Esbjerg als Hafen der Offshore-Windenergie

  • Search23.06.2015

Silicon Valley der Energiebranche

Der Öl- und Gasboom der 70er-Jahre machte Esbjerg zum pulsierenden Zentrum der dänischen Energiebranche. Heute sichert auch die Offshore-Windenergie ihren Wohlstand. Nahaufnahme eines Wirtschaftswunders.

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    Esbjerg ist der wichtigste Hafen der Offshore-Windenergie in Europa. Hier werden Fundamente für die Verschiffung verladen.

    Gewaltige Fundamente für Offshore-Windräder werden in Esbjerg auf ein Spezialschiff verladen. Der Hafen an der dänischen Westküste versorgt Windparks in ganz Nordeuropa.

    Von Heimo Fischer, Esbjerg

    Gigantische Schiffsrümpfe erheben sich am Kai, Kräne surren und meterlange Rohre warten auf den Transport zu den Bohrplattformen. In der Ferne steht ein Wald von schlanken Türmen – bald werden sich daran geschwungene Rotorblätter drehen, weit draußen in der Nordsee.

    Ein Blick auf den Hafen von Esbjerg erklärt, woher der Wohlstand dieser Stadt kommt. Und er genügt, um zu verstehen, welche Bedeutung Wind, Gas und Öl hier haben.

    Die dänische Küstenstadt hat wie keine andere in Europa vom Energieboom der vergangenen Jahrzehnte profitiert. Als die Dänen Ende der 60er-Jahre Öl und Gas in der Nordsee fanden, begann eine Erfolgsgeschichte, die bis heute anhält. Der beschauliche Fischerort von einst hat sich in das Silicon Valley der dänischen Energiebranche verwandelt.

    In Zukunft soll auch die Windenergie den Wohlstand der Stadt sichern.

    „Wer nicht wächst, der stirbt“, sagt Tom Nielsen, Direktor der Agentur für Wirtschaftsförderung in Esbjerg. Er sagt es in einem Nebensatz, als wenn es selbstverständlich wäre.

    Jesper Bank, Chef der Wirtschaftsförderung in Esbjerg, erklärt die Bedeutung der Offshore-Windenergie für die Stadt.

    Die Windkraft beflügelt das Geschäft im Esbjerg: „Bis 2020 wird die installierte Windenergieleistung in der Nordsee um etwa 12,5 Prozent pro Jahr steigen“, sagt Hafenmanager Jesper Bank.

    Der Innenstadt jedenfalls kann man beim Wachsen zuschauen. Zwischen den gepflegten Fassaden arbeiten immer wieder Bagger, um das Zentrum zu verschönern. Entlang der Fußgängerzone öffnen Boutiquen, Schmuck- und Möbelgeschäfte werben um Kunden. Freie Hotelzimmer sind in Esbjerg Mangelware.

    Hier wird Geld verdient und hart gearbeitet. Wer mit einem Unbekannten auf der Straße ins Gespräch kommen will, fragt ihn einfach, ob er denn in der Offshore-Branche arbeitet. Meist stimmt das.

    Von Esbjerg aus stechen die Schiffe zu den Bohrinseln und Ölplattformen in See. Aufbruch ist hier Alltag. Das gilt auch für Jesper Bank. Mit schnellen Schritten eilt der Vertriebsmanager des Hafens die Treppen hinunter.

    Der fröhliche Däne will seine Besucher nicht langweilen. „Wenn Sie etwas über den Hafen erfahren wollen, schauen wir uns ihn am besten an.“ Minuten später sitzen wir in seinem strombetriebenen Dienstwagen und Bank startet den lautlosen Motor.

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    Kilometer messen die Kaianlagen in Esbjerg zusammengenommen. Ein Teil davon ist für die Offshore-Windkraft reserviert

    Der Hafen arbeitet erfolgreich, der Manager rattert die Fakten herunter: Alle Kaianlagen aneinandergereiht sind 15 Kilometer lang. In den vergangenen fünf Jahren ist der Umsatz der Betreibergesellschaft um die Hälfte gestiegen. Umgerechnet 30 Millionen Euro setzen die 60 Mitarbeiter um, bei 20 Millionen Euro liegt der Jahresgewinn.

    Die Windkraft beflügelt das Geschäft. „Bis 2020 wird die installierte Windenergieleistung in der Nordsee um etwa 12,5 Prozent pro Jahr steigen“, sagt Bank. Die Projekte für die kommenden Jahre sind eingetütet.

    Der Hafen verdient unter anderem an der Verpachtung von Flächen an die Herstellerfirmen, aber auch an den Gebühren für Liegeplätze – wie den der Pacific Orca. An einem Kai liegt das mächtige Schiff zur Wartung. Auf seinem knallroten Rumpf steht ein Kran, der 1200 Tonnen heben kann, ganz vorn befindet sich ein Hubschrauberlandedeck.

    Mit solch gewaltigen Schiffen wie der Pacific Orca werden Windräder auf die offene See gebracht und vor Ort aufgebaut. Sie geben ein spektakuläres Fotomotiv her. Jesper Bank lächelt. „Sie werden noch ganz andere Sachen sehen.“

    Im Hafen Esbjerg warten gigantische Rotorblätter für Offshore-Windparks auf ihre Verschiffung.

    Rund 130 Millionen Euro hat die Hafengesellschaft in das neue Terrain für Windkraftbauer investiert. Von hier aus bereiten Siemens und Vestas Komponenten wie diese Rotorblätter zur Verschiffung vor.

    4,5 Millionen Quadratmeter misst der Hafen – eine Fläche, mehr als doppelt so groß wie das Fürstentum Monaco. In einem Becken dümpeln fünf Fischerboote, der Rest einer Flotte von einst 600 Trawlern. Früher fingen sie Kabeljau, Scholle, Hering und mehr. Wegen der seit Langem zurückgehenden Fangmengen ist das Geschichte. „Heute fangen sie nur noch Shrimps“, erzählt Hafenmanager Bank.

    Viele Fischer kamen zunächst in der Öl- und Gasförderung unter, nun bringt die Windenergiebranche neue Arbeitsplätze. Trotz des Erfolgs der erneuerbaren Energien sei das Öl- und Gasgeschäft in Esbjerg aber noch immer die Stütze des Geschäfts.

    Banks deutet auf einen Lagerplatz des dänischen Konzerns Maersk Oil, wo auf einem Terrain so groß wie ein Fußballfeld Material für Bohrinseln auf die Verschiffung wartet. Auch dieser Sektor wächst noch. In absoluten Zahlen bringen Öl- und Gasförderung dreimal so viel Geschäft wie die Windenergie. Und der Abstand werde bleiben, versichert Bank. 

    Allerdings tauchen seit Langem schon neue Firmenschilder im Hafen auf. „Dong Energy“ steht darauf, „Vestas“ oder „Siemens“ – die Namen bedeutender Windenergieunternehmen.

    Siemens baut die Gondeln für seine Windkraftanlagen in der 80 Kilometer entfernten Stadt Brande. Die Komponenten lässt der Konzern auf Lastwagen nach Esbjerg bringen. „Der Hafen liegt für uns sehr günstig“, sagt Poul Martin Wael, der die Offshore-Projekte des Unternehmens leitet.

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    Der Hafen liegt für uns sehr günstig. Wir werden in Esbjerg noch lange Zeit viel zu tun haben

    Poul Martin Wael

    In der dänischen Offshore-Windbranche ist Siemens seit den frühen 90er-Jahren dabei. Nach wie vor steigen die Auftragszahlen. „Wir werden in Esbjerg noch lange Zeit viel zu tun haben“, sagt Wael.

    Von Esbjerg liefert Siemens derzeit Komponenten für drei Windparks in der Nordsee aus. Bis zu fünf wären auf der jetzigen Fläche möglich. Da die Komponenten immer größer werden, sucht Wael weitere für den Offshore-Ausbau geeignete Häfen.

    Das aber ist nicht einfach. Deutsche oder britische Standorte könnten derzeit nur ein Offshore-Projekt zur gleichen Zeit leisten, sagt Manager Bank. Esbjerg schaffe acht Mal so viel.

    Die Stadt und ihr Hafen haben sich einen Vorsprung herausgearbeitet. Dänemark treibt seit den 80er-Jahren die Nutzung der Windenergie voran. Seit 2001 konzentriert sich der Hafen von Esbjerg auf das Geschäft mit Windparks. Damals sei das ein Risiko gewesen, sagt Bank. Heute nicht mehr.

    Rund 130 Millionen Euro hat die Hafengesellschaft in neues Terrain investiert. Windkraftbauer brauchen Platz. Wo früher ein Strand war, den die Wellen regelmäßig überspülten, ist heute ein befestigtes Gebiet entstanden, auf dem Siemens und Vestas ihre Komponenten zur Verschiffung vorbereiten. „Dafür mussten wir das Gelände anheben“, sagt Banks. Unzählige Tonnen Sand waren nötig.

    Seit 2001 hat der Hafen rund ein Drittel an Fläche gewonnen. Säuberlich aufgereiht liegen riesige Rotorblätter auf dem Boden. Daneben sind die Turbinen abgelegt und ein Stück weiter 30 Meter lange Turmabschnitte.

    Am Kai liegt die Sea Challenger, ein schweres Transportschiff, das 5000 Tonnen Last tragen kann. Sein massiger Rumpf steht in der Luft, getragen von vier langen Rohrbeinen, die sich in bis zu 60 Meter tiefer See in den Boden stemmen können.

    Dadurch erhält der Schiffskörper die nötige Stabilität, um die tonnenschweren Teile der Windräder gleichmäßig zu verladen. Ohne Stützen, nur im Wasser schaukelnd, würde er während der Beladung Schlagseite bekommen.

    Gerade hievt der Kran einen Teil des Turms an Bord. Das sei doch jetzt wirklich ein schönes Fotomotiv, findet Bank.

    Maritime Hochtechnologie ist Alltag in Esbjerg. Das war nicht immer so, denn bis vor 150 Jahren gab es hier keinen Hafen. Sein Bau ist Folge des Kriegs gegen Preußen.

    Damals, im Jahr 1864, verlor Dänemark Schleswig-Holstein. „Und damit alle Nordseehäfen“, sagt der Historiker Morten Hahn-Pedersen, Direktor des See- und Fischereimuseums. Zum Export brauchte der Agrarstaat einen neuen Hafen. Die Wahl fiel auf einen Flecken mit 30 Einwohnern, der durch eine vorgelagerte Insel geschützt war: Esbjerg.

    Esbjergs Hafenchef im Video-Interview

    Fischer siedelten sich an – ein wild wuchernder Aufschwung folgte. „Esbjerg nannte man damals das Chicago Dänemarks, sagt Hahn-Pedersen. Im Jahr 1900 lebten schon 13.000 Menschen in der Küstenstadt. Heute sind es 115.000 und es sollen noch mehr werden. Bis 2020 sieht die Wachstumsstrategie der Stadt einen Anstieg auf 120.000 vor.

    Im Energiesektor arbeiten heute 13.500 Menschen. Bis 2025 soll sich ihre Zahl verdoppeln. Seit Jahren siedeln sich Beratungsunternehmen in Esbjerg an, darunter auch IT-Dienstleister.

    Windparkbetreiber steuern ihre Anlagen von hier aus. Viele Kilometer entfernt können sie Schäden an den Anlagen im Meer diagnostizieren und per Fernsteuerung auf die Technik zugreifen.

    Zu den wirklich seetüchtigen Dienstleistern zählen Firmen wie ESVAGT. Das Unternehmen hat 42 Schiffe, die für die Offshore-Branche unentbehrlich sind.

    Müssen Crews von den Bohrinseln zurück ans Land, dann bringt ein Schiff von ESVAGT frisches Personal. Rettungsboote des Unternehmens liegen ständig in der Nähe der Plattformen. Passiert ein Unfall oder gibt es Feuer, sind sie innerhalb von Minuten mit Spezialisten zur Stelle.

    So wie in der Barentssee, wo vor kurzem auf einer Bohrinsel ein schottischer Arbeiter ungesichert 15 Meter tief ins eiskalte Wasser stürzte. „Vier Minuten später war unser Rettungsboot da, sechs Minuten später war er an Bord“, sagt ESVAGT-Chef Søren Norgaard Thomsen.

    Die Körpertemperatur des Mannes war auf 32 Grad gesunken. „Unter diesen Bedingungen können Sekunden kostbar sein.“

    Vor wenigen Monaten erst ist ESVAGT in einen neuen gläsernen Büroblock am Hafen umgezogen, von wo aus man einen Blick auf die knallroten Schiffe des Unternehmens hat. Schrittweise erschließt sich nun ESVAGT den Windenergiemarkt. Das verspricht Geschäft mit langfristigen Verträgen.

    Denn die Anlagen brauchen regelmäßig Wartung. Techniker müssen hingebracht und wieder abgeholt werden. „Seit dem Jahr 2000 schaffen wir uns jedes Jahr drei bis vier neue Schiffe an“, sagt Thomsen.

    Für Beschäftigung könnte die Windkraft aber noch an ganz anderer Stelle sorgen – und damit einen Sektor beleben, der in Esbjerg seit Jahren im Niedergang begriffen ist. Die künstlichen Fundamente der Windräder haben ähnliche Eigenschaften wie Riffe: Kleines Meeresgetier wie Krebse und Muscheln siedeln sich dort an. Das mögen größere Fische.

    Und das wiederum freut die Menschen. Meeresexperte Hahn-Pedersen wagt schon mal einen vorsichtigen Blick in die Zukunft: „Vielleicht wird es bald wieder eine Fangflotte in Esbjerg geben.“

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