Sicherheitstraining für Offshore-Wind

  • Search18.02.2016

„Ohne die Ausbildung wäre ich jetzt tot“

Im Sea Survival Center von Rolf Fremgen in Cuxhaven lernen Mitarbeiter aus der Offshore-Windkraft den Umgang mit Notfällen. Auch dem 65-Jährigen selbst haben die Trainingsinhalte schon geholfen.

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    Am Seil unter dem Helikopter: Bei einem Sicherheitstraining in einem Offshore-Windpark wird eine Mann aus dem Wasser gezogen.

    Rettungsübung mit einem Helikopter: Wer draußen auf See arbeiten will, muss regelmäßig Trainings absolvieren.

    Rolf Fremgen (65) ist Inhaber des Sea Survival Centers und Geschäftsführender Gesellschafter des Offshore Safety-Trainingscenters (O.S.T.) in Cuxhaven. Bei ihm lernen Kursteilnehmer aus der Offshore-Windkraft, wie sie sich aus einem notgewasserten Hubschrauber befreien, einen Verunglückten an Bord holen oder eine Rettungsinsel aufrichten. Im Interview mit EnergieWinde verrät der frühere Oberstabsbootsmann der Marine, worauf es in dramatischen Situationen auf See ankommt. Und er verrät, wie er Kursteilnehmern hilft, die nicht schwimmen können.

    Herr Fremgen, Sie bringen anderen Menschen bei, wie man einen Notfall auf See überlebt. Sind Sie selbst schon mal im Sturm über Bord gegangen?
    Fremgen: Das zum Glück nicht. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, wenn man allein in der Nordsee treibt und auf Rettung wartet.

    Was war passiert?
    Fremgen: Ich hatte mich als lebender Dummy für eine Firma zur Verfügung gestellt, die eine Wärmebildkamera testen wollte. Ich trug einen Überlebensanzug und eine Rettungsweste und wurde vor Cuxhaven ausgesetzt. Das Schiff ist abgedreht und ich lag allein im sieben Grad kalten Wasser.

    Und dann?
    Fremgen: … habe ich mich so verhalten, wie ich es auch meinen Kursteilnehmern immer erkläre: Ruhig bleiben, möglichst wenig bewegen, um Kraft zu sparen. Das ist das Wichtigste. Wenn in Kinofilmen jemand über Bord geht, sieht man immer, wie er bis zum Bauchnabel aus dem Wasser springt, mit den Armen wedelt und um Hilfe schreit. Aber das bringt ja nichts, damit verschwendet man nur Energie. Wenn die Besatzung den Verunglückten gesehen hat, wird sie umdrehen und ihn holen. Wenn nicht, hört sie seine Schreie sowieso nicht.

    Rolf Fremgen ist Inhaber der Sea Survival Centers in Cuxhaven. Er trainiert Mitarbeiter aus der Offshore-Windenergie für den Ernstfall auf See.

    „Man darf den Glauben an sich selbst nicht verlieren”, sagt Rolf Fremgen.

    Ruhig bleiben, das klingt so einfach. Hatten Sie keine Angst?
    Fremgen: Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Man darf den Glauben an sich selbst nicht verlieren, man muss positiv denken. Nehmen Sie doch mal die Nachrichten von Unglücksfällen. Da heißt es dann: Zwei Tote bei Schiffshavarie. Aber vielleicht haben ja sechs überlebt. Darauf muss man sich konzentrieren – dass man am Ende einer von den Überlebenden ist.

    Trotzdem: Als das Schiff am Horizont immer kleiner wurde und Sie allein in den Wellen trieben, da muss ihnen doch zumindest mulmig geworden sein.
    Fremgen: Natürlich ist es ein befremdliches Gefühl. Da geht einem schon eine Menge durch den Kopf, von Kindheitserinnerungen bis hin zu banalen Dingen wie: Was mache ich heute Abend? Und irgendwann auch: Was passiert, wenn sie mich nicht finden? Aber Panik hatte ich nicht.

    Was hätten Sie denn gemacht, wenn das Schiff nicht wiedergekommen wäre?
    Fremgen: Ich hatte ein Sprechfunkgerät dabei und hätte meine ungefähre Position nennen können. In der Elbmündung ist die Strömung sehr stark, da verdriftet man unheimlich schnell, aber ich hätte zumindest angeben können, an welcher Tonne ich zuletzt vorbeigetrieben bin. Das habe ich mir aber verkniffen, man will ja nicht als Loser dastehen und aufgeben. Und nach einer Stunde und 36 Minuten haben sie mich schließlich auch gefunden.

    Mithilfe der Wärmebildkamera?
    Fremgen: Nein, der Kapitän hatte mich im Kieker, bevor die Kamera mich entdeckt hat.

    Kennen Sie Menschen, die sich dank der Sea-Survival-Trainings aus echten Notfällen befreit haben?
    Fremgen: Ja, mehrere. Ein Freizeitskipper hat mir mal gesagt: Alter, ohne deine Ausbildung wäre ich jetzt tot. Das ist dann schon eine schöne Bestätigung für unsere Arbeit. Und ein Seeflieger aus meiner Zeit bei der Marine hat erzählt, er habe sich bei dem Unglück gefühlt wie in der Trainingshalle. Er hat überhaupt nicht nachgedacht, sondern einfach nur gehandelt und die einstudierten Bewegungsabläufe abgerufen.

    Ist das das Entscheidende in solchen Fällen – dass man sich auf Automatismen verlassen kann?
    Fremgen: Es heißt ja nicht umsonst: Übung macht den Meister. Je öfter Sie ein Sea Survival mitgemacht haben, desto besser sitzen die Bewegungen. Deswegen ist es so wichtig, dass alle, die offshore arbeiten, regelmäßig ihre Trainingszertifikate erneuern.

    Sea Survival Center in Cuxhaven: Hier lernen Mitarbeiter aus der Offshore-Windkraft, wie sie sich im Notfall verhalten müssen.

    Am Beckenrand gibt Rolf Fremgen Teilnehmern eines seiner Sea-Survival-Kurse Anweisungen.

    Sie trainieren 500 bis 600 Teilnehmer pro Jahr. Sind auch welche darunter, die am Ende kein Zertifikat erhalten?
    Fremgen: Ja, das kommt vor, wenn auch selten. Das ist natürlich eine harte Entscheidung, weil es bedeuten kann, dass jemand seinen Beruf nicht ausüben kann. Aber letztlich habe ich eine Verantwortung: Wenn jemand rausgeht, der dafür nicht geeignet ist, bringt er nicht nur sich selbst in Gefahr, sondern auch seine Kollegen.

    Kann ich das Training denn wiederholen, wenn ich im ersten Anlauf scheitere?
    Fremgen: Natürlich. Wir hatten mal einen Teilnehmer, der nicht schwimmen konnte. Theoretisch musste er das auch nicht, er trägt dabei ja Überlebensanzug und Weste. Wir haben dann einige Vorübungen im Flachwasserbereich gemacht, um zu sehen, wie er auf das Medium Wasser reagiert. Solange er Körperkontakt zum Ausbilder hatte, lief es ganz gut, aber sobald der Kontakt abbrach, ging er unter. Das war reine Kopfsache.

    Hat er den Kurs trotzdem bestanden?
    Fremgen: Nicht auf Anhieb. Sein Arbeitgeber hat mich gefragt, ob es etwas bringen würde, wenn er ihn fünf, sechs Mal zum Training schicken würde. Das haben wir dann ausprobiert und allmählich wurde es besser. Irgendwann habe ich ihm eine Taucherbrille gegeben, damit er unter Wasser zusehen konnte, wie die Teilnehmer aus einem Helikopter heraustauchen – die komplette Übung, von Anfang bis Ende. Als er anschließend wieder aufgetaucht ist, hat er gerufen: So lange kann ich die Luft nicht anhalten! Und in dem Moment hat er gemerkt, dass er genau das gerade getan hatte. Darauf hat es in seinem Kopf klick gemacht. Am Ende hat er mit Bravour bestanden.

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    Solange ich die tauchärztliche Untersuchung bestehe und die Kursteilnehmer nicht sagen, dass sie keine Lust mehr auf den Opa haben, mache ich weiter

    Rolf Fremgen

    Wie ist das eigentlich mit Politikern oder Konzernchefs, die für einen Fototermin in einen Offshore-Windpark fliegen wollen. Kommen die auch zum Training zu Ihnen?
    Fremgen: Zum Teil. Es gibt Manager, die Vorbilder für ihre Teams sein wollen, und alles mitmachen. Letztlich liegt es aber in der Verantwortung der Transportfirmen und Parkbetreiber, ob sie jemanden auch ohne Zertifikat mitnehmen. Und dabei kommen dann leider solche Zeitungsfotos heraus wie die von unserem Ex-Umweltminister, der offshore noch nicht einmal seine Rettungsweste geschlossen hatte.

    Letzte Frage: Sie sind jetzt 65. Denken Sie gar nicht an den Ruhestand?
    Fremgen: Nein! Solange ich die tauchärztliche Untersuchung bestehe und die Kursteilnehmer nicht sagen, dass sie keine Lust mehr auf den Opa haben, mache ich weiter.

    Die Fragen stellte Volker Kühn.

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