Gasförderung in der Nordsee

  • Search01.08.2023

Borkum wehrt sich gegen Erdgasbohrung

Vor Borkum soll Erdgas gefördert werden. Insulaner und Umweltschützer sind entrüstet: Das Projekt gefährde das Weltnaturerbe Wattenmeer – und sei mit Deutschlands Klimaplänen unvereinbar. Ein Ortsbesuch.

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    Badestrand auf Borkum: Bald könnte eine Bohrplattform die Aussicht trüben.

     

    Von Kathinka Burkhardt, Borkum

    Die Wellen rauschen, Möwen kreischen, in Hinni’s Strandoase genießen die Gäste den Blick auf eine Sandbank voller Seehunde – Urlaubsstimmung auf Borkum. Doch 20 Kilometer weiter draußen könnte bald ein Stahlungetüm die Aussicht trüben. Das Energieunternehmen One-Dyas will dort nach Erdgas bohren. Bei gutem Wetter wären die Anlagen und ihre Rauchschwaden mit bloßem Auge erkennbar. Hineingebaut in den Sonnenuntergang, eine Horrorvorstellung für viele Borkumer.

    „Es wäre eine Katastrophe, wenn vor unserer Insel Gas gefördert würde“, sagt Wattführer Peter de Buhr im Gespräch mit EnergieWinde. Zweimal täglich zieht er mit Urlaubern hinaus in den Schlick, er ist mit dem sensiblen Lebensraum von Wattwurm und Herzmuschel bestens vertraut. „Wir haben hier durch den Meeresspiegelanstieg ohnehin als Erste mit dem Klimawandel zu tun“, klagt er. Die Gasförderung vor der Haustür würde zusätzlich dazu beitragen.

    „Wenn den Politikern auf Landes- und Bundesebene ein Nationalpark wie das Wattenmeer und dessen Status als Weltkulturerbe so egal sind, kann man den Klimaschutz auch sein lassen“, sagt de Buhr.

    Vor Borkum will das niederländische Unternehmen One-Dyas nach Erdgas bohren. Umweltschützer sind entsetzt: Das Projekt gefährde das Weltnaturerbe Wattenmeer - und sei mit Deutschlands Klimaplänen unvereinbar.

    Seit ein Konsortium um das niederländische Unternehmen One-Dyas 2022 die Erlaubnis erhalten hat, zwischen der niederländischen Insel Schiermonnikoog und dem deutschen Borkum Erdgas zu fördern, sorgen sich wie de Buhr viele Insulaner um Natur und Tourismus auf ihrer Insel und im Wattenmeer.

    Die Insel klagt gegen die Förderung – vorläufig erfolgreich

    Immerhin: Ende April stoppte ein Gericht in Den Haag das Projekt vorerst. Geklagt hatten die Inseln Borkum und Juist sowie ein Bündnis aus Deutscher Umwelthilfe (DUH), der Bürgerinitiative Saubere Luft Ostfriesland und der niederländischen Umweltorganisation Mobilisation for the Environment. Das Gericht hatte Zweifel an der Umweltverträglichkeit. Benzol, Quecksilber und Methanol heißen die Schadstoffe, die mit dem Gas aus der Erde kommen und auch ins Meer gelangen könnten.

    Die Gerichtsverhandlungen werden im Herbst erwartet, eine Entscheidung könnte erst Anfang nächsten Jahres folgen. Viele fürchten, dass es dann doch grünes Licht gibt für das Projekt, schließlich ist die Gasförderung ein wichtiger Wirtschaftszweig der Niederlande, und One-Dyas hat bereits 600 Millionen Euro für das Projekt freigegeben. Ohnehin betrifft der Stopp nur einen Teil des Projekts, an anderer Stelle kündigte das Unternehmen bereits weitere Testbohrungen an.

    Erdgas-Testbohrung 2017 vor der Insel Borkum in der Nordsee: Die Insulaner fürchten um den Tourismus und die sensible Natur am Rande des Nationalparks Wattenmeer.

    Rauch über der See: 2017 stand bereits eine Erdgasplattform vor Borkum, für Testbohrungen.

    GEMS heißt das gesamte Gasfördergebiet in der Nordsee nahe der Ems. One-Dyas vermutet darin Vorkommen von bis zu 50 Milliarden Kubikmetern. 2024 soll die Förderung von zunächst vier bis 13 Milliarden Kubikmetern im niederländischen Feld N05A starten. Danach könnte von der Plattform aus seitlich gen Westen in deutsche Hoheitsgewässer gebohrt werden, wo in den weiteren Feldern N05-Südost und Diamant noch größere Vorkommen liegen sollen. Experten sagen, dass sich die Investitionen nur lohnen, wenn auch das Gas auf deutscher Seite gefördert wird.

    Borkums Bürgermeister Jürgen Akkermann ist ein Gegner der geplanten Erdgasförderung vor seiner Insel am Rande des Wattenmeers.

    „Sie können den Menschen nicht erklären, dass sie bald kein Gas mehr verwenden dürfen, jetzt aber noch ein Förderprojekt genehmigt wird,“ sagt Bürgermeister Jürgen Akkermann.

    Gemessen am Gesamtbedarf würde das Projekt dabei nur eine kleine Rolle spielen. „Unserer Information nach kann mit dem Gasvorkommen vor Borkum maximal ein Prozent des deutschen Gasbedarfs gedeckt werden, und das frühestens ab 2025“, sagt Jürgen Akkermann, Bürgermeister von Borkum. „Da fragen sich nicht nur die Menschen hier vor Ort, ob das in Relation zur möglichen Zerstörung des Naturraums Wattenmeer steht.“

    2045 will Deutschland klimaneutral sein. Die Förderung könnte dann noch laufen

    Zehn bis 25 Jahre lang soll Gas gefördert werden. Auch an anderen Stellen suchen die Niederländer Vorkommen in der Nordsee, ebenso Großbritannien und Norwegen. Dabei wollen alle spätestens 2050 klimaneutral sein, Deutschland bereits 2045. Und schon bis 2030 sollen die EU-Staaten den Verbrauch fossiler Brennstoffe halbiert haben. Ergeben neue Erdgasprojekte wie vor Borkum dann überhaupt noch Sinn?

    „Grundsätzlich müssen wir europaweit relativ rasch Emissionen mindern, um unsere Klimaziele zu erreichen“, sagt Andreas Löschel, Experte für Umwelt- und Rohstoffökonomie. „Aber wir benötigen noch auf mittlere Sicht Gas als Energieträger, und deshalb können wir nicht grundsätzlich sagen, in der Nordsee darf kein Gas mehr gefördert werden.“

    Der Verbrauch sinkt – doch noch immer stammt ein Viertel der Energie aus Erdgas

    Ohne Gas geht es schlicht noch nicht. Es macht hierzulande immer noch 24 Prozent der verbrauchten Energie aus. Maximal fünf Prozent davon fördert Deutschland selbst. 77,3 Milliarden Kubikmeter Gas hat Deutschland 2022 verbraucht – aufgrund der Sparanstrengungen im Zuge der Energiekrise 17,6 Prozent weniger als in den Jahren zuvor.

    „Wichtig ist den Gasverbrauch sehr rasch mindestens um ein Drittel zu mindern. Es wird in diesem und im nächsten Jahrzehnt noch etliche Gasnutzung bei uns in Deutschland geben“, sagt Löschel. „Es ist schwer abzuschätzen, aus welchen Quellen das Gas dann kommen wird.“

    Gut möglich, dass ein Teil dieses Gases aus dem Meeresgrund vor Borkum kommt. Die niedersächsische Landesregierung jedenfalls hat ihren Widerstand dagegen in der Energiekrise aufgegeben. Zwar ließ Landesumweltminister Christian Meyer von den Grünen verlauten, dass er gegen das Projekt sei. Doch er ist gar nicht mehr zuständig. Die Entscheidung liegt mittlerweile beim Landesamt für Bergbau, das mit dem Planfeststellungsverfahren betraut ist und im Herbst seine Zustimmung geben könnte.

    Umweltschützer protestieren gegen die geplanten Erdgas-Bohrungen vor Borkum am Rande des Wattenmeers in der Nordsee.

    Keine neuen Erdgas-Bohrungen: Umweltschützer und Insulaner bei einem Protest im Januar.

    Die Deutsche Umwelthilfe hat ihren Kampf gegen das Projekt allerdings nicht aufgegeben. Sie verweist auf Gutachten, denen zufolge seltene Tier- und Pflanzenarten im geplanten Fördergebiet leben, und hat bei den Behörden beantragt, es in bestehende Naturschutzgebiete aufzunehmen. „Eine Ausweitung der Schutzgebiete Borkum Riff und Borkum Riffgrund ist dringend notwendig, um die sensiblen Riffe vor den negativen Auswirkungen der Gasförderung zu schützen“, sagte DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner Mitte Juli im NDR.

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