenn das Gebot der Stunde Verringerung ist
Jutta Paulus, grüne EU-Abgeordnete, über die Methanstrategie
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW sieht die Vorlage der EU-Kommission positiv. Mehr Daten, EU-weite Standards bei der Messung und freiwillige Initiativen seien richtig und wichtig. Für die grüne Europa-Parlamentarierin Jutta Paulus ist die Methanstrategie dagegen viel zu vage. „Die Europäische Kommission kratzt nur an der Oberfläche“, sagt sie. „Emissionen zählen hilft nicht weiter, wenn das Gebot der Stunde Verringerung ist.“
Rasche Erfolge wären vor allem im Energiesektor möglich. Nirgendwo sonst lassen sich Methanemissionen so leicht und kostengünstig reduzieren wie in der Öl- und Gasindustrie, sagt die Internationale Energieagentur (IEA). Zum Beispiel, indem die Unternehmen Lecks bei Förderung und Transport von Erdgas beseitigen. 40 Prozent der heutigen Emissionen ließen sich sogar ohne zusätzliche Kosten für die Industrie einsparen, schließlich lässt sich das nicht entwichene Gas ja verkaufen. Das hätte den gleichen Effekt auf das Klima, als wenn auf einen Schlag 60 Prozent aller Kohlekraftwerke auf der Welt zusperren würden, so die Energieagentur.
Arbeit an einer Erdgas-Pipeline zwischen Russland und China: Würde bei Förderung und Transport kein Gas entweichen, hätte das den gleichen Effekt auf das Klima wie die Schließung von 60 Prozent aller Kohlekraftwerke.
Seit Forscher die Emissionen mit modernen Forschungssatelliten genau messen und von natürlichen Methanemissionen unterscheiden können, ist klar: Es gibt hier ein großes menschengemachtes Problem. Die Emissionen in den USA sind Studien zufolge 60 Prozent höher als von der Industrie angegeben. Auch beim Kohleabbau und beim Fracking entweicht deutlich mehr Methan als bislang angenommen.
Die Gaskonzerne suchen Wege, den Ausstoß zu senken. Schon im Eigeninteresse
Die USA hatten daher schon 2016 eine Regelung erlassen. Die Umweltschutzbehörde EPA schrieb der Energiewirtschaft vor, Methanleckagen zu messen und Lecks an Pipelines, Gasspeichern und Bohrlöchern zu beseitigen. Dann aber kippte US-Präsident Donald Trump wesentliche Teile der Regelung. Er wollte die US-Förderung günstiger machen – und machte sie damit dreckiger.
Große Player wie Exxon, BP und Shell hatten Trump abgeraten, die Regelung aus der Obama-Ära zu kippen. Sie suchen auch ohne den Druck des Gesetzgebers nach Lösungen, um ihr Produkt nicht noch mehr in Verruf zu bringen. Die Oil and Gas Climate Initiative (OGCI) etwa verpflichtet ihre Mitglieder, Emissionen unter bestimmte Zielwerte zu senken. Eine andere Initiative will das routinemäßige Abfackeln, bei dem das klimaschädliche Methan oft nur unvollständig verbrennt, bis 2030 beenden. Allerdings stellen die beteiligten Unternehmen nur eine Minderheit der weltweiten Öl- und Gasindustrie.
Die Umwelthilfe fordert eine Gebühr auf Methan. Die träfe auch Verbraucher
Auch Europa erwägt Vorschriften gegen das Entlüften und Abfackeln, gegen Lecks und löchrige Pipelines. Das Problem: Wenn die Gesetze nur für die EU-Mitgliedsstaaten gelten, ist der Umwelt kaum geholfen. Denn das meiste Erdgas kommt von außen in die Union, aus Ländern wie Russland, Algerien oder den USA. Umweltschützer fordern daher, die Emissionen entlang der gesamten Lieferkette gesetzlich zu regeln – egal, woher das Gas kommt. Schließlich liege die Verantwortung für die Emissionen bei denjenigen, die das Gas verbrauchen.
„Die Methanstrategie blendet Emissionen aus der Gasförderung in Drittländern vollständig aus, obwohl diese um ein Vielfaches höher sind als die Emissionen innerhalb der EU“, sagt Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe DUH. Die DUH fordert zudem eine Methanabgabe für Europa. Die wäre dann sowohl beim Rinderfilet als auch beim Brennstoff für die Gasheizung fällig.