15.000 Tonnen schwer, sieben Decks hoch: Die Konverterstation Sylwin alpha war bereits die dritte, die bei Nordic Yards entstand. Sie sammelt inzwischen gut 70 Kilometer westlich von Sylt den Strom der Offshore-Windparks DanTysk, Sandbank und Butendiek.
Konverterstation von Nordic Yards
- 02.04.2015
Gelbe Kiste im Hochhausformat
Von Volker Kühn, Rostock
Es wäre ein passender Anlass für die ganz große Bühne gewesen. Man hätte sich vorstellen können, dass der Bürgermeister salbungsvolle Worte spricht, dass eine Musikkapelle aufspielt, dass die örtlichen Honoratioren mit Champagnergläsern anstoßen und die Schweißer mit Flaschenbier.
Schließlich gibt es etwas zu feiern: Es ist der Tag der Docklegung im größten, anspruchsvollsten und teuersten Projekt in der Werftgeschichte von Nordic Yards. Und Tusch!
Doch von Jubel, Trubel keine Spur. Stattdessen ist es seltsam still an diesem Wintermorgen auf dem weitläufigen Werftgelände im Ostseebad Warnemünde bei Rostock.
Schmutzige Schneereste aus der vergangenen Nacht schmelzen im blassen Sonnenlicht. 20, höchstens 30 Männer und Frauen verteilen sich entlang des Docks vor der gewaltigen Werfthalle, kaum eine Handvoll Journalisten ist angereist. Geschäftig wirkt das Ganze, nicht feierlich.
Zwei Gründe gibt es für diese Nüchternheit. Der erste: Es ist kein Schiff, das hier auf Kiel gelegt werden soll, keiner der Eisbrecher für die raue Arktis, wie sie Nordic Yards sonst oft baut.
Sondern eine sogenannte Konverterplattform mit der sperrigen Bezeichnung „Dolwin gamma“ – ein Stahlkasten von den Ausmaßen eines Hochhauses, der später einmal in der Nähe eines Offshore-Windparks in der Nordsee stehen soll, um Energie in Form von Gleichstrom zur ostfriesischen Küste zu schicken.
Zwar sind diese Plattformen ein entscheidender Baustein von Windparks: Erst sie machen es schließlich möglich, den Strom ohne große Verluste ins Landnetz einzuspeisen. Doch den Auftraggebern solcher Anlagen, den Konzernen Siemens, ABB oder im aktuellen Fall Alstom, sind die Rituale und Traditionen einer Werft fremd. Eine Docklegung – was soll das überhaupt sein?
Auf dem Kran steht noch der Schriftzug „Warnow Werft“. Das Unternehmen hat in seiner Geschichte mehrfach den Besitzer und seinen Namen gewechselt. Seit 2009 firmiert die Werft unter Nordic Yards.
Der zweite Grund, warum es heute keine Feier gibt: Sie haben bei Nordic Yards inzwischen eine gewisse Routine bei solchen Anlässen. Es ist schon die vierte Plattform, die auf der Werft mit ihren Standorten in Wismar, Stralsund und Warnemünde zusammengeschweißt wird. Der Zauber allen Anfangs, er ist ein wenig verflogen.
Deshalb ist es auch kein Wunder, dass die kleine Kameradrohne, die reglos in der Luft schwebt, um die Docklegung zu filmen, mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, wie der eigentliche Anlass. Man könnte den Moment glatt verpassen, als eine Kranführerin in 90 Metern Höhe das Manöver mit sanftem Druck auf einen Joystick einleitet.
Lautlos heben daraufhin die Seile eine knapp 200 Tonnen schwere stählerne Rumpfsektion der künftigen Anlage und bewegen sie langsam und gleichmäßig hinüber zum Dock. Dort liegt eine Barge, eine Schwimmplattform, auf der in den kommenden Monaten die weitere Montage laufen wird. Bis am Ende ein wahrer Koloss die Werft verlässt.
Seine Ausmaße sind erschlagend: So hoch wie ein elfstöckiges Wohnhaus wird Dolwin gamma dann sein, gut 15.000 Tonnen schwer, signalgelb angestrichen und ausgestattet mit Werkstätten, Wohnräumen und dem Herzstück der Plattform – der Umspannanlage, die Wechselstrom in Gleichstrom verwandelt.
Über das Auftragsvolumen schweigt die Werft, Insider schätzen es auf gut 400 Millionen Euro – je Konverterstation, wohlgemerkt!
Weil man die Größe von Konverterstationen kaum begreifen kann, wenn man nicht schon einmal selbst neben einer gestanden hat, haben sie bei Nordic Yards Fotomontagen anfertigen lassen: Sie zeigen die Plattform maßstabsgetreu neben bekannten Wahrzeichen. Das Brandenburger Tor oder das Schloss in Mecklenburg-Vorpommerns Hauptstadt Schwerin wirken wie Spielzeug auf diesen Bildern.
900 Megawatt Gleichstrom werden über 162 Kilometer an Land geschickt
Die Technik des stählernen Riesen kommt vom französischen Industriekonzern Alstom. Er fungiert im Auftrag des Netzbetreibers Tennet als Generalunternehmer bei Dolwin gamma.
Bis zu 900 Megawatt Windstrom aus den Parks im südwestlichen Teil der deutschen Nordsee soll die Plattform nach ihrer Fertigstellung aufnehmen können.
Von ihrem Standort im Dollart, der Meeresbucht vor der Emsmündung, wird sie die Energie über 162 Kilometer durch See- und Landkabel in die kleine Gemeinde Dörpen im Emsland schicken. Dort wird der Gleichstrom wieder in Wechselstrom umgewandelt und ins deutsche Hochspannungsnetz eingespeist.
Lautlos hebt der Kran die knapp 200 Tonnen schwere Rumpfsektion von Dolwin Gamma auf eine Barge.
So unspektakulär wie die Docklegung in Warnemünde begonnen hat, so geräuschlos geht sie auch zu Ende. Die Rumpfsektion liegt inzwischen auf der Barge, die Kameradrohne ist gelandet, die Journalisten eilen zurück in ihre Redaktionen. Die Werftarbeiter sind wieder allein mit ihrer Plattform.
Die Werftarbeiter waren anfangs skeptisch
Es war anfangs nicht leicht, die Mitarbeiter für den Einstieg in das neue Geschäftsfeld Windkraft zu begeistern, sagt Stefan Sprunk, Leiter der Unternehmenskommunikation von Nordic Yards. „Auf einmal mussten sie statt Schiffen gelbe Stahlkästen bauen, von denen sich niemand richtig vorstellen konnte, wozu sie eigentlich gut sein sollten. Das war ein Kulturbruch.“
Ein Wortmonster wie „Offshore-Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-System“ (HGÜ) – so heißen die Plattformen im Behördensprech – war zudem wenig dazu angetan, die Vorbehalte der stolzen Schiffsbauer zu zerstreuen.
Andererseits: Was blieb ihnen schon übrig, als damals im Jahr 2008 die Finanzkrise ausbrach und die ohnehin kargen Auftragseingänge für neue Schiffe schlagartig ganz versiegten? Schon seit der Wende hatten sich erfolglose Investoren in der Werft die Klinke in die Hand gegeben. Die Bremer Vulkan AG, die Konzerne Kvaerner und Aker RGI aus Norwegen – keinem fiel mehr ein, als den Namen zu ändern und – natürlich – Jobs zu streichen.
2009 schließlich meldeten die Standorte Insolvenz an. Wadan Werften hießen sie zu diesem Zeitpunkt gerade. Und wieder stand ein neuer Investor vor der Tür, ein besonders ungewöhnlicher diesmal: der erst 29-jährige Russe Witali Jussufow.
Der Sohn eines Putin-Vertrauten rettet die Werft
Er wurde nicht gerade mit ausgebreiteten Armen empfangen. Spötter erklärten seine illustre Verwandtschaft zur einzigen Qualifikation des hochgewachsenen, jungen Manns. Immerhin kam er als Sohn des Gazprom-Aufsichtsrats und früheren russischen Energieministers Igor Jussufow.
Doch allmählich wendete sich das Blatt. Dank bester Kontakte in den russischen Markt gewann Jussufow etwa einen prestigeträchtigen Auftrag für einen Eisbrecher des Bergbaukonzerns Norilsk Nickel. Auch Passagierfähren für die schwedische Reederei Stena Line entstanden in Wismar und Warnemünde.
Die Jobs auf der Werft scheinen dank des Einstiegs in die Offshore-Windkraft vorerst sicher. „Herr Jussufow hat seine Arbeitsplatzzusagen eingehalten“, lobt Heiko Messerschmidt, Sprecher der IG-Metall Küste. Jussufow führt die Werft seit 2009.
Vor allem aber forcierte Jussufow den Ausbau des neuen Geschäftsfelds Offshore-Windkraft und sorgte so endlich wieder für ausreichend Beschäftigung unter den damals verbliebenen 1.200 Mitarbeitern. „Herr Jussufow hat seine Arbeitsplatzzusagen eingehalten“, lobt Heiko Messerschmidt, Sprecher der IG-Metall Küste.
Bis 2014 baute Nordic Yards bereits drei Konverter-Plattformen im Auftrag von Siemens. Der Mittelständler aus Mecklenburg-Vorpommern und der Weltkonzern schrieben damit ein Stück deutscher Industriegeschichte.
„Alles an den Stahlkolossen war Pionierarbeit“, sagt Jens Pehlke, Projektmanager von Nordic Yards. „Alles musste von Grund auf neu entwickelt werden. Wir haben gemeinsam eine steile Lernkurve durchgemacht.“
Die Ablehnung in der Belegschaft legte sich bald. „Ich glaube nicht, dass es für die Mitarbeiter einen großen Unterschied macht, ob sie an einem Schiff oder einer Konverter-Plattform arbeiten“, sagt Pehlke.
Und Claus Ruhe Madsen, Präsident der Industrie- und Handelskammer Rostock schwärmte auf einer Konferenz zur maritimen Wirtschaft gar: „Es macht einen stolz, wenn man die riesigen, gelben Kisten in Warnemünde sieht und weiß, dass sieben solcher Plattformen der komplette Jahreshaushalt von Mecklenburg-Vorpommern wären.“
Die Offshore-Windenergie wird zu neuen Standbein der Werft
Für Nordic Yards ist die Windkraft damit zu einem stabilen zweiten Standbein geworden. Es gibt ihr Halt, wenn die launige Schifffahrtskonjunktur die deutschen Werften durchrüttelt.
Im Gegensatz zu anderen Windkraftunternehmen ist Nordic Yards zudem gut durch die Branchenflaute gekommen, die nach der lähmenden Diskussion um die Ausbauziele für Deutschlands Offshore-Anlagen bis Ende 2014 geherrscht hat.
„Alles an den Stahlkolossen war Pionierarbeit. Alles musste von Grund auf neu entwickelt werden. Wir haben gemeinsam eine steile Lernkurve durchgemacht“, sagt Jens Pehlke, Projektmanager von Nordic Yards (rechts).
Dennoch hadert man auch bei Nordic Yards mit der Gestaltung der Energiewende. Die Rahmenbedingungen seien einfach nicht verlässlich genug, das Geschäft letztlich unberechenbar.
In anderen Ländern, so hört man aus der Werft, werde Energiepolitik immer auch als Standortpolitik gesehen. In Frankreich etwa sei es unvorstellbar, dass ein Großprojekt wie der Bau einer Konverter-Plattform komplett an ein Unternehmen aus dem Ausland vergeben werde.
Genau das aber ist zuletzt in Deutschland passiert: 2014 bestellte Siemens mit seinem neuen Konsortionalpartner, dem britischen Energieunternehmen Petrofac, den Bau der Plattform BorWin gamma nicht wie bisher bei Nordic Yards – sondern bei der Werft Drydocks World mit Sitz im Emirat Dubai am Persischen Golf. Hinter den Kulissen machen sich Siemens und Nordic Yards gegenseitig für Verzögerungen bei den vorangegangenen drei Projekten verantwortlich.
Fest steht, dass Siemens viel Lehrgeld bei seinen ersten Konverter-Plattformen bezahlt hat. Die Werft verliert freilich kein böses Wort über den Konzern, einer Fortsetzung der guten Zusammenarbeit bei neuen Plattformen stehe nichts im Wege, so heißt es in Warnemünde.
Einstweilen versucht Nordic Yards den Launen der deutschen Politik anders aus dem Weg zu gehen. Beim aktuellen Projekt Dolwin gamma übernimmt die Werft erstmals nicht nur den Bau, sondern die komplette Planung sowie Transport und Installation in der Nordsee. Damit bleibt ein größerer Teil der Wertschöpfung in Mecklenburg-Vorpommern hängen als zuvor.
Zudem könne man sich vorstellen, künftig stärker auch im Service und Betrieb der Offshore-Anlagen tätig zu werden, sagen die Verantwortlichen. Und auch einen Export des großen Wissensvorsprungs ins europäische und außereuropäische Ausland sei denkbar – in Form von Stahl, aber auch in Form von Know-how als Partner anderer Werften.
Am liebsten aber würden sie bei Nordic Yards vermutlich selbst noch ein paar mehr der großen gelben Kästen zusammenschweißen. Auch wenn das Ganze inzwischen schon zur Routine geworden ist. Wer braucht schon das Klimbim einer Schiffstaufe, wenn in der Windkraft der Rubel rollt?